DER KAUZ

Am Anfang geht er zur Toilette, und als wir zwei Minuten später immer noch am Eingang herumstehen, sagt er im Vorbeigehen zu seiner Begleiterin von der Agentur: ,,Ich hätte dann gern noch ein Rumpsteak. Mit Kräuterbutter.“ Es dauert eine Weile, bis wir die Bestellung als Scherz begriffen haben -wir sahen schon den Bringdienst mit dem Steak. Mit Kräuterbutter! Ein Brüller. Wir sind in Berlin, nahe der Siegessäule und des Oscar-Niemeyer-Hauses im Hansa-Viertel. Es gibt Kaffee, Wasser, Gummibärchen. Devid Striesow ist für ein paar Stunden hier, um über seine Rolle als Kommissar Stellbrink im ,,Tatort“ des SR zu sprechen. Die ersten beiden Folgen hatte Hannu Salonen inszeniert, der zuletzt auch die Filme für Striesows glücklose Vorgänger gedreht hatte. Salonen macht Filme wie ein Amerikaner, er verfärbt die Bilder, alles ist in Bewegung, er zoomt und springt, und manchmal wirkt das surrealistisch. Was ganz gut passt, denn das Entführungsdrama seines ,,Tatort“-Debüts wird recht skurril, wenn Striesow – in Gummistiefeln -ein entführtes Mädchen entführt und sich mit dem gesamten Staatsapparat anlegt, obwohl er gerade von Norddeutschland nach Saarbrücken gekommen ist. Devid Striesow kann den Film nicht retten und auch nicht die verschrobene Figur Stellbrink. Vor dem zweiten Striesow-,,Tatort“ fragte „Bild“:“Sehen wir morgen den schlechtesten ,Tatort‘ aller Zeiten?“ Der Film ist wieder nicht gut, das stimmt, ein Drama unter Klischee-Rockern mit den Ritualen und Ehrenbezeugungen, die man aus der Zeitung kennt. Und Striesow ist Kindskopf, Rebell, Romantiker, Pedant und Kauz. Er spielt all seine Rollen in einer.

An dem verhaltensauffälligen Kommissar hat er mitgearbeitet -leider wurde zu dick aufgetragen, zu weit entfernt von einem vorstellbaren Polizisten. Was Til Schweiger an Brutalität übertreibt, das überzeichnet Striesow an Tutigkeit. Er kann das erklären. „Was mich interessiert hat, um in ein Reihenformat einzusteigen, in eine federführende Rolle, war natürlich die Langfristigkeit -dass man als Schauspieler die Möglichkeit hat, über mehrere Teile eine Figur zu zeigen. Auch ein bisschen was zu zeigen, das außerhalb des Verständnisses liegt, was man als Format sieht. Dass man erst mal was behauptet und sich dann so viele Facetten wie möglich offen lässt.“

Zum ersten Mal wahrgenommen haben wir ihn als rotwangigen Assistenten von Bella Block, der ein wenig bärbeißigen älteren Dame, gespielt von der berühmten Hannelore Hoger. „Das war super, eine tolle Zeit -wir kamen prima miteinander aus, und ich konnte eine Menge lernen“, sagt Striesow mit einem Blick, der wohl bedeuten soll: Nicht alle kommen mit der Hoger so gut aus. Der junge Kollege – im Film – beobachtete Frau Block mit einer Mischung aus Bewunderung, Respekt und Belustigung. Mittlerweile ist Bella in Rente, wird aber noch immer für schwere Fälle – und das ist, zum Glück, jeder -von der Hamburger Polizei angefordert.

Striesow hat seine Rolle mit kleinen Seitenblicken, norddeutscher Nöligkeit und spöttischen Bemerkungen verfeinert. In „Bella Block“ ist er, wie so oft, eine ambivalente Gestalt -der etwas seltsame junge Mann mit dem Kindergesicht, der jeden Moment durchdrehen oder weinen könnte. Striesow hat eine starke physische Präsenz -aber er wirkt auch wie ein Mann mit einem Geheimnis, eine Tabula rasa, auf die der Zuschauer seine Wünsche, Ängste und Sehnsüchte schreiben kann. Deshalb besetzte Tom Tykwer ihn für ,,Drei“, den Film über eine sexuelle Triangel und die Formen der Liebe. Adam ist ein bisexueller Wissenschaftler, der allein lebt, aber regelmäßig Frau und Kind besucht. Im Schwimmbad macht er Männer an, im Labor fällt er über Sophie Rois her. Wenn man Striesow fragt, ob diese Gestalt auch noch andere Interessen (außer libidinösen) hat, sagt er:“Wieso, das ist doch schon einiges -Motorradfahren, Schwimmen, Singen im Chor, Ficken “ Stimmt auch.

