Schuss und Gegenschuss

ES GIBT EINEN ZIEMLICH langen Wikipedia-Eintrag, der den Titel „Liste der Militäroperationen der Vereinigten Staaten“ trägt und ganz gut visualisiert, was wir natürlich wissen: Die USA sind eine Nation, die sich eigentlich ständig im Kriegszustand befindet. Selbst die Bekämpfung des Terrorismus ist natürlich ein „war on terror“, bei dem – wie die NSA-Spähaffäre gezeigt hat – jeder ein Verdächtiger ist. Auch wir. Vielen, die nicht eh schon immer kritisch auf den wichtigsten westlichen Verbündeten der Bundesrepublik schauten, sind die USA fremd geworden in den vergangenen Monaten. Die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen sieht in der Art, wie Amerika in Filmen von den eigenen traumatischen Kriegshandlungen erzählt, einen Schlüssel zur amerikanischen Mentalität. „Hollywoods Kriege. Geschichte einer Heimsuchung“ heißt ihr neues, viel diskutiertes Buch. ROLLING STONE traf die 55-Jährige in Frankfurt.

Haben Sie unter all den Kriegsfilmen, die Sie für dieses Buch gesehen haben, einen Lieblingsfilm?

Sie sind mir alle lieb geworden. Es sind alles meine Kinder (lacht) Als ich dieses Buch angefangen habe, kannte ich vielleicht 25 Kriegsfilme. Im Zuge meiner Recherche habe ich vielleicht 200 gesehen. Darunter ist aber kein absoluter Liebling. Bei Kubrick komme ich richtig ins Schwärmen. Der hat mehrere interessante Kriegsfilme gemacht: „Barry Lyndon“ gehört da mit hinein und „Full Metal Jacket“, aber natürlich vor allem „Wege zum Ruhm“, der ist ganz großartig Und er wollte ja auch immer einen Napoleon-Film machen.

Sie schreiben in Ihrem Buch, Kino sei ein privilegierter Ort der Erinnerung. Ist das eine amerikanische Ausnahme oder gilt das generell?

Ich würde gerne sagen, dass diese These auch für das französische oder deutsche Kino stimmt. Aber diese Idee, dass man sich im Kino an etwas erinnert, ist spezifisch amerikanisch, weil diese ganze Vorstellung von Geschichte im Amerikanischen immer schon imaginär war.

In Amerika verlagert sich im Laufe der Jahrhundertwende ins 20. Jahrhundert tatsächlich das Interesse und die ganze kreative Energie in die Massenkultur -weshalb ja auch Greil Marcus schreibt, was Literatur von Melville und Poe im 19. Jahrhundert ist, das übernehmen im 20. Jahrhundert Comic, Musik und Film. Für Amerika ist das Kino besonders wichtig, und es ist ganz spezifisch, weil Film eine demokratische Kunstform ist, die von ganz vielen unterschiedlichen Leuten wahrgenommen wird. Im Kino können tatsächlich auch Werte verhandelt werden, es ist wie eine Art öffentlicher Raum – und diese Funktion nimmt amerikanisches Kino bewusster ein, als es das Kino anderer Länder tut.

Sie schreiben in Ihrem Buch auch, dass Krieg ein privilegierter Zustand fürs Kino ist. Weil das Kino dem Krieg so ähnelt. Diese Ähnlichkeit funktioniert über Bewegung. Also: Der Krieg bringt gesellschaftliche Verhältnisse in Bewegung …

Ich nehme diesen Begriff der Bewegung von Napoleon, der vom Krieg als „Capacité de mouvement“ spricht. Natürlich meint er da, dass man sich im Feld bewegen kann.

Im Kriegskino verdichtet sich das, was Kino im Kern ist. Kino ist das Bewegungsmedium par excellence. Und damit meine ich sowohl die Bewegung der Figuren im Raum als auch die Bewegung, die als Dynamik der Bilder durch Montage und CGI und so weiter produziert werden kann. Es geht aber schließlich auch um die Art und Weise, wie das Kino das Publikum bewegt. Kino soll uns bewegen.

Wir sollen ergriffen sein, wir wollen uns emotional über ein Feld und ein Hindernis hinweg bewegen. Und das Kriegskino appelliert mehr als jedes andere Kino an genau diese Bewegtheit. Das heißt konkret: Kriegsfilmen können wir uns nicht entziehen. Wenn man Musicals nicht mag, dann kann man sagen: Ich mache jetzt bei diesem komischen Illusionsspiel nicht mit. Ich glaube, das geht beim Kriegskino so nicht. Wenn ein Film zu zwei Dritteln aus Schlachten besteht, wie will man sich dem entziehen? Das zieht einen so effektiv in die Story hinein, weil Kriegskino immer mit einem großen Pathos argumentiert. Entweder es läuft auf eine große Zerstörung hinaus, oder auf eine Erbauung des Sieges oder eben die Erwartung des Sieges. Das zieht einen auch auf eine Art und Weise ins Geschehen hinein, die allumfassend ist.

Ihr Buch ist, scheint mir, auch ein versteckter Kommentar zum Verhältnis zwischen Europa und Amerika. Wenn wir Kriegsfilme sehen, schauen wir den Amerikanern oft dabei zu, wie sie uns Deutsche besiegt haben. Einerseits identifizieren wir uns mit den Siegern, was ja eine Befreiung ist. Andererseits kommt uns der Gedanke: Es könnte ja unser Großvater gewesen sein, der da erschossen wurde.

