Der menschliche Schutzschild

Produzent T Bone Burnett möchte keine „"Manufaktur" werden. Er kümmert sich nur noch um Musiker, die schon wissen, was sie tun - und um seinen eigenen Sound, der alles sein darf, nur nicht künstlich

An einem Nachmittag im Mai 2008, in einem Tour-Bus hinter der Düsseldorfer Philipshalle“‚ ist T Bone Burnett plötzlich wieder an einem Abend im November 1984, in der kleinen „Musikhalle“ in Hamburg. Was der freundliche, gerade 60 gewordene Gigant kaum ahnen kann, als er sich die Ohrstöpsel nimmt, um der blechernen Kassettenaufnahme zu lauschen. „Die Tonqualität entspricht wohl dem Vortrag.“ Burnett lacht. Verblüfftes Amüsement umspielt leuchtende Augen unter einem mächtigen Seitenscheitel, als er sein Intro zu Scott McKenzies Hippie-Hymne „San Francisco“ erkennt. „Wo ist das? Oh, Elvis ist auch dabei!“ Ja, Elvis Costello war auch dabei. Und gab, wie sich Burnett gleich lebhaft erinnert, „fünfmal ,Instant Karma‘ am Klavier“. Der Autor erinnert sich an „nur“ drei Versuche, die Costello jeweils vor dem Refrain abbrach – um auf Nachfrage am Tag nach der Show zu antworten, er möge den Song halt nur bis dahin. Jetzt kriegt sich Burnett kaum wieder ein. Ja, das war ein (auch schon mal volltrunkener) Spaß damals. Als Coward Brothers tourten sie im Duo, nach Costellos „King OfAmerica“, der ersten gemeinsamen Arbeit. Elvis, so Burnett, sei „ein furchtloser Künstler“, in dem auch „sehr viel Coltrane“ stecke. Just vor den Proben zur Tour mit Robert Plant und Alison Krauss, die Burnett nach zig Jahren mal wieder für ein Konzert nach Deutschland führt, war er mit Elvis in Nashville im Studio. Drei Tage, 16 Songs. „Er hatte gerade frei und ich auch, da haben wir einfach mal alles aufgenommen, was sich so über die Jahre angesammelt hat.“ Davor hatten sie zuletzt für den „Cold Mountain“-Soundtrack das von Krauss gesungene und Oscar-nominierte „The Scarlet Tide“ geschrieben. Was, Mr. Burnett, ist eigentlich schwieriger: Schauspielern zu zeigen, wie sie singen können – oder Sänger davon abzuhalten, zu schauspielern? Ein großes, heiseres Lachen. „Definitiv Letzteres. Das ist mein großes Thema mit Sängern: Ich versuche ihnen jeden Funken Künstlichkeit auszutreiben, den sie sich über die Jahre bei anderen abgehört haben, unsicher wegen der eigenen Stimme.“

Burnett, der nach einem Kurzauftritt in Michael Ciminos „Heaven’s Gate“ schon früh „vom Schauspielern kuriert“ war, hat auch die andere Seite kennengelernt, als er für „I Walk The Line“ June Carter und Johnny Cash die Stimmen von Reese Witherspoon und Joaquin Phoenix zu geben hatte. „Reese“, rekapituliert er, „hatte eine furchtbare Zeit. Sie arbeitete mit dieser Gesangslehrerin, irgendwann knallten nur noch Türen, und ich hörte diesen unglaublichen Ur-Schrei von ihr. So frustiert war sie, und ich liebte sie dafür! Ich sagte: Komm, Reese, wir probieren’s noch mal. Ich spiele Gitarre, und du stellst dir vor, du singst ,Wildwood Flower‘ als Wiegenlied für deine Tochter. Denk nicht an den Film, sing einfach und leise – und dann hatte sie es sofort. Wie ein Blitz, der gerade einschlägt. So funktionieren Schauspieler. Sie wird diesen Song nie wieder so gut singen können, aber in diesem Moment konnte sie ihn bewohnen und zu der Figur werden. Beim Singen geht es ja im Kern nicht darum, Noten zu treffen — es geht darum, einen Song loslassen zu können.“