Devid Striesow wurde auf Rügen geboren, 1973. Er ging in Rostock zur Schule, spielte Geige, dann Gitarre in einer „Folk-Punk-Band“, wie er sagt. „Das erste Konzert war zur Parteidokumentenübergabe im Dieselmotorenwerk Rostock. Noch im Blauhemd. Dann habe ich das fünf Jahre gemacht. Ich bin sogar noch aus dem Schauspielstudium nach Hause gefahren, um zu mucken. Aber auch, weil es mir an der Schauspielschule nicht so gut gefallen hat.“ Beinahe wäre er Goldschmied geworden, trotz der Erfahrung als Musiker und seiner offenkundigen schauspielerischen Begabung. „Durch die Wende gab’s die Möglichkeit, das Abitur zu machen und endlich zu studieren. Das war vorher alles nicht machbar. Da gab es pro Klasse einen Schüler oder zwei, die Abitur gemacht haben. Der Rest ist in die Produktion gegangen. (spricht mit greiser Lehrerstimme) Und ich war nicht so gut, dass ich Abitur machen durfte.“

In Berlin ging Striesow dann an die Schauspielschule Ernst Busch und heiratete die Kollegin Maria Simon, mit der er ein Kind hat. Zusammen spielten sie in Düsseldorf im „Käthchen von Heilbronn“, und Jürgen Gosch, ein großer Theaterregisseur, fragte Striesow schon während der Proben, ob er den „Hamlet“ spielen würde. So ging er mit Gosch ans Schauspielhaus in Hamburg, aber ohne festes Engagement. Das erwies sich als ein Glücksfall, denn bald kamen die ersten Angebote für Filme. Rainer Kaufmann engagierte ihn im Jahr 2000 für „Kalt ist der Abendhauch“ nach Ingrid Noll, einen Film, in dem viele heute berühmte Schauspieler erste Erfahrungen sammelten. „Schon im letzten Studienjahr hatte ich meinen allerersten Kinofilm (,Amerika‘ von Jens Jenson). Eine Art Roadmovie. Ich habe einen Bergarbeiter im Osten gespielt, der nach der Wende eine Reise entlang der innerdeutschen Grenze macht. Der Regisseur hat mir tatsächlich noch jeden Millimeter von seinem Film vorgerechnet. Und er hat mir moralische Dinge vermitteln können. Der meinte zum Beispiel:,Für dieses Stück Strand, das du gleich langgehst, haben Leute zehn Stunden gearbeitet, damit das so aussieht.‘ Und dann geh da als Schauspieler mal lang!“

Striesow lacht. Er trägt eine Schiebermütze und sieht schalkhaft, jungenhaft aus. Er erzählt von Stefan Stoppok, einem Songschreiber und Gitarristen, für den er schwärmt. „Wenn man jemanden noch authentisch nennen kann, dann ihn!“ Als er das Titelblatt des ROLLING STONE auf dem Tisch sieht, murmelt er sinnierend: „David Bowie “ So als würde er die Möglichkeiten prüfen, die dieser Name eröffnet, die Konnotationen, die er mit ihm verbindet. Striesow ist gerade nicht theatralisch, sondern sagt spontan, was ihm in den Sinn kommt. Seine Figuren wirken oft gehemmt, schüchtern, übersensibel, beinahe verstockt. Und doch sind sie so raffiniert wie der Hochstapler in „So glücklich war ich noch nie“, so pragmatisch wie der Parkwächter in „Valerie“, so dreist wie der Bigamist in „Das Herz ist ein dunkler Wald“.

Devid Striesow ist allerdings auch der Favorit der Casting-Leute für die Besetzung der Blonden Bestie. In „Der Untergang“ (2004) ist er eine subalterne Nazi-Figur im Bunker, in „Napola“(2005) spielte er den Sturmbannführer als Boxer mit Herz, der einem Berliner Zögling ermöglichen will, was ihm selbst misslang.