Mir ist diese kuriose Identifikation so klar geworden, als ich mal mit jemandem aus Berlin über „Saving Private Ryan“ geredet habe, und er sich mit Tom Hanks identifiziert hat, bis ich ihm sagte: „Entschuldigung, nein, du musst dich mit diesen gesichtslosen Schatten in diesen Bunkern identifizieren.“ Und nicht nur war er dazu nicht bereit, es hat ihn auch ungemein erstaunt, dass ich das überhaupt sagte. Ich finde, einerseits ist das eine erfolgreiche Re-Education, die da stattgefunden hat: Dass man sich jetzt ohne mit der Wimper zu zucken mit den Siegern über alle Ideologie hinweg identifizieren kann. Weil die Geschichten eben so funktionieren. Und irgendwo auch wieder nicht, denn natürlich geht es in diesem Kriegskino immer um einen partikularen Krieg: Vietnam, Korea, Zweiter Weltkrieg. Aber es geht auch immer um etwas anderes: Die allgemeine, gemeinsame Geschichte, eine gewaltsame traumatische Geschichte, die immer wiederholt wird und die uns in Besitz nimmt.

Amerika und Europa sind heute in vielem gegensätzlich. Wie ist unser Verhältnis zu Amerika beschaffen?

Es scheint gespalten – aber das vor allem auf der Ebene des Imaginären. Man erkennt eine Enttäuschung, ein Befremden an den USA. Das geht damit los, wie auf die Anschläge des 11. September reagiert wurde: Mit übertriebener Überwachungslust, mit Homeland-Security, mit Verstößen gegen die Menschenrechte, an dem Krieg gegen den Irak. Trotzdem bleibt Amerika ein Faszinosum. Der American way of life drückt sich vor allem über Konsumgüter und Marken aus: der Brownie, Starbucks, diese befremdliche Eigenart, mit Papp-Kaffeetassen durch die Gegend zu laufen, und unsere grenzenlose Begeisterung für die immer komplexer werdende Welt des iPhones.

Amerika hat etwas grundsätzlich Imaginäres an sich. Historisch betrachtet, war es das Land, das all denen zur Heimat wurde, die aus wirtschaftlichen, politischen oder religiösen Gründen in Europa ihre Heimat verloren. Die Amerikaner waren also in ihrem Selbstverständnis eine Art Verlängerung, ein besseres Europa. Amerika war die vermeintlich freiere Gegenseite Europas. In diesem Sinne stellte Amerika eine Hoffnung dar, ein Versprechen: Wäre man dort und nicht hier, könnte man Aber eine solche Fantasie bedeutet eben auch, dass sich ausbleibende Erwartung schnell in Enttäuschung umkehrt – eine Entsublimierung. Übertriebene Idealisierung und überzeichnete Dämonisierung sind schon immer zwei Seiten einer Medaille gewesen. Für Deutsche noch spezieller ließe sich natürlich auch von Amerika als Objekt einer Schuld im doppelten Sinn sprechen: Amerika hat uns 1945 besiegt, befreit, unseren Aufschwung bezahlt, uns erzogen, unsere Kultur neu geprägt. Das hat zu Schuldgefühlen geführt, die sich gerne an Kritik an denjenigen entladen, in deren Schuld man steht. So würde ich mir die harsche Kritik an Amerika und den deutschen Antiamerikanismus erklären.

Amerika hat über Konsumgüter das globale Bewusstsein kolonisiert. Warum berührt das diese politische Skepsis nicht?

Ich bin immer wieder erstaunt, wie sehr sich die Leute für amerikanische Präsidentschaftswahlen interessieren. Meine Studenten in der Schweiz kennen kaum ihre eigenen Bundesräte, aber über das Weiße Haus wissen sie alles. Diese Besetzung des globalen Imaginären ist nicht neu. Auch nicht neu ist, wie Fernsehserien globale Werte besetzt halten, wenn wir an „Dallas“ und „Denver“ denken. Neu aber ist, wie diese Serien zur Hochkultur geadelt werden, zur Fortsetzung des Romans mit anderen Mitteln, als DVD-Romane des frühen 21. Jahrhunderts. Auffallend ist die Nobilitierung, die damit einhergeht, die fast unkritische Beliebtheit für amerikanisches sogenanntes „Quality-TV“.

Wir haben darüber gesprochen, dass das Kinogeschehen auf etwas Reales reagiert: Der Zweite Weltkrieg im Kino ist der der Wirklichkeit. Man könnte aber auch sagen: Es ist halt Film. Da geht es um Dramaturgien, Action, Archetypen, völlig losgelöst von historischer Empirie. Sie haben gesagt, dass man den Krieg als ästhetische Erfahrung unbedingt rechtfertigen kann. Ist das ein legitimer Blick drauf oder blendet der zu viel aus?

Es ist immer beides. Wir zitieren ja immer so gern Sam Fuller in „Pierrot le Fou“ von Godard. Auf die Frage „Was ist Kino?“ sagt er: „Liebe, Tod, Eifersucht, in einem Wort: emotion – a battleground.“ Peckinpah ist ein gutes Beispiel: Kriegsdarstellungen sind auch dazu da, um zu zeigen, was ich als Regisseur kann. Das sieht man schon an Lewis Milestones „Im Westen nichts Neues“. In dieser irrsinnigen Sequenz, in der die Kamera mit dem Maschinengewehr gleichgesetzt wird. Der pazifistischste Film, wenn er von einem guten Regisseur ist, zeigt auch: In der Schlacht kann ich beweisen, was ich kann. Und was das Medium überhaupt kann: Kino war immer auch feu d’artifice, Feuerwerk.

Wir brauchen einen doppelten Blick: Einerseits ist da der Held, ein Star spielt ihn, ich identifiziere mich mit dem, egal was er repräsentiert – und zugleich ist da die Geschichte, das hat wirklich stattgefunden. Wenn wir etwa diese „Omaha Beach“- Sequenz bei Spielberg sehen, wissen wir: Da waren wirklich 3.000 Tote.

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