Der Entfesslungskünstler

Beim Deutschen Jazzfestival in Frankfurt gestaltet der scheue Robert Wyatt einen sehr unterhaltsamen Abend.

Robert Wyatt sitzt unauffällig am Rand. In der vierten Reihe. Der Scheinwerfer findet ihn trotzdem jedes Mal, wenn auf der Bühne von ihm die Rede ist. Es gibt kein Entkommen. Da hilft auch sein linkisches Wegducken nicht. Die Fotografen legen ihre Kameras an, und er schaut mit großen Augen zurück. Er ist die Hauptperson am heutigen Abend. Schließlich taucht sein Name bereits im Titel der Veranstaltung gleich zwei Mal auf: „The Wyatt Vanations. An evening curated by Robert Wyatt“.

Dem Publikum werden Künstler und Werk zunächst mit ein paar einführenden Worten vorgestellt. Ein „englischer Eremit“ sei Wyatt, der in einem „kafkaesken“ Kaff lebe und „magisch-melancholische Lieder“ schreibe. Altmännerfantasien, Geniekult. Kein Wort über Wyatts politische Gesinnung, die Inhalte seiner Songs, den Kommunismus. Er sei „an den Rollstuhl gefesselt“ heißt es noch. Was spielt das für eine Rolle, wo seine Musik doch frei ist? Frei von Körper und Schwerkraft, von Ethnizität und Geschlecht, von Eitelkeit und Virtuosentum, von Blues undjazz, von Pop und Rock und all den anderen Schublädchen, in die wir unsere Welt hineinzwängen. Manchmal sogar frei von Sprache — aber nie ohne Bedeutung. Vielleicht ist man in Frankfurt noch zu sehr an den Kapitalismus gefesselt, um das zu erkennen. Aber man sollte nicht maulen, denn dieses Konzert ist eine kleine Sensation, und den Organisatoren gebührt großes Lob dafür, den scheuen Künstler zu einer solchen Zusammenarbeit überredet zu haben. Wyatt hat für diesen Abend einige seiner musikalischen Freunde und Wegbegleiter eingeladen. Zum Beispiel das Cover-Projekt Dondestan!, zu dem unter anderem Ex-Henry Cow-Bassist John Greaves und die Organistin Karen Mantler gehören. Und Soupsongs, eine Band der Posaunistin Annie Whitehead, die seit „Shleep“ von 1997 auf allen Wyatt-Platten mitspielt.

Seine Lieder seien einfach englische Folksongs, nur dass er – der Komponist – halt zufälligerweise noch lebe, sagt Wyatt später. Wenn es helfe, solle man sich einfach vorstellen, er wäre schon tot. Er jedenfalls sei froh, dass andere Leute seine Songs spielen, dann müsse er selbst es nicht tun. Obwohl—wendet er ein – er natürlich viele Instrumente beherrsche, „etwa so gut wie Bob Dylan seine Gitarre“.

Die erste Wyatt-Variation liefert ein weitgehend Unbekannter: der österreichische Saxofonist Max Nagl mit seinem Projekt Market Rasen (benannt nach der Bahnstation, an der man aussteigen muss, wenn man Wyatt zu Hause in Louth, Lincolnshire besuchen möchte). Das Trio überführt Wyatts Stücke in die Jazzlounge, bindet sie in eine Laut-leise-Dynamik ein und variiert sie teilweise bis zur Unkenntlichkeit. Die Elektronik-Passagen

sind dabei oft etwas bieder, Herbert Pirkers Perkussion kippelt zwischen subtil und bemüht, Nagls gelegentliche Ausbrüche – wie etwa in „The British Road“ – wirken regelrecht befreiend. Und Mingus-Fan Wyatt wippt, den Kopf schräg gelegt, am Rand der vierten Reihe mit. Dondestan! beginnen ihr Set mit dem alten Soft-Machine-Stück ,A Concise British Alphabet“. Auch das ist ja Wyatt. Das Komische, Absurde, Dadaeske.John Greaves führt wie ein zappaesker Zeremonienmeister durchs Programm und versucht die Stücke mit seiner Bar-Blues-Stimme zu erden, während Karen Mantler auf der anderen Seite der Bühne mit ihrem Nicoesken Nichtgesang und ihrer flächigen Orgel dem körperlos Ätherischen der Originale recht nahe kommt. „Forest“, „God Song“ und vor allem „O Caroline“ transzendieren diese Spannung, gehören zu den Höhepunkten des Abends. Andere Stücke – wie etwa. Alliance“ oder „Tackle Down“-zerbrechen daran, haben aber durch das virtuose Spiel der Bassistin Helene Labarriere, Sylvain Kassaps fragmentierte Saxofon-Passagen und den feinsinnigen Gastauftritt von Michael Mantler an der Trompete ihre Momente. Als Zugabe spielen Dondestan! Karen Mantlers „The Official Robert Wyatt Fan Club Song“:,, He should run for president of the U.S.A./ Even though he’s a communist I bet he’d find a way.“ Annie Whiteheads ziemlich gut eingespielte Soupsongs bieten im dritten Teil des Abends die süffigsten neuen Lesarten des Wyatt-Repertoires, werden damit den Originalen aber meist nicht gerecht und verfallen allzu sehr in banales Muckertum. Gitarristin Jennifer Maidman gibt arg abgehangene Blues-Phrasierungen zum Besten, Sängerin Sarah Jane Morris macht auf Soul-Röhre mit Weather Girls-Charme. Die orientalisch verzierten Parts des israelisch-palästinensischen Saxofonisten und Wyatt-Freundes Gilad Atzmon schmücken die überzeugendsten Interpretationen dieses Sets: ein nostalgisches „Old Europe“ und ein sublimes, von Cristina Dona hübsch kleinmädchenhaft gesungenes „Maryan“. Zum Abschluss verwandeln die Soupsongs „Dondestan“, das Lied, in dem Wyatt den Nahost-Konflikt lakonisch in einem einzigen Satz autgehoben hat, in einen unterhaltsamen Jam. Nur Gitarristin Maidman verwechselt Improvisation mit Deformation und stimmt John Lennons „Imagine“ an. Die Zuhörer ertragen’s unter Schmerzen.

Wie Wyatt selbst diese Variationen gefallen, die seinen Stücken oft eher Fesseln anlegen, als sie zu öffnen oder ihnen neue Aspekte abzugewinnen, erfahren wir nicht. Der Bühne bleibt er zum Bedauern aller jedenfalls fern – er ist halt ein freier Mann.

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