In Stefan Ruzowitzkys mit dem Auslands-Oscar prämierten Film „Die Fälscher“ ist er der Lagerkommandant Herzog, der bei den spezialisierten Präzisionsarbeitern an den Grafik-Tischen, Lupen und Notenpressen ein bisschen Gott spielt. Das Joviale dieser Gestalt ist atemraubend: Herzog lässt den inhaftierten Meisterfälscher Salomon Sorowitsch zu seinem Anwesen kommen. Die Ehefrau plappert saloppen Blödsinn und führt die drei Kinder vor, Herzog trägt einen Tennispullover, schenkt Cognac ein und rühmt sich, seine Kinder nicht zu schlagen. Man glaube nur ja nicht, dass er Nazi sei! Er mache seine Arbeit dort, wo er gebraucht werde. Dann wird er vehement: Bald braucht er eine taugliche Fälschung der Dollarnote – koste es, was es wolle. Später lässt er sich von Sorowitsch schriftlich bestätigen, dass er seine Gruppe beschützt hat -„ach, schreiben Sie zur Sicherheit noch ,Jude‘ unter den Namen.“ Striesow selbst beschreibt den Mann als „eiskalten Intellektuellen und Berufsverbrecher“. Aber da ist auch ein Schöpferstolz in Herzog, weil er dieses Fälschungslabor leitet und schon das britische Pfund in Massenproduktion hergestellt hat. Er ist eine deutsche Figur, ein wehleidiger, ehrgeiziger, opportunistischer Apparatschik, der nur von seinen Insignien zusammengehalten wird. „Ich habe mit zwölf ,Nackt unter Wölfen‘ von Bruno Apitz gelesen. Über ein Kind in Buchenwald, das dort von den Häftlingen versteckt wird. Ich war erschüttert von diesem einen wahnsinnig brutalen Typen, SS-Mann -Reineboth heißt der, glaube ich. Diese Figur habe ich immer im Kopf behalten. Als das Drehbuch für ,Die Fälscher‘ kam, hatte ich das Gefühl, dass meine Rolle irgendwas davon haben muss. Ich habe mir dann die Requisiten selbst ausgesucht: Ledermantel und Handschuhe. Und darauf bestanden, dass man den Mantel gleich in der ersten Szene sieht, wenn die Figur auftaucht.“

Auch „Die Fälscher“ gehört zu jenen Filmen über die Zeit des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts, die ein Happy End haben, weil ihr Protagonist überlebt. Sorowitsch sehen wir in Monte Carlo wieder, wo er am Roulette-Tisch die Falsifikate verjubelt und eine Frau kennenlernt. Er ließ Herzog laufen, als er in seiner Gewalt war. Der Jude verzeiht dem Despoten, der eine Tischtennisplatte in die Baracke stellte und mit Erschießung drohte für den Fall, dass die Dollarnote nicht überzeugend gefälscht würde. „Das ist die Banalität des Bösen, um mal mit Hannah Arendt zu sprechen“, sagt Striesow. „Durch die Banalität wird’s ja so unglaublich brutal. Dazu kam, dass ich eine der Originalfiguren kennenlernte, Adolf Burger. Der hat uns mit über 90 Jahren am Set besucht. Mit dem konnte ich mich darüber unterhalten. Und ich bin im Vorfeld nach Sachsenhausen gefahren, zu diesen Fälscherbaracken.“ Ausgerechnet Striesow fehlte dann bei Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“, der Christoph Waltz und Sylvester Groth die besten Leistungen ihrer Karriere ermöglichte.

Zuletzt sah man Striesow in drei, vier Filmen im Jahr. In Dieter Wedels wirrer Farce „Gier“, in der Ulrich Tukur und er machen, was sie wollen, während die desorientierte Sibel Kekilli untergeht. In der zarten Parabel „Blaubeerblau“, in der ein duldsamer, verschlossener Gartenarchitekt das Leben entdeckt, weil ein ehemaliger Mitschüler stirbt. Er spielt noch immer bei „Bella Block“ mit. Die Frage, weshalb er so begehrt ist, soll man einem Schauspieler nicht stellen. Auch Striesow zweifelt nicht an sich, deutet auf einen Stapel Papier: „Da ist schon wieder das nächste Drehbuch.“ Und das Geheimnis, die Innerlichkeit, die Versenkung, die Stanislawski-Methode, das method acting?“Wenn man ein Angebot bekommt, weiß man im Prinzip durch die Kommunikation mit dem Regisseur, was er mit der Rolle erzählen will. Dann versucht man sich auf etwas zu einigen, was am Ende so aussieht, als wäre es ein Geheimnis.“

Das bringt uns zu dem Geheimnisvollsten, dem Ingmar Bergman unter den deutschen Regisseuren – Christian Petzold. Er hat seine eigene Schule begründet, er hat seine Manierismen und seine Muse, Nina Hoss. Striesow drehte 2007 „Yella“ mit ihm.

„Bei ,Yella‘ erinnere ich mich weniger an die Rolle als an die Zusammenarbeit mit Christian Petzold. Ich hatte kurz zuvor ,Gespenster‘ gesehen und fand den so großartig, dass ich nächtelang mit Kollegen diskutiert habe über Wahrhaftigkeit und Film und so. Und da kam plötzlich ein Angebot ins Haus von Petzold. Da war ich erst mal auf Wolke sieben. Und dann noch mit Nina (Hoss)! Ich wäre bald durchgedreht. Wir haben dann erst ,Das Herz ist ein dunkler Wald‘ gedreht, und ungefähr eine Woche später fingen die ,Yella‘-Dreharbeiten an.