Wer Burnetts aktuellem Album „Tboth Of Crime“ auf den Grund gehen will, muss nicht gleich zurück zum ersten Date von June und Johnny. Doch immerhin schon 1972 schrieb Sam Shepard das gleichnamige Theaterstück, das dann 1996 Off-Broadway in New York zur Aufführung kam, mit sechs von zehn Songs, die Burnett vor Ort dafür geschrieben hatte. Doch gab es, so Burnett, „einfach noch kein Album. Ich musste zurückgehen, Songs fertig stellen, den Faden finden. Ich wollte der Geschichte schon verbunden bleiben, das Album erzählt sie nur in einem anderen Medium und eher abstrakt. Ich habe keine Ahnung, ob das rüberkommt für die, die das Stück nicht kennen. Aber ehrlich gesagt, ist mir das auch egal (lacht)“. 1972. Es war das Jahr, in dem der in St. Louis/ Missouri geborene Texaner aus Fort Worth unter seinem Geburtsnamen J. Henry Burnett als Albumkünstler debütierte, mit „The B-52 Band & The Fabulous Shylarks“. Das Cover zeigt ihn lässig und mit den längsten Beinen nördlich von San Antonio an die Kühlerhaube eines Ami-Schlittens gelehnt, während über ihm ein B-52-Bomber den weiten Lone-Star-Himmel kreuzt. „Ich kann mich nicht wirklich erinnern. Ging Nixon nicht 1972 nach China? I was fuckin‘ around.“

So 1968 fing das an und endete erst, als Bob Dylan ihn 1975 für seine „Rotling Thunder Revue“ engagierte (wo er Steven Soles und David Mansfield kennenlernte und die Alpha Band gründete, drei Alben, eine andere Geschichte…) Vagabund Burnett hatte ein Auto, eine Gitarre und „schlief meist auf Sofas“. Heute sei diese Zeit nur noch „a blur“ in seinem Kopf. Vielleicht war er auch nur eine Figur aus dem Shephard-Stück. Der junge Crow, der Veteran Hoss vom Rock’n’Roll-Thron stürzen will? „Ich konnte mich sogar mit beiden identifizieren. Ja, das ist ein interessanter Gedanke. So ‚wie ich damals durch die Gegend trieb, ohne Zuhause, ohne Prüfsteine. Ich hatte keine Realität, musste mich mit nichts auseinandersetzen was jeden Moment problematisch machte. Und in dieser Wurzellosigkeit stecken ja auch die beiden Protagonisten des Stückes.“ „Tooth Of Crime“, das ist die gute alte Dialektik von Ruhm und Dunkelheit. Da ist Burnetts Lieblingsthema nie fern, und es spricht dann auch der sendungsbewusste Christ. ,Ja, ich würde sagen, es geht um Identität. Um die moderne Konfusion zwischen Identität und Berühmtheit. Darum, dass wir in der Apokalypse leben, weil wir Elemente des Lebens verloren haben, die für unser Überleben essenziell sind. Wir verlassen uns selbst, weil wir den einfachen Ausweg wollen.“ Und dann ist er bei den Klatschblättern und einem Leben, das „so billig geworden ist. We’re losing our religion, um R.E.M. zu zitieren (lacht). Wir verlieren eine Religion der Würde und Freiheit an eine Religion der schnellen Verurteilung, der einfachen Gewissheiten, der moralischen Keule, die uns trennen und kontrollieren soll. Ich könnte jetzt ewig weiterpredigen, aber…“ Das neue Album setzt jedenfalls eine Künstlerkarriere fort, die erst 2006 mit „Tlie True False Identity“ wieder Fahrt aufgenommen hatte, nach 14-jähriger Pause seit dem mit seinem alten Buddy Bob Neuwirth produzierten „The Criminal Under My Own Hat“. Unterdessen war T Bone Burnett nach dem Scoop mit der von ihm zusammengestellten Old Timey-Musik zum Coen-Brothers-Film „O Brother, Where Art Thou“ endgültig zum gefragten Produzenten und vor allem Mann für viele Soundtrack-Fälle aufgestiegen. Wieviel Zweifel kann sich ein erfolgreicher Produzent eigentlich erlauben? „Es läuft darauf hinaus: Im easily embarrassed! Jedenfalls bin ich schneller peinlich berührt als die meisten Künstler, mit denen ich arbeite. Und so werde ich quasi zum menschlichen Schutzschild für sie (lacht). Zweifel plagt mich ständig, was nicht heißt, dass es mir an Selbstvertrauen mangelt. Es ist eher so: Das musst du haben, um Zweifel überhaupt zulassen zu können. Ist das, was er da gerade spielt, nicht out of tune? Ja, aber vielleicht ist es sogar besser so. Besonders in einem Zeitalter, wo Maschinen rund um die Uhr Perfektion liefern können.“

Geht es ihm also eher um eine Haltung als um einen Sound? ,Ja und nein. Zuallererst geht’s immer um den Sound. In meinen 43 Studio-Jahren war ich immer auf der Suche nach diesem Sound, nach Resonanz, nach Tönen und Obertönen. Und je weiter ich da vordrang, desto komplexer wurde es. Es ist mir egal, was jemand spielt, aber nicht, wer das spielt. Ich will diese Person, und wenn sie etwas anderes spielt, als ich mir vorgestellt