Der kurze Weg zum Indie-Glück

LANGE ZEIT SCHIEN das Internet wie ein übermächtiger Feind für Musikindustrie und Musiker. Grassierende Piraterie über Filesharing-Systeme und gratis verfügbare Songs haben das klassische Geschäftsmodell auf eine lange Talfahrt geschickt. Mit dem Web 2.0 kündigte sich ein weiterer Paradigmenwechsel an, der nochmals die brüchige Substanz erodieren ließ. Zumindest von der Theorie her ließ das demokratisierende Moment von sozialen Netzwerken und die Gleichberechtigung jeglichen Outputs die „Vermittler“ des Musikbiz mittelfristig obsolet werden. Eine Vision, die besonders die Piratenpartei anfangs begeistert aufgegriffen hat: Musiker kontrollieren Anfang und Ende der Wertschöpfungskette, in nahezu direktem Kontakt zum Konsumenten.

Man sollte diesen rasanten Wandel eher als Umbruch mit neuen Chancen sehen. So betrachtet das Marcus Rüssel, Geschäftsführer der Berliner Website Gigmit: „Klassische Majors, die Tanker in der Branche, schauen sich auch nach neuen Geschäftsmodellen um und wissen, dass sie auf die bisherige Art und Weise nicht weitermachen können. Aber in welchem Geschäftsfeld ist das schon so? Es gibt Künstlertypen, die können und wollen sich selbst nicht managen und ihnen fehlt auch das nötige Wissen. Die Frage ist: Was will man sich leisten und wie viel Unabhängigkeit möchte man überhaupt?“

Seit gut sechs Monaten ist Gigmit online, als Live-Kontaktbörse zwischen Musikern und Veranstaltern. Beide Seiten können Profile erstellen. Sowohl über die Veranstaltung als auch über die Band werden die wichtigsten Informationen abgefragt. Rüssel griff bei der Konzeption auf seine eigene langjährige Erfahrung als Veranstalter zurück und optimierte schlichtweg die Kommunikation. Dutzende E-Mails und ewig lange Wartezeiten stehen für Newcomer üblicherweise vor einem erfolgreichen Vertragsabschluss. Auch den vereinfacht Gigmit, indem Angaben vom Veranstaltungs-und Musikerprofil wie Termin, Location, Gage und benötigte Technik direkt als Vereinbarungen in einen Vertragsentwurf übertragen werden können. Neben praktischen Vorteilen, dass etwa durch Matchmaking nach Genres eine gegenseitige Zumüllung mit unpassenden Angeboten verhindert wird, gibt es auch einen finanziellen. Bei erfolgreichen Vertragsabschlüssen erhält Gigmit eine Provision von 8 Prozent der Gage. Damit bleibt vergleichsweise viel beim Künstler. Selbst wenn eine Agentur das Booking übernimmt und dafür den Service von Gigmit nutzt.“Wir versuchen, Dinge zu optimieren, sodass die Agenturprovisionen nicht utopische Summen betragen. Wenn etwa ein Künstler aus den USA nach Deutschland kommt, wimmelt es von Zwischenhändlern. Der US-Agent hat einen Europa-Partner, der wiederum einen deutschen Partneragenten hat. Der beauftragt dann einen Veranstalter, die Tour zu organisieren. Damit sind vier Leute in der Kette, die alle 10 bis 20 Prozent an Provision kassieren. Das ist eher das Problem, nicht eine einzelne Agentur-Provision.“

Gigmit sieht sich als Business Tool, weswegen Marcus Rüssel auch so gut wie keine Werbung schalten will. Der Online-Service Loudplaces, der sich auf Ticketverkäufe und Eventmarketing konzentriert, hat einen ebenso professionellen Anspruch, während man mit der Facebook-App GetBooked auf kleinerer Ebene eine Band fürs eigene Wohnzimmer buchen kann. Prinzipiell kann aber jeder Service von jedem Künstler bzw. jedem kleinen Label genutzt werden. Die Infrastruktur stellt der jeweilige Anbieter zur Verfügung, ob nun für Booking, Vertrieb, Promotion oder im sogenannten Crowdfunding, um für ein Projekt die nötigen finanziellen Mittel zu sammeln. Aufmerksamkeit ist ein Schlüsselwort für den Erfolg. Etablierte Künstler haben hier natürlich einen Vorteil. Aber gibt es Grenzen, welche Größenordnung eine Plattform wie Gigmit stemmen kann? Marcus Rüssel ist optimistisch: „Eine Tournee in den Dimensionen von Herbert Grönemeyer ist schon sehr komplex, aber ich würde diese Herausforderung jederzeit annehmen. Weil eigentlich alles möglich ist. Das ist das Schöne an Technologie. Man fragt einen Entwickler und er sagt: Natürlich geht das. Die Frage ist nur, wie lange es dauert, wie viele Leute daran arbeiten müssen und ob man sich das leisten kann.“

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