Die Arbeit mit Petzold war dann auch erwartungsgemäß toll. Meine jüngste Tochter heißt nun Yella.“

Das Striesow-Film-Schauen kann zur Obsession werden. Eben noch war er der verständnisvolle, trockene Bundeswehr-Offizier in „Auslandseinsatz“, in dem holzschnittartig das deutsche Bemühen um Diplomatie mit Waffen in Afghanistan gezeigt wird, da ist er schon wieder „Transpapa“, ein transsexueller Familienvater. „Ich will mich nicht festlegen auf die Nummer. Das ist immer so langweilig, wenn die Leute sehen: ,Aha, da hat er einen Transsexuellen gut gespielt, deshalb spielt er den auch bei mir.‘ Wie soll ich denn da noch Fantasie entwickeln?“

Für Jens Stellbrink, den Kommissar in Diensten des Saarländischen Rundfunks, wird er noch viel Fantasie benötigen -„Eine Handvoll Paradies“ fiel erwartungsgemäß durch. Selten wurde ein „Tatort“ so einhellig verrissen, als „lächerlich“ und „peinlich“ bezeichnet. Es ist die erste Delle in Striesows Karriere: eine Figur, die nicht funktioniert. Dabei hatte er sich den unberechenbaren, mal poetisch verstiegenen, dann altmodisch-ritterlichen und manchmal halb irren Kommissar so gut zurechtgelegt: „Er hat eine ziemlich große Bandbreite: zum einen dieses chronisch gut Gelaunte, auf der anderen Seite das Verbissene. Er geht einmal über die Grenze nach Frankreich und schießt dort. Oder er kriegt die Knarre nicht aus dem Handschuhfach. Das hat nichts mit Realität zu tun und soll es auch nicht. Ich war letzte Woche auf einem Kommissariat in Reinickendorf, wollte mir das mal angucken. Das sieht dort ganz anders aus. Dagegen haben wir ein Barockschloss.“

Devid Striesow greift noch einmal zu den Gummibärchen; das Steak mit Kräuterbutter kam nicht. Aber er hat keinen weiten Heimweg nach Berlin-Pankow, wo er mit seiner afrikanischen Frau und zwei Kindern wohnt. „Heute Abend gibt es Putenbraten“, verrät er leutselig. Und ist beinahe ein bisschen unheimlich.

FÜNF FILME

Striesows Beste

„LICHTER“

HANS-CHRISTIAN SCHMID, 2003

In dem Grenzgänger-Drama spielt Striesow mit Kassengestell-Brille und Scheitel einen schwitzigen Marketender, der in Frankfurt/Oder ein paar Leute sucht, die Reklamezettel für Bettmatratzen verteilen. Weil er bankrott ist, werden die Matratzen aus seinem Laden abgeholt, und die Fassade des Geschäftsmanns zerbröckelt. Eine Frau aber bleibt unerschütterlich an der Seite des Verlierers.

„VALERIE“

BIRGIT MÖLLER, 2006

Ein polnisches Model, das sich als Französin ausgibt, kann die Hotelrechnung nicht bezahlen und übernachtet in ihrem Auto in der Tiefgarage, die sie nicht verlassen kann, weil sie nicht einmal Geld für den Parkautomaten hat. Der Wächter durchschaut das Elend, gibt sich erst korrekt und bietet dann Hilfe an. Die Annäherung zweier Randexistenzen in einem unsentimentalen Film.

„SO GLÜCKLICH WAR ICH NOCH NIE“

ALEXANDER ADOLPH, 2009

Striesows Paraderolle als Hochstapler Frank, der den reichen Gönner gibt und sich in die Prostituierte Tanja (Nadja Uhl) verliebt, die er aus dem Milieu befreien will. Der Hanswurst als romantischer Luftikus mit Realitätsverlust.

„DREI“

TOM TYKWER, 2010

Eine ganz und gar unwahrscheinliche Ménage à trois: Devid Striesow zwischen Sophie Rois und Sebastian Schipper, die ein in Routine erstarrtes Paar spielen. Beide beginnen eine Affäre mit dem bisexuellen Wissenschaftler. Eine Versuchsanordnung zu Schicksal, Zufall und Fügung.

„BLAUBEERBLAU“

RAINER KAUFMANN, 2011

Ein Landschaftsarchitekt, der Wellness-Oasen für Millionäre anlegt, trifft in einem Sterbehospiz einen todkranken Schulkameraden wieder. Zunächst ist er befremdet, kündigt dann aber seine Arbeit und ändert vollkommen sein Leben.

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