Der Grosse Online-Klau

Mark Zuckerberg war ein 19-jähriger Student in Harvard, als er plötzlich die Erleuchtung hatte: Facebook, ein „soziales Netzwerk" für Studenten, sollte ein neues Kapitel der Internetnutzung aufschlagen. Doch war es überhaupt eine Erleuchtung? Oder hatte Zuckerberg die Idee von seinen Kommilitonen geklaut?

An einem sonnigen Nachmittag in Palo Alto herrscht hinter den graffitiverzierten Mauern des Facebook-Hauptquartiers emsiges Treiben. Scheinwerfer werden installiert und Champagnergläser aufgereiht – Vorbereitungen für die große Party, mit der Facebook am nächsten Abend seinen vierten Geburtstag feiern wird. Doch die Hauptperson, Unternehmensgründer Mark Zuckerberg, der in einem nahe gelegenen Gebäude residiert, sitzt in seinem kleinen, komplett verglasten Büro und bekommt von alldem nichts mit. Den Kopfüber eine Styroporschachtel mit Fastfood gebeugt, wirkt er eher wie ein kleiner Junge als wie der Chef eines Weltunternehmens, das so viel wert ist wie etwa General Motors. Zuckerberg ist erst 34, ein junger Mann mit rundem Kindergesicht, giraffenlangem Hals und großen Ohren. Vor vier Jahren hat er Facebook von seiner Studentenbude in Harvard aus ins Netz gebracht – und jetzt führt „Forbes“ ihn als jüngsten Milliardär der Welt: ein Zahnarztsohn mit schätzungsweise 1,5 Milliarden Dollar auf dem Konto.

Zuckerberg ist deshalb so reich, weil Facebook – mittlerweile die nach Benutzerzahlen sechstgrößte Website der Welt — so einfach zu konsumieren ist und so süchtig macht wie eine Designerdroge. Jeden Tag loggen sich an die 70 Millionen User ein, um die Profile ihrer Freunde abzurufen und Informationen über sich selbst zu posten: Telefonnummern, persönliche Vorlieben, romantische Dates. Und diese wertvollen Daten werden von Zuckerberg und seinen Mitarbeitern, nicht selten in nächtlichen Programmierorgien, an gierige Werbetreibende verhökert. Angesichts von 150 000 neuen Nutzern pro Tag verwundert es nicht, dass Zuckerberg schon als Bill Gates seiner Generation gerühmt wurde – der nächste High-Tech-Wunderknabe und Harvard-Abbrecher, der die Welt verändert und Macht und Reichtum erntet. „Wenn es einen neuen Bill Gates gibt“, meint der frühere Harvard-Präsident Lawrence Summers, „dann dürfte Mark am nächsten dran sein.“ Und es gibt noch eine Parallele: Ebenso wie Gates am Anfang seiner Karriere sieht sich Zuckerberg mit dem Vorwurf konfrontiert, seine Schöpfung basiere auf geklauten Ideen.

In einem Gerichtsverfahren, das einer der Richter als „Blutfehde“ bezeichnet hat, werfen drei Harvard-Studenten ihrem Ex-Kommilitonen vor, ihnen das Konzept einer Social-Networking-Site gestohlen zu haben, für deren Programmierung sie ihn zuvor angeheuert hatten. „Er hat uns grandios übers Ohr gehauen“, gab Divya Narendra, einer der drei, zu Protokoll. Im April stellte ein anderer Student, Aaron Greenspan, den Antrag auf Löschung des Facebook-Patents – mit der Begründung, er habe schon Monate vor Zuckerberg ein ähnliches System erfunden. Greenspan, der die Kommunikation mit Zuckerberg anhand Hunderter E-Mails nachweisen kann, spuckt Gift und Galle bei Vergleichen zwischen dem Facebook-Wunderkind und der Microsoft-Legende: „Bill Gates war clever, geschäftstüchtig und fast schon autistisch in seinem Wahn, immer der Beste sein zu wollen. Mark war einfach nur naiv und bekam keinen vernünftigen Satz raus.“

Diese Angriffe auf Mark

Zuckerbergs Imperium lassen den Mann, der über unsere soziale Zukunft bestimmen will, in merkwürdigem Licht erscheinen. Eines der populärsten und kommunikationsfreundlichsten Webtools der Welt ist in Wirklichkeit das Werk eines brillanten, aber sozial geächteten, einsam in seiner Bude hockenden Sonderlings, der zum Superdon des digitalen Zeitalters aufstieg, einem isolierten und weltfremden Genie, das aus irgendeinem Urinstinkt heraus begriff, wie man Computer programmieren muss, um menschlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. Was immer bei den genannten Verfahren herauskommt: Der Streit um die Ursprünge von Facebook wirft eine grundsätzliche Frage auf: Basiert Mark Zuckerbergs Social-Networking-Imperium auf illegalen Machenschaften?

Facebook mag unter zweifelhaften Umständen entstanden sein, doch ein Moment in seiner Geschichte bleibt unbestritten: der Dienstagabend in Harvard, als ein 19-jähriger Bits- und Bytes-Zauberer aus Dobbs Ferry/New York vor seinem Computer saß, deprimiert, allein und kurz vor dem Rauswurf. Das war im Herbst 2003, als das World Wide Web seine Liebesaffäre mit sozialen Netzwerken gerade erst begonnen hatte. Das Wirtschaftsmagazin „Fortune“ schrieb damals: „Es könnte ein neues Internet am Horizont auftauchen – eines, bei dem es mehr darum geht, Menschen mit Menschen zu verbinden als Menschen mit Websites.“ friendsters.com, gerade erst ein paar Monate im Netz, sollte bald Millionen User und Millionen Investoren-Dollars anlocken.

