Der Linke-Mittelschicht-Blues

Ein bisschen betrogen wurde ich schon: Während meine Kollegen ihre Häuser mit Parkett auslegten, zog ich mit Ende 30 in eine Mietwohnung mit Laminat. Das nagte an meinem Selbstwertgefühl. Offenbar saß im Inneren meines ansonsten eher linkspolitisch geprägten Außen eine Mittelschichtstrulla, für die geölte Altbaudielen, Biobrot und „Eigentum“ unabdingbare Attribute eines gesellschaftlichen Erfolgs waren, von dem sie meinte, dass er ihr biografisch zustand. Ich bin schließlich in die fetten Jahre des späten Wirtschaftswunders geboren worden und in einem Haus mit Garten aufgewachsen. Sicherheit und Wohlstand gehörten für mich immer zusammen, und ebenso selbstverständlich bin ich davon ausgegangen, dass sie in meinem Leben dauerhaft größer werden würden. Dass mein Leben wie das meiner Eltern aussähe, nur irgendwie cooler. Tja, is‘ aber nich‘.

Von meinem guten Akademikergehalt kann ich nicht so leben wie mein Englischlehrer vor 30 Jahren. Der hatte nicht weniger als ich auf dem Konto und finanzierte damit eine Frau, drei Kinder und ein Haus. Klar, vom Wohnen auf Laminat stirbt man nicht. Das weiß auch die nölende Mittelschichtstrulla. Aber die Journalistin in mir hat sich irgendwann gefragt, was sich verändert hat. Es muss sich doch was verändert haben, wenn mein Gehalt heute nicht mehr so viel wert ist wie vor 30 Jahren. Schließlich sinkt der allgemeine Wohlstand ja nicht, der Reichtum wird nur anders verteilt. Die Reallöhne in Deutschland sind zwischen 2000 und 2009 um europaweit einmalige 4,5 Prozent gesunken, die Unternehmensgewinne dagegen auf Rekordniveau gestiegen. Das liegt nicht nur an einer ungerechten Lohn-, sondern an einer ebenso ungerechten Steuerpolitik. Während die Arbeitnehmerbesteuerung zunimmt, nimmt die Kapital- und Unternehmensbesteuerung ab. Weltweit konkurrieren schließlich Staaten darum, das scheue Reh namens Kapital aus dem internationalen Wald auf die heimische Wiese zu locken und liefern sich einen Standortwettbewerb, indem sie Steuern senken wie blöd. Die Folgekosten für den Staat, in dem wir leben, sind hoch: gesenkte Körperschaft- und Gewerbesteuersätze, der Verzicht auf eine ernsthafte Erbschaftsteuer und die Zurückhaltung bei der Vermögensteuer bedeuten Einnahmeverluste. Also werden wir Arbeitnehmer stärker durch Steuern und Sozialabgaben belastet. „In Deutschland ist die Einkommensungleichheit seit 1990 erheblich stärker gewachsen als in den meisten anderen OECD-Ländern“, bescheinigt uns die Gesellschaft für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in der immerhin auch Länder wie Mexiko Mitglied sind. In Deutschland vergrößert und verfestigt sich am unteren Rand die Armut, am oberen Rand gibt es einen Millionärsboom.

Aber nicht nur sinkende Reallöhne und steigende Steuern sorgen dafür, dass wir Lohnabhängigen weniger Geld im Portemonnaie haben. Wir müssen auch Lebensrisiken privat absichern, die früher der Staat übernommen hat: Wer im Alter nicht mit Gemüseanbau beginnen will, muss monatlich in eine private Rentenversicherung einzahlen, wer gesetzlich krankenversichert ist, legt Geld für aufwendige Zahnsanierungen beiseite oder besitzt eine Zusatzversicherung. Auch die Lebenshaltungskosten sind gestiegen. Fossile Brennstoffe werden teurer, Lebensmittelpreise steigen. Die Ressourcen, die wir für unseren Lebensstil benötigen, sind eben endlich.

Natürlich kann ich auf Laminat wohnen, ohne ein posttraumatisches Belastungssyndrom zu entwickeln. Ich weiß sogar, dass mein Wohlstand auf absehbare Zeit sinken muss, wenn unsere Gesellschaft zukunftsfähig bleiben will. Das „Immer mehr“ der Wirtschaftswunderjahre ist längst kein Zukunftsmodell mehr. Die Frage ist aber, wie wir das notwendige „Weniger“ organisieren. Ob wir es organisieren. Wenn ich mir nur noch Laminat leisten kann, weil Bananen aufgrund eines anständigen Tarifvertrages für kolumbianische Bananenpflücker irre teuer geworden sind – kein Problem. Wenn Parkett unerschwinglich ist, weil ein Großteil meines Gehalts benötigt wird, um endlich ein gerechtes Bildungssystem zu finanzieren – prima. Aber wenn mein sinkender Reallohn und meine steigende Steuerlast einen Beitrag zur Restaurierung des Teakdecks irgendeiner Yacht leisten, wenn die „Refeudalisierung des Kapitalismus“ Ungerechtigkeiten produziert, die meinem Glauben, in einer gerechten, demokratisch verfassten Gesellschaft zu leben, Hohn sprechen, dann werde ich wütend.

Kathrin Fischer hat ein Buch über die prekäre Situation der Mittelschicht geschrieben. „Generation Laminat“ ist im Knaus Verlag erschienen.

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