Der geniale Trottel

Auch die Briefwechsel mit prominenten Kollegen zeigen den Kauz Arno Schmidt als verschlossenen und arroganten Solipsisten

Was die Rezeption seines solitären Werks anging, wähnte sich Arno Schmidt schlicht in einer „Taubstummenanstalt“. Diese Klage, sooft er sie auch wiederholt hat, könnte verkehrter gar nicht sein. Der Mann war einfach maßlos, das haben schon vor Jahrzehnten die beiden Kompilationen mit Rezensionen und Porträts „Über Arno Schmidt“ gezeigt.

Schmidt wurde durchaus wahrgenommen, viel besprochen — und von den richtigen Leuten eben auch durchaus positiv bis enthusiastisch. Wenn man die gerade bei Suhrkamp erschienenen „Briefwechsel mit Kollegen“ liest, die Gregor Strick gründlich ediert und kommentiert hat, sieht man wieder einmal, wie falsch seine Selbstwahrnehmung von Anfang an war. Heinrich Böll, Alfred Andersch, Helmut Heißenbüttel, Ernst Kreuder, Wolfdietrich Schnurre. Eugen Gomringer etc. – sie alle haben ihm gehuldigt, und zwar schon früh, nicht erst als er sich Ende der 50er Jahre ins niedersächsische Kaff Bargfeld zurückzog und dort bald als „Solipsist in der Heide“, sich an seinem Monumentalwerk „Zettel’s Traum“ zuschanden schreibend, zur quasi-mythischen Gestalt für die literarische Renegatenszene der Bundesrepublik avancierte.

Hans Werner Richter lädt ihn sofort nach dem Erscheinen seines genialischen Erstlings „Leviathan“ (1949) zu einer Tagung der Gruppe 47 ein, aber Arno, „der Menschenscheue“, wie seine Frau Alice einmal liebevollverzweifelnd notiert, lehnt natürlich wieder einmal ab. Wie er fast alles ablehnt, was mit Öffentlichkeit und Repräsentation zu tun hat, was aus dem Musensohn ein „Mannequin“ machen könnte. Sogar die großen Alten Kasimir Edschmidt, Alfred Döblin und Hans Henny Jahnn sind sich nicht zu fein, sein Werk zu rühmen, und versuchen ihm Preise zuzuschanzen. Und junge Autoren wie Werner Riegel und Peter Rühmkorf brennen sowieso lichterloh. „Sie sind die Sensation“, schreibt Rühmkorf, „die Mischung aus Wucht und Feinziselierung, auf die ich seit Jahren wartete.“

Arno Schmidt konnte sich wirklich nicht beklagen. Dass er es dennoch immer wieder tat, dass er manisch nach Bestätigung verlangte, resultiert wohl auch aus der existenziellen Erschütterung des Flüchtlings und seiner anschließenden subsistenziellen Unsicherheit in der Nachkriegszeit. So sehr er sich auch abmühte, und zwar quantitativ wie qualitativ mühte, im Literaturbetrieb Fuß zu fassen, es reichte lange Jahre kaum zum Leben. Und so erklärt sich denn wohl auch Schmidts Neurasthenie, seine schon fast panische Angst vor Kritik und auch sein unverhältnismäßiger Furor, wenn er damit konfrontiert wurde.

Als sich Hermann Hesse für ihn verwendet und eine freundliche, wenn auch ziemlich gönnerhafte Leseempfehlung für den „Leviathan“ ausspricht, treut er sich nicht etwa über die werbewirksame Unterstützung seines Debüts, sondern schreibt dem einst geschätzten Dichter rotzfrech, der Text sei „bedauerlich flach“. Und sendet ihm als „Gegengabe“ nach einigen inhaltlichen Einwänden auch gleich noch „mein Urteil über Ihr Werk“: „Ein begabter Dichter, reich und faltig. Zweierlei fehlt ihm: naturwissenschaftliche Kenntnisse (oder doch deren Einwirkung und Auswertung), und das Erlebnis folgender Urphänomene: Soldat sein müssen, Krieg, Kriegsgefangenschaft, Hunger. Also kennt er ausreichend nur die friedliche Seite des Menschen. Ein Glücklicher.“ Hesse hat sich ziemlich geärgert und, wie Thomas Mann kolportiert, eine Weile unter Schlaflosigkeit gelitten.

Arno Schmidt hatte überhaupt ein grandioses Talent, Kollegen und Freunde zu verprellen. Als der junge Martin Walser, der sich als Mitarbeiter beim Süddeutschen Rundfunk durchaus um die Etablierung des Autors Arno Schmidt verdient gemacht, dem hochverehrten Genius sein erstes Buch darreicht, vor Devotion nachgerade ersterbend, rächt sich dieser, weil Walser Einwände gegen Schmidts Prosatheorie („Berechnungen“) zu formulieren gewagt hatte: „Ihre Sprache tendiertzur—ich will es .Gepflegtheit‘ nennen. Um Ihnen noch mehr heilsame Angst zu machen: 2 Bücher weiter in dieser Richtung, und Sie könnten (wohlgemerkt: könnten!) beim Kunstgewerbe landen.“ Und es macht schon Spaß zu lesen, wie Walser, der mittlerweile vor Selbstbewusstsein im Dunkeln leuchtet, sich darauf in den Staub wirft vor dem großen Meister. Genützt hat die Warnung freilich nichts!

In Gesellschaft muss Arno Schmidt noch viel schlimmer gewesen sein, man wird den Äußerungen von Uwe Johnson, Peter Rühmkorf oder auch Walser trauen dürfen, denn sie zeichnen alle das gleiche Bild: des verschlossenen, abweisenden, bis zur Unfreundlichkeit steifen, arroganten, durch und durch verkniffenen Geniedarstellers. Er hat das vielleicht alles durchschaut, und konnte doch nicht raus aus seiner Haut, weil er sich in der Rolle des scheuen, schüchternen, von Minderwertigkeitskomplexen gebeutelten Kleinbürgers, der nicht weiß, wo er seine Hände lassen soll, noch viel weniger gefallen hätte.

Als Walser in einem frühen Brief einmal, nachträglich um Erlaubnis bittend, von Alice Schmidt als „der menschlichen Beschützerin des artistischen Recken“ spricht, klappt er dann aber doch einmal für einen durchaus anrührenden Moment das Visier hoch. Schmidt erzählt im folgenden Brief davon, wie er die enorme Arbeitsbelastung der nächsten Monate zu überstehen gedenkt: nämlich „mit genauer Pensumeinteilung und dem bekömmlichen Abendspaziergang an der Hand meiner Beschützerin (natürlich haben Sie Recht; ich weiß, dass ich ein Trottel bin!)“.

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