Zwei Dinge haben Mark Zuckerberg bis heute alle Krisen überwinden lassen: eine obsessive Liebe zur Technik und gnadenloses Konkurrenzdenken. (Nach seinen Hobbys befragt, antwortete er einmal: „Feinde besiegen.“) Seine Beziehung zu Computern reicht zurück bis in die sechste Klasse, als er den ersten PC bekam und sich gleich ein Exemplar von „C++ für Dummies“ besorgte. In der neunten Klasse übertrug er das Brettspiel Risk, das im Römischen Reich spielt, auf den Computer. Zuckerberg dachte sich ständig neue Tools aus, um „irgendwelche bekloppten Sachen“ schneller erledigen zu können. Im letzten Highschool-Jahr schrieb er mit seinem Zimmergenossen Adam D’Angelo eine Software für MPß-Player, die sich die Hörgewohnheiten ihres Besitzers merkte und anhand der gespielten Titel eine digitale Musikbibliothek aufbaute. Mehrere Firmen, darunter auch eine AOL-Tochter, zeigten Interesse, doch D’Angelo und Zuckerberg wollten nicht verkaufen. Geld war ihnen egal – was zählte, war der Code. „Sie hatten mehr Ahnung von Computern als jeder andere an der Schule“, erinnert sich Kristopher Tillery, ein Klassenkamerad, der mit Zuckerberg eine Website einrichtete, auf der sich die Schüler ihr Pausenbrot online bestellen konnten.

Auch abseits des Computers wollte Zuckerberg überall der Beste sein: im Mathe-Unterricht, beim Physik-Wettbewerb, im Latein-Club, beim Griechisch-Sommerkurs. Im Jahr 2000 wurde er beim New Yorker Regionalwettbewerb des amerikanischen Fechterbundes zum wertvollsten Teammitglied gewählt. In seiner Bewerbung für Harvard schrieb er, Fechten sei für ihn „das perfekte Medium, weil ich mir, egal ob ich im Wettkampf einem Gegner gegenüberstehe oder einfach mit einem Freund die Klingen kreuze, kaum etwas vorstellen kann, das mehr Spaß macht als ein guter Fechtkampf‘. Er verließ die Schule mit Auszeichnung und kam im Herbst 2002 nach Harvard, ehrgeizig bis zum Abwinken.

Doch dort war er plötzlich nur noch einer unter vielen, deren Lebensläufe nicht weniger glänzten als seiner. Im zweiten Jahr hatte er sich bereits auf das Terrain zurückgezogen, auf dem er sich am wohlsten fühlte: Er bastelte eine Website, auf der man sich zu Kursen anmelden und sehen konnte, wer sonst noch dabei war. Dieser erste Versuch in sozialem Voyeurismus fand ein abruptes Ende, als Zuckerbergs Laptop unter der Nachfrage zusammenbrach. Vs/omit er etwas Wichtiges gelernt hatte: Was online passiert, hat nicht nur etwas mit Programmieren zu tun, sondern damit, wie die Leute ticken. Vielleicht lag es daran, dass Zuckerberg nicht Informatik studierte, sondern sich für Psychologie entschied.

Seinem Privatleben brachte das nichts. In der erwähnten Nacht hatte ihn gerade ein Mädchen sitzengelassen. Nach ein paar Drinks suchte er Trost bei seinem Computer, der ihn noch nie im Stich gelassen hatte, und entwickelte einen ebenso einfachen wie perfiden Plan: Er würde eine Website namens Facemash.com bauen, sich in das Datenverzeichnis der Uni hacken, Fotos seiner Kommilitonen runterladen, sie im Netz neben Tierbilder stellen und darüber abstimmen lassen, wer schöner sei.

Los ging es wie bei jedem

verletzten Schuljungen: Jessica A. ist eine Zicke“, schrieb er in sein Blog. „Ich brauche etwas, um sie mir aus dem Kopf zu schlagen. Etwas, das mich ablenkt. Kurz gesagt, eine Idee.“ Eine Stunde später: „Ich bin ein bisschen angesoffen, zugegeben. Okay, es ist nicht mal zehn Uhr an einem Dienstagabend, na und? Das Fotoverzeichnis von Kirkland (seinem Studentenwohnheim) liegt vor mir auf dem Tisch. Manche dieser Bilder sind echt grässlich. Am liebsten möchte ich sie neben Bilder von irgendwelchen Tieren stellen und die Leute abstimmen lassen, wer besser aussieht.“

Um 23 Uhr war die Sache in vollem Gang: „Yeah, gebongt. Ich bin nicht sicher, wie ich die Tiere einbauen soll, aber Leute zu vergleichen, das gefällt mir.“

Zuckerberg hackte sich durch die Nacht, klaute die persönlichen Daten seiner Mitstudenten und dokumentierte alles stolz in seinem Blog. Die Site schlug sofort ein. Noch in derselben N acht begannen die ersten E-Mails über Facemash zu kursieren. Mehr als 450 Studenten meldeten sich an, 22 000 Zugriffe wurden registriert. Nach wenigen Stunden hatte die Schulleitung Zuckerberg aufgespürt und sperrte seinen Internetzugang. In einer Anhörung vor dem Verwaltungsrat warf man ihm später vor, die Privatsphäre der Studenten verletzt und schuleigene Daten missbraucht zu haben.

Der Wirbel um Facemash war das Beste, das Zuckerberg passieren konnte. Nachdem man ihn verwarnt hatte, kehrte er zurück ins Wohnheim, köpfte eine Pulle Sekt und feierte mit seinen Zimmernachbarn. Jetzt stand er im Ruf eines Computer-Rebellen und hatte unter all den Elitestudenten endlich eine eigene Identität.

