Der Meilenfresser

Auf gepackten Koffern sitzt Chuck Prophet fast ständig - und liebt es noch immer, "auf dem Weg zu einem Ziel" zu sein

Vielleicht stimmt irgend¿was nicht mit mir“, kokettiert Chuck Prophet am Morgen nach dem zigsten Transatlantikflug aus San Francisco, „aber ich bin wohl einer von noch fünf in diesem Betrieb, denen die Reiserei nach wie vor gefällt – und ich habe keine Ahnung, wer die anderen vier sind.“ Der 43-jährige Blondschopf lacht. Schreit der innere Monolog nach Verarbeitung, schreibt Prophet schon mal „auf die Rückseite der Kotztüte. Und ich mag es einfach auch, wieder nach Hause zu kommen“.

Sein ganz altes Zuhause stand letztes Jahr plötzlich auf der Agenda, als sein Vater seinen Betrieb, eine Druckerei, verkaufte – ohne den Sohn zu fragen, was diesen doch irgendwie irritierte. Aber Chuck, du hättest doch nicht wirklich die Gitarre in die Ecke ….. Nein, natürlich hätte ich den Laden wohl kaum übernommen. Es war eher so eine emotionale Geschichte, dieser kindliche Wunsch, noch einmal versorgt zu sein.“

Dabei ist der Musiker und Songschreiber Chuck Prophet ja längst gut versorgt. Zumindest mit Arbeit. Dafür braucht’s nicht mal eine Green On Red-Reunion wie im Vorjahr oder das aktuelle Album „Soap And Water“, immerhin schon sein achtes. Gerade hat er gemeinsam mit Alejandro Escovedo Songs für dessen kommendes Album geschrieben, das Glyn Johns produzieren wird., AI wollte eine Platte aus dem Nichts schreiben. Fast wie ein Musical, nur mit echten Leuten.“ Tote inklusive. Wie Sid und Nancy, die Escovedo 1978 in seiner Zeit im Chelsea Hotel in New York hautnah erlebte. Doch auch die Entdeckung, dass sie – mit ein paar Jahren Abstand – denselben Surf-Spot in Orange County liebten, war eine Nummer wert. „Drei Tage hingen wir nur zusammen rum auf seiner kleinen Ranch in Texas“, erinnert sich Prophet, „am vierten schrieben wir den ersten Song, und er war gleich so gut, dass wir einfach weitermachten. Es gibt wohl nichts, was ich mehr liebe, als in diesem kreativen Prozess zu stecken und auf einem Weg mit bestimmtem Ziel zu sein.“

Da nimmt Prophet als Produzent sogar mal eine schwierige Ouvertüre in Kauf, wie jüngst bei „Translated From Lovc“ mit Kelly Willis. „Sie wollte ein Cover-Album machen. Also brachte ich so 30 Songs mit. Keine Texas-Songschreiber, sogar ein bisschen HipHop und ,Success‘ von Iggy Pop. Sie hatte 15 dabei – ich mochte keinen davon, und ihr gefiel einer von mir. Mit dem Zusatz .vielleicht‘. So, und was fangen wir jetzt mit dem Rest des Tages an? (lacht)“. Erst als sie gemeinsam an einer alten Willis-Idee arbeiteten, veränderte das alles. „Danach war es keine Cover-Platte mehr.“

Das Cover von „Soaß And Wiiter“ zeigt Umkleide-Spinde in einem Strip-Schuppen, was auch Alex Chilton gefallen dürfte, dem Prophet sein neues Werk gewidmet wissen möchte. Es war 1986, auf Tour mit Green On Red, „und da fährt dieser Buick vor. Damals wusste ich noch nicht, wer meine Helden sind. Bowie? Neil Young? Das änderte sich, als ich Alex sah. So cool. Er hatte schon den Teen-Star mit den Box Tops hinter sich, hatte mit Charles Manson abgehangen, und ihn umgab diese Aura, dass ihn alles völlig kalt lässt. Und so viel Understatement als Gitarrist und Sänger. ,Sister Lovers habe ich verschlungen – und doch ist die Platte bis heute ein unlösbares Mysterium geblieben. Ich habe viel an Alex gedacht bei diesem Album-wahrscheinlich weil mir alles ziemlich egal war. Ein Gefühl der Zügellosigkeit auch, einfach tun zu können, was immer ich tun möchte.“

Das dürfte auf dem nächsten Transatlantikflug anders sein. Chuck Prophet wird dann von Gattin Stephanie Finch begleitet, die er mal wieder zu einer gemeinsamen Tour überreden konnte. Da kann er sich bestimmt auch den Griff zur Kotztüte sparen.

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