Doch Zuckerberg war nicht der einzige Harvard-Student, der darüber grübelte, ob sich das Web als sozialer Marktplatz eignete. Überall auf dem Campus wurden Konzepte entwickelt, wie man das neue Medium nutzen könnte, um das Privatleben online so spannend zu machen, wie es in der Realität nie war. „Netzwerke haben in Harvard eine lange Tradition, bis zurück in Roosevelts Zeiten“, erklärt Lawrence Summers. „Es musste irgendwann passieren. Ein neuer Internet-Trend und eine Gruppe sehr talentierter, kommunikationsfreudiger junger Leute. Alle Innovatoren reagieren auf soziale Bedürfnisse.“

Schon zehn Monate bevor

Zuckerberg mit Facemash ins Netz ging, hatte ein Harvard-Erstsemester namens Divya Narendra die Idee gehabt, ein soziales Netzwerk für College-Studenten aufzubauen. Narendra war als Sohn eines Arztes im Bundesstaat New York aufgewachsen, hatte das Gesicht eines Bollywood-Stars und Bestnoten in Mathematik. Er war ehrgeizig, fühlte sich aber nicht integriert: „Ich und die anderen Leute in unserem Gebäude hatten das Gefühl, dass es zu viele Hemmnisse und zu wenig Zeit für uns Studenten gab, um soziale Kontakte zu knüpfen.“ Einfacher ausgedrückt: Sie fühlten sich außen vor.

Narendra wandte sich an zwei Zimmernachbarn, die Zwillinge Tyler und Cameron Winklevoss, und erzählte ihnen von seiner Idee einer Online-Community, zu der nur Inhaber einer College-Mailadresse Zutritt erhalten sollten. Die beiden waren sofort Feuer und Flamme. Im Gegensatz zu Narendra und Zuckerberg mangelte es ihnen nicht an Popularität: Sie waren groß, muskulös, blond und gut aussehend, ruderten in der College-Mannschaft und nahmen an internationalen Rennen teil. Ihr Vater, Howard Winklevoss, war ein wohlhabender Finanzberater, der ihre sportlichen Aktivitäten unterstützte und dem heimatlichen Ruderverein ein neues Clubhaus spendiert hatte.

Den Rest des Jahres 2003 arbeiteten Narendra und die Zwillinge gemeinsam an der Site und engagierten mehrere Kommilitonen für die Codierungsarbeit. Im November hörten sie von Zuckerbergs gescheitertem Facemash-Projekt und beschlossen, das Know-how des Computergenies anzuzapfen. Narendra erklärte Zuckerberg am Telefon, die Site – die „Harvard Connection“ heißen sollte – würde aus zwei Bereichen bestehen, für Partnersuche und Kontaktsuche. Die Studenten sollten Fotos einstellen, persönliche Daten eingeben und Links suchen können. Zuckerberg sollte zehn Stunden Programmierarbeit leisten und dafür Anteile an der Firma erhalten. Es kam zu einem Treffen, und der Umworbene erklärte sich bereit, an der Site mitzuwirken.

Später behauptete Zuckerberg, er habe kein Vertrauen in die Fähigkeit seiner Partner gehabt, das Projekt durchzuziehen. „Die größten Mauerblümchen unter meinen Freunden hatten mehr Ahnung, was Leute auf eine Website zieht, als diese Typen“, höhnte er in einer eidesstattlichen Versicherung. In seinen E-Mails schlug er jedoch einen anderen Ton an. „Der Code ist fast fertig“, beteuerte er im November. „Sieht aus, als ob alles richtig funktioniert.“ In den nächsten zwei Monaten fertigte er sie immer wieder mit lahmen Ausreden ab – „Hab vergessen, mein Ladegerät in die Ferien mitzunehmen“ -, versicherte aber im selben Atemzug, es werde nun wirklich nicht mehr lange dauern. Später gab Zuckerberg zu, er habe im Dezember nur minimal an der Site gearbeitet und im Januar überhaupt nicht.

Woche um Woche verging, und das „Harvard-Connection“-Team wurde allmählich nervös. Jedes Mal, wenn sie sich mit Zuckerberg treffen wollten, sagte er mit Hinweis auf seinen vollen Terminkalender ab. Cameron Winklevoss drängte ihn, den Job abzuschließen: „Hey Mark, schreib mir kurz, wenn du dazu kommst“, mailte er am 6. Januar. Zwei Tage später antwortete Zuckerberg mit einer Entschuldigung:

„Hab diese Woche megamäßig viel zu tun. Drei Programmierjobs und eine Abschlussarbeit, die Montag fertig sein muss.“ Am 14. Januar kam es endlich zu einem Treffen. Nach den vielen Versicherungen, der Code sei fast fertig, riet Zuckerberg ihnen auf einmal, sich einen anderen Programmierer zu suchen. Seine Auftraggeber waren fassungslos – was war mit den Sachen passiert, die er ihnen versprochen hatte?

Zuckerberg hat unter Eid

ausgesagt, er habe mit der Arbeit an thefacebook.com, der ersten Version seiner Website, im Januar begonnen, vermutlich nach diesem letzten Meeting. Er habe dazu nur ein oder zwei Wochen gebraucht, zwischen Hausarbeiten und Abschlussprüfung. Inspiriert habe ihn ein Artikel in der Studentenzeitung „The Harvard Crimson“ über das Facemash-Debakel. „Es zeigt, dass die Technik, die man für eine zentralisierte Website braucht, bereits verfügbar ist“, konstatierte das Blatt. „Das Potenzial ist enorm.“

Gesagt, getan: Zuckerberg entledigte sich seiner muskelbepackten Aufpasser, um selbst ins Geschäft einzusteigen. „Im Prinzip habe ich nur den Artikel genommen und eine Site mit genau diesen Kontrollmechanismen gebaut. Und das war Facebook“, erinnert er sich.

Doch seine weiteren Erinnerungen sind bestenfalls verschwommen. „Ich bin wirklich nicht sicher, wann sich die Idee herauskristallisierte und ich mir vornahm, jetzt machst du Facebook“, heißt es in seiner Zeugenaussage. Und was die Jungs von „Harvard Connection“ nicht erfuhren: Zuckerberg hatte die erste Facebook-Site schon am 11. Januar bei seinem Web-Provider registriert — drei Tage, bevor er ihnen den

Laufpass gab. Seine Anwälte erklärten vor Gericht, er habe „etwa zu diesem Zeitpunkt“ mit der Programmierung von Facebook begonnen.

Am 12. Januar, als Zuckerberg angeblich immer noch für „Harvard Connection“ arbeitete, teilte er Eduardo Saverin, einem seiner engsten Freunde, per E-Mail mit, Facebook sei fast fertig, und er müsse mit ihm über Marketingstrategien reden. Sie einigten sich, 1000 Dollar in die Site zu investieren; Zuckerberg sollten zwei Drittel der Firma gehören.

Zuckerberg stürzte sich in die Programmierarbeit. Weil er keine Zeit hatte, daneben noch etwas für seinen Kurs „Kunst in der Augustinischen Zeit“ zu tun, stellte er schnell eine Website für die Arbeiten der anderen Kursteilnehmer zusammen und pries sie ihnen per E-Mail als Online-Studienführer an. Die Kollegen lieferten innerhalb einer halben Stunde alle nötigen Daten an – und Zuckerberg bekam seinen Schein. Unbelastet von Studienzwang rackerte er bis an den Rand der Erschöpfung weiter an seinem Projekt. Am 4. Februar 2004 ging Facebook an den Start. „Wenn ich es an dem Tag nicht rausgebracht hätte“, erzählte er dem „Crimson“, „hätte ich es wahrscheinlich auf den Müll geworfen und etwas anderes gemacht.“

Nach zwei Wochen hatten

sich bereits 4000 User registriert, und Zuckerberg und Saverin wurde klar, dass sie ganz schnell Hilfe brauchten. Sie wandten sich an einen Zimmernachbarn, Dustin Moskovitz, der die Site einigen namhaften Universitäten anbot: Stanford, Columbia und Yale. Adam DAngelo, Zuckerbergs alter Highschool-Partner, richtete Datenbanken für die neuen Kunden ein. Etwa zu dieser Zeit wurden die Firmenanteile neu verhandelt: 65 Prozent für Zuckerberg, 30 Prozent für Saverin und fünf Prozent für Moskovitz. Ein weiterer Zimmernachbar, Chris Hughes, wurde als Firmensprecher engagiert. Am 13. April gründeten die drei offiziell ihr Unternehmen. Zuckerbergs Stellenbeschreibung auf Facebook lautete „Gründer, Befehlshaberund Staatsfeind“. Die Herrschaft der Computerfreaks hatte begonnen.

Die Ex-Partner von „Harvard Connection“ fühlten sich gelinkt. „Zuerst waren wir einfach nur fertig und ertränkten unseren Frust in einer Flasche Jack Daniels“, heißt es auf ihrer Website. „Doch dann tauchten wir mit einem schweren Kater und frischem Optimismus wieder auf und beschlossen, wir würden nicht zulassen, dass jemand einfach auf uns herumtrampelt.“ Sie schickten Zuckerberg einen Brief, in dem sie ihm drohten, die Sache vor die College-Leitung zu bringen, und teilten Präsident Summers mit, Zuckerberg habe den Ehrenkodex der Schule verletzt. Im Mai starteten sie ihre eigene Site unter dem neuen Namen „ConnectU“, der aber kein großer Erfolg beschieden war: Vier Jahre später sind immer noch nicht mehr als 15 000 User registriert.

Zuckerberg, behaupten sie, habe nicht nur ihre Idee gestohlen, sondern die Arbeit an ihrer Website absichtlich verzögert, um seine zuerst starten zu können. „Er hat damit geprahlt, die Arbeit an Facebook habe nur eine Woche gedauert, dabei hat er uns drei Monate hingehalten“, berichtete Cameron Winklevoss. „Thanksgiving lag dazwischen, dann die Winterferien. Er hätte reichlich Zeit gehabt. Mark wusste genau, was er tat.“ Sein Bruder Tyler war in einem Interview mit dem „Boston Globe“ noch offener: „Das ist, als ob dir einer dein Land wegnimmt. Du fühlst dich beraubt. Die Kids am anderen Ende des Flurs surfen auf der Site herum, und du denkst: ,Die -würde uns gehören, wenn uns dieser Raffzahn nicht aus dem Spiel gekegelt hätte.“ Zuckerberg wehrte sich von Anfang an heftig gegen diese Vorwürfe. Im Februar 2004 gerierte er sich in einem Brief an die College-Leitung als Opfer seiner eigenen Großmut. Nach diversen Hinweisen auf uneigennützige Hilfeleistungen fiel er offen über die früheren Auftraggeber von „Harvard Connection“ her: „Was mir allerdings nicht gefällt, sind Leute wie diese drei Jungs, die mir sagen, ich „müsste“ Dinge für sie tun – und mir dann drohen, wenn ich sie nicht tue. Offengestanden, ich bin entsetzt über diese Drohungen, nach all der Arbeit, die ich kostenlos für sie erledigt habe.“ Und zum Schluss: „Ich versuche, die Sache als lästiges Übel zu sehen. Wenn man Erfolg hat, muss man immer damit rechnen, dass irgendein Kapitalist da draußen ein Stück vom Kuchen abhaben will.“

Die Idee einer sozialen

Networking-Site habe damals einfach in der Luft gelegen, behauptete er gegenüber „Crimson“: „Es kursieren gar nicht so viele neue Ideen. Facebook ist nicht mal annähernd eine neue Idee. Es gibt jede Menge Vorläufer. Wir sind bloß auf die Idee gekommen, so etwas auf Uni-Ebene zu machen.“

Doch die Jungs von „Harvard Connection“ waren nicht die einzigen, die Zuckerberg des Ideenklaus bezichtigten. Schon im September 2003, einen Monat, bevor Zuckerberg seine Facemash-Site postete, hatte ein stiller, schlaksiger Harvard-Frischling namens Aaron Greenspan ein Netzwerkportal für seine Mitstudenten eingerichtet. Es war bereits die zweite Version; die erste, bei der man Adressen und andere persönliche Daten ins Netz stellen konnte, war grandios durchgefallen. Der „Crimson“ hatte Datenmissbrauch gewittert, und Greenspan war von der Universität verwarnt worden. Nach der Überarbeitung enthielt die Site einen Bereich, der TheFacebook hieß. Nur wenige Studenten meldeten sich an.

Dann hörte Greenspan, ein Kommilitone habe sich in die Datenbank der Universität gehackt und die Daten ins Web gestellt. Ende Oktober mailte er Zuckerberg und lud ihn ein. einem Ausschuss beizutreten, der Fördergelder an kommerziell interessante Studentenprojekte vergab. Zuckerberg antwortete freundlich, er werde beim nächsten Meeting mal hereinschauen. Am 6. Januar, eine Woche bevor er sich von „Harvard Connection“ verabschiedete, schickte Zuckerberg nachts eine Mail an Greenspan, in der er um Rat zu einem „streng geheimen Projekt“ bat. „Ich denke daran, eine Webanwendung zu bauen, die auf das Kursverzeichnis der Uni zugreift, aber nach der ganzen Facemash-Geschichte bin ich vorsichtiger geworden“, schrieb er. „Ich weiß, du hast Infos aus dem Katalog verwendet (tolle Leistung, übrigens), daher wollte ich wissen, ob du dafür eine Genehmigung brauchtest — und wenn ja, von wem du sie gekriegt hast.“

Greenspan reagierte schnell. Er fragte, ob Zuckerberg sein, Greenspans, früheres „Facebook“-Projekt in sein eigenes geheimnisvolles Programm einbauen wolle. Keine Chance. „Es ist besser, die beiden Sachen bis auf weiteres getrennt zu lassen“, antwortete Zuckerberg. „Wenn es erst mal läuft, könnte es Vorteile für beide Seiten haben, sie zu integrieren, aber darüber können wir ja noch reden.“

Im selben Monat verglichen Zuckerberg und Greenspan in der Mensa ihre Aufzeichnungen – und Zuckerberg fragte, ob Greenspan ihm bei seinem Geheimprojekt helfen wolle. Greenspan lehnte ab.

„Wie er redete, wie er angezogen war, alles an ihm wirkte total unreif, erinnert er sich. „Er wirkte nicht wie ein Profi. Ich kann das beurteilen, ich hatte schon mit 15 meine eigene Firma. Seine ganze Persönlichkeit ließ mich ziemlich kalt.“ Und obwohl er die Site seinerzeit lobte, sagt Greenspan heute, Zuckerbergs Facemash-Experiment habe ihn abgestoßen: „Man kann Software zu guten oder schlechten Zwecken schreiben, und das war zumindest ziemlich nah an schlecht. Es war nicht so, dass es ihm Freude machte, andere zu verletzen – es war ihm einfach völlig egal. Was ich fast noch schlimmer fand.“

Nachdem Facebook an den

Start gegangen war, suchte Zuckerberg eine Zeit lang weiterhin Greenspans Rat. Obwohl sie überwiegend über technische Fragen diskutierten, ließ Zuckerberg mitunter Ambitionen erkennen, die weit über die seiner Klassenkameraden hinausgingen. Sein neues soziales Netzwerk, schrieb er, werde mehr können als „Leute anzulocken“ und „Leute zu motivieren“. Er wollte etwas Neues schaffen, etwas, das einem tieferen Bedürfnis gerecht wurde. „Ich glaube, ich will das neue MTV werden“, verkündeteer.

Greenspan einen ideellen Anteil an der Entstehung von Facebook zuzugestehen oder ihn gar an dem Unternehmen zu beteiligen, kam für Zuckerberg nicht in Frage. Als Greenspan im Dezember 2004 das Handtuch warf und um einen Job in der rasch expandierenden Firma bat, waren alle seine Ratschläge auf einmal nichts mehr wert. „Wir suchen jemanden mit mehr technischer Erfahrung – so 10 bis 15 Jahre“, teilte ihm Zuckerbere kühl mit.

Der Typ, der als erster ein Online-Facebook für Harvard erstellt hatte, war für die Arbeit bei Facebook nicht qualifiziert genug.

Woher die Idee zu Facebook auch stammen mag – es war Zuckerbergs Version, die sich in jenem Frühjahr wie ein Virus an den Universitäten ausbreitete. Als am 28. Mai das Semester endete, hatten sich fast 200 000 User an 30 Colleges in ganz Amerika registriert. College-Studenten schienen ganz wild darauf zu sein, sich in Zuckerbergs digitalem Stammbuch herumzutreiben, privateste Dinge online auszubreiten und anderen virtuell auf die Pelle zu rücken. „Harvard hatte es schon ein paar Jahrhunderte gegeben, bevor unser junger Freund Mark auftauchte“, erklärt Jeff Jarvis, der an der New Yorker City University Journalismus unterrichtet. „Er half ihnen nur, das noch besser zu machen, was sie immer schon gemacht haben: feiern, Sex, studieren, sich vernetzen.“

Facebook unterschied sich von Anfang an von anderen Sociai-Networking-Sites, weil es die Einstiegshürde hoch legte — wer mitmachen wollte, musste über die E-Mail-Adresse einer kleinen Schar von Elite-Schulen verfügen. Das stellte sicher, dass sich User unter ihrem Realnamen registrierten und nicht, wie bei MySpace und Friendster, mit einem Pseudonym hcrumschwirren konnten. Das sparsame Design und die benutzertreundliche Bedienung machten die Site noch attraktiver. Facebook brilliert nicht durch geniale Programmierung, sondern durch das, was Zuckerberg gern „elegante Ordnung“ nennt: die Fähigkeit, soziale Wünsche in ein System zu bringen und ein sauberes, virtuelles Spiegelbild realer Beziehungen zu schaffen. „Es war besser als die Vorgänger“, meint Jarvis. „Friendster war ein Spiel, MySpace eine billige Homepage. Facebook war mit Abstand das Beste auf dem Markt.“

Doch die wachsende Popularität seiner Site hielt Zuckerberg nicht davon ab, denjenigen zu schaden, die ihm im echten Leben am nächsten standen. Als das Semester zu Ende war, packte er seine Sachen und flog nach Kalifornien. Für ihn war Silicon Valley „so was wie ein mythischer Ort für Start-ups“. Wie seinerzeit Bill Gates ließ er sich im Sommer 2004 von Harvard beurlauben und zog nach Palo Alto, um die nächste Stufe der Erfolgsrakete zu zünden. Er und Saverin beschlossen, noch mal je 20 000 Dollar in das Projekt zu investieren. Während Zuckerberg in Kalifornien weilte, würde Saverin in New York bleiben – eine Entscheidung, die sich als äußerst unklug erweisen sollte.

Zusammen mit Moskowitz,

zwei Praktikanten und ein paar anderen Jungs mietete Zuckerberg ein Haus am Jennifer Way, einer Sackgasse ein paar Meilen außerhalb des Stadtzentrums. Es war ein bescheidenes Refugium in einem ruhigen Viertel mit idyllischen Bungalows und staubigen Minivans, von denen Zuckerberg aber nicht viel mitbekam. Jahre später nach seinem Tagesablauf befragt, antwortete er knapp: „Aufwachen, vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer gehen, programmieren.“

Stephen Haggerty, der gerade sein erstes Jahr in Harvard absolviert hatte, bewarb sich in jenem Sommer um ein Praktikum bei Facebook. „Man musste schon sehr großzügig sein, Facebook damals eine Firma zu nennen“, meint er. Fast alle im Haus standen spät auf und blieben lange wach. Programmiert wurde von 12 Uhr mittags bis 5 Uhr morgens. „Ob wir noch was anderes machten als vor dem Computer zu hocken? Mark hatte eine Freundin, die aber irgendwann nicht mehr auftauchte. Manchmal veranstalteten wir Partys, zu denen wir Leute über Facebook einluden.“

Die WG shoppte im Billig-Supermarkt und kaufte im Baumarkt eine Wandtafel, um die Programm-Module zuzuordnen. Eines Tages gaben sie in einem Anfall von Spontaneität 100 Dollar für ein Hangelseil aus, das sie vom Schornstein ihres Hauses zu einem Telefonmast spannten, um in den darunter liegenden Swimmingpool springen zu können. Sie tranken Bier und hörten Bands wie Green Day und Infected Mushroom auf ihren Computern. Aber nie lief irgendwas aus dem Ruder-weil Zuckerberg mehr daran interessiert war, das soziale Leben anderer Menschen zu füttern als sein eigenes. „Wir waren alle Harvard-Kids, keine Party-Kids“, erklärt Haggerty. „Mark ist der totale Computer-Grufti. Er saß ständig vor dem Ding.“ Wenn er nicht programmierte, schaute Zuckerberg „Gladiator“ oder seinen Lieblingsfilm „The Wedding Crashers“. Als ihm seine Eltern die alte Fechtausrüstung schickten, verbrachte er einen glücklichen Tag

damit, wie ein ausgeklinkter Jedi-Ritter seinen Freunden den Degen unter die Nase zu halten, bis Schwertkämpfe im Haus auf der Verbotsliste landeten.

Wenn es überhaupt so was wie Spaß gab, lag das an Sean Parker. Der gehörte zu den Gründern von Napster und hatte bei einem Besuch seiner Freundin festgestellt, dass sie und ihre Freunde ständig auf einer neuen Site namens Facebook rumhingen. Parker erkannte das Potenzial, traf sich in New York mit Zuckerberg und Saverin und schwärmte ihnen vom großen Geld in Kalifornien vor.

Ein paar Wochen später

räumte Parker vor dem Haus seiner Freundin in Palo Alto gerade das Auto aus, als ein paar junge Typen auf ihn zukamen, unter ihnen Zuckerberg. Das Facebook-Team, so stellte sich heraus, wohnte nur zwei Straßen weiter. Parker, dessen Napster-Karriere schon mit 20 begonnen hatte, war genau der Typ lässiger Jungunternehmer, der Zuckerberg so gerne werden wollte. Bald wohnte Parker mit im Haus und machte Zuckerberg mit Investoren im Silicon Valley bekannt.

Selbst dort, bei den wichtigsten Kapitalgebern der Welt, ließ sich Zuckerberg nicht verbiegen. „Zu einem Meeting mit Sequoia Capital tauchte Mark im Pyjama auf“, berichtet Parker. „Er wollte ein Statement abgeben.“ Und das lautete: Für euch gebe ich meine Identität nicht auf. Zuckerberg trug Badelatschen und T-Shirts, wo er ging und stand, und lehnte alle Angebote zum Verkauf von Facebook ab. Parker bewunderte ihn dafür: „Das Letzte, was ich wollte, war, dass sie ihm die Firma wegnehmen.“

Er hätte sich keine Sorgen machen müssen — Zuckerberg war fest entschlossen, das auf keinen Fall geschehen zu lassen. Im Juli zerstritt er sich unter ungeklärten Umständen mit Saverin, gegen den er später Klage einreichte mit der Begründung, Saverin habe durch Sperrung der Facebook-Konten die Existenz des Unternehmens gefährdet. In Saverins Gegenklage hieß es, Zuckerberg habe seine 20 000 Dollar Kapital nie eingezahlt und Firmengelder für persönliche Zwecke verwendet. Im selben Sommer übertrug Zuckerberg alle geistigen Eigentumsrechte und seine Anteile an Facebook auf eine neue Gesellschaft in Delaware. Damit waren die Anteile des Rivalen vom Wachstum des Unternehmens abgekoppelt — und Saverin kein Mitarbeiter von Facebook mehr.

Wenig später traf Cameron Winklevoss ihn zufällig; in einer New Vorker Bar. Saverin entschuldigte sich bei ihm. „Sorry, dass er dich reingelegt hat“, soll er gesagt haben. „Mich hat er auch gelinkt.“

Die Ansage an Zuckerbergs Umfeld war klar: Niemand, nicht mal der alte College-Kumpel, der einmal sein engster Vertrauter gewesen war, würde ihm im Weg stehen. „Für ihn schien immer ganz wichtig zu sein, dass er der Boss sein würde, wenn erst mal das Geld da war, und dass er die Kontrolle über die Firma behalten würde“, meint Haggerty. „Er weiß, was er will: Facebook über alles.“

Im Dezember 2004 sah es

ganz danach aus. Nur zehn Monate nach dem Start hatte die Site eine Million User. In Harvard erklärte Lawrence Summers den frisch eingetroffenen Erstsemestern, er kenne sie bereits durch ihre Facebook-Profile. Der Student, dem man einst mit Rauswurf gedroht hatte, weil er geklaute Fotos seiner Kommilitonen ms Netz stellte, hatte die gesamte Kultur von Harvard verändert.

Anfang 2005 beförderte Zuckerberg seinen Freund Sean Parker zum Vorstand von Facebook, weil er von dessen Silicon-Valley-Beziehungen zu profitieren hoffte. Doch auch diese Freundschaft sollte ein jähes Ende finden. Im Oktober trat Parker ganz plötzlich zurück, nachdem er bei einer Party verhaftet worden war. Obwohl es nie zu einer Anklage kam und Parker bestreitet, Drogen dabeigehabt zu haben, sagte Zuckerberg als Zeuge aus, man habe bei Parker schon Kokain gefunden, und er sei kaum in der Lage, ein Unternehmen zu führen. „Sean hat die Leute kirre gemacht , gab er zu Protokoll. Selbst der Napster-Gründer war dem Aufsteiger aus Harvard nicht mehr gut genug.

Ungeachtet der Turbulenzen im Management gingen die Nutzerzahlen weiterhin steil nach oben, und im Frühjahr 2005 begann auch das Geld zu fließen: Eine Risikokapitalfirma investierte 12,7 Mio. Dollar in die Site. Als Facebook seine Tore für Highschool-Schüler öffnete, vergrößerte sich die Userbasis innerhalb weniger Monate auf 5,5 Millionen. Doch Zuckerberg, nun einer der reichsten Mittzwanziger der Welt, spielte weiter die Rolle des College-Boys. Er hatte zwei Visitenkarten – eine einfache, nur mit seinem Namen drauf, und eine andere, auf der stand: „im ceo … bitch“. Und er versicherte jedem, der es hören wollte, er sei an Geld nicht interessiert. „Ich bin dabei, weil ich etwas Cooles aufbauen möchte“, erklärte er „Fortune“, „nicht, um gekauft zu werden.“

Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, seine Vision von Facebook als sozialem Marktplatz mit weltweiter Präsenz weiterzuverfolgen. (In Deutschland konnte er den Siegeszug von StudiVZ allerdings nicht verhindern.) Im November letzten Jahres präsentierte er Werbekunden ein neues Programm namens Beacon, mit dem Einzelhandelsketten auf die Facebook-Seiten ihrer Kunden zugreifen konnten. Jedes gekaufte Sofa, jede Jeans und jeder MP3-Player würde in einem entsprechenden Eintrag im Facebook-Profil resultieren. Das Ziel war so einfach wie revolutionär: Zum ersten Mal sollte Werbung integraler Bestandteil der sozialen Interaktion im Netz werden.

„Medien ändern sich einmal alle hundert Jahre“, referierte Zuckerberg. „Die letzten hundert Jahre wurden von den Massenmedien geprägt. In den nächsten hundert Jahren werden Informationen nicht mehr massenweise verbreitet, sondern gezielt über die millionenfachen Beziehungen, die zwischen Menschen bestehen.“ Diese Beziehungen anzuzapfen sei in Zukunft für erfolgreiche Werbung.

Trotzdem war Beacon kein

großer Erfolg beschieden. Die User protestierten heftig gegen diesen Eingriff in ihre Privatsphäre, und Zuckerberg entschuldigte sich. Doch seine kühnen Pläne motivierten Microsoft, 240 Mio. Dollar in Facebook zu investieren, dessen gesamten Wert es damit auf 15 Mrd. Dollar ansetzte – eine unglaubliche Zahl, wenn man bedenkt, dass der Umsatz letztes Jahr bei gerade mal 150 Mio. Dollar lag. „Oberflächlich betrachtet ist es Wahnsinn“, meint Charlene Li, IT-Analystin und Co-Autorin eines Buchs über soziale Netzwerke. „Warum bezahlt Microsoft so viel Geld für einen kleinen Firmenanteil? Aber eigentlich ist es unerheblich, ob Facebook nun eine oder 15 Milliarden wert ist. 15 Milliarden bedeutet nur, dass niemand außer Microsoft es sich noch leisten kann.“

Doch je mehr Geld in das Unternehmen strömte, desto kleiner wurde der Kreis von Zuckerbergs Vertrauten. Chris Hughes schloss sich dem Wahlkampfteam von Barack Obama an. Im Mai ging auch Adam D’Angelo. Die Gerüchteküche meldet, Dustin Moskovitz habe die N ase voll. Eduardo Saverin hat das Unternehmen verklagt.

Für Zuckerberg ist es einfach, Saverin, „Harvard Connection“, Greenspan und all die anderen, die ins Gras beißen mussten, als Hochstapler hinzustellen, die nur auf ein Stück vom Kuchen scharf waren. Facebook hat eine Gegenklage eingereicht, in der „Harvard Connection“ unfaire Geschäftsmethoden vorgeworfen werden. „Facebook ist Ergebnis des Erfindungsreichtums und der harten Arbeit seiner Gründer“, gab das Unternehmen letztes Jahr bekannt. „Wir wehren uns gegen jede Behauptung, Mark Zuckerberg habe Ideen oder Code gestohlen, um Facebook zu realisieren.“

Mittlerweile wird mit immer härteren Bandagen gekämpft. Die Anwälte von „Harvard Connection“ werfen Facebook ein „Hütchenspiel“ mit Festplatten vor, um den gestohlenen Code zu verstecken. Als die Datenträger schließlich wieder auftauchten, waren wichtige Daten aus Zuckerbergs Harvard-Zeit auf geheimnisvolle Weise verschwunden. „Es ist schon verdächtig, wenn nicht gar unmöglich, dass der Code von ,Harvard Connection‘, der Code für TheFacebook.com und der Facemash-Code angeblich nicht mehr existieren“, erklärten die Anwälte der Kläger in einer Anhörung.

Während Facebook heute auf Platz sechs der weltweit am häufigsten besuchten Sites steht, krebst ConnectU auf Platz 377 920 herum. Divya Narendra arbeitet für eine Investmentfirma in New York. Die Winklevoss-Zwillinge rudern immer noch und trainieren für Olympia. Auf seiner Facebook-Seite schreibt Tyler Winklevoss, er werde sich mit Zuckerberg gütlich einigen; passiert ist aber noch nichts. Dass sich die gerichtlichen Auseinandersetzungen endlos hinziehen deutet darauf hin, dass es bei dem Streit um Facebook zumindest für die, die sich von Zuckerberg betrogen fühlen, um mehr geht als Geld. Winklevoss zitiert auf seiner Seite aus Shakespeares „Richard II“: „Meine Ehre ist mein Leben, sie sind in eins verwachsen; nehmt mir meine Ehre, so habt ihr mein Leben genommen.“

Ob Zuckerberg das Gesetz

gebrochen hat, als er Facebook schuf, ist schwer einzuschätzen. Manchmal scheinen große Ideen an vielen Orten gleichzeitig zu sein. Newton und Leibniz entwickelten unabhängig voneinander die Grundlagen der Infinitesimalrechnung, was zu Beginn des 18. Jahrhunderts für einigen Wirbel sorgte.

Darwin und Wallace veröffentlichten 1858 beide ein Modell der Evolutionstheorie. Als Marc Zuckerberg im Oktober 2003 in seinem Studentenzimmer hockte, gab es in Harvard bereits eine Online-Datenbank, die Facebook genannt wurde. Zuckerberg machte sie lediglich interaktiv. Die Tatsache, dass ein paar andere Studenten zur selben Zeit dieselbe Idee hatten, macht aus ihm noch keinen Dieb. Und die Tatsache, dass viele ihn für ein ausgemachtes Arschloch halten, bedeutet nicht, dass er etwas Verbotenes getan hat. „Es gibt viele Dinge, die der Durchschnittsbürger für verwerflich hält, die aber nicht gegen das Gesetz verstoßen“, meint James Boyle, Rechtsexperte an der Duke Law School. „Ich warne davor, den ,Igitt, was für ein Kotzbrocken‘-Reflex mit Gesetzesbruch gleichzusetzen.“

Zuckerberg präsentiert sich gern als harmloser Computerfreak, der sich ein kleines Programm ausgedacht hat, das die Welt zu einem besseren Ort macht.

„Ich bin nur ein kleiner Junge“, versicherte er „Crimson“. „Ich langweile mich schnell – und Computer faszinieren mich. Das sind die entscheidenden Faktoren.“ Doch im Gegensatz zu den meisten anderen Nerds besitzt Zuckerberg Talente, die über die monomanische Verarbeitung von Einsen und Nullen hinausgehen. Selbst seine Kritiker geben zu, dass er einiges mit Donald Trump gemeinsam hat, dass er mit allen Mitteln zu kämpfen versteht, egal was sich ihm in den Weg stellt. Und wie bei Trump treiben kaputte Beziehungen in seinem Kielwasser, was die Frage aufwirft, wie es mit Zuckerbergs Führungsqualitäten bestellt ist. Es ist eine Sache, eines nachts in deiner Bude auf The A(ext Big Thing zu stoßen, aber eine ganz andere, daraus ein Imperium zu bauen, das potenziell alle Wal-Marts dieser Welt wie Zwerge erscheinen lassen könnte.

„Er ist jung – das macht mir Sorgen“, sagt Kara Swisher, die im „Wall Street Journal“ über Silicon Valley schreibt. „Wie viele Beziehungen hat er mit 24 schon auf dem Gewissen? Selbst wenn er nicht schuld ist: Die Zahl der Leute, mit denen er sich in seinem zarten Alter angelegt hat, ist schon bemerkenswert — und das meine ich nicht im positiven Sinne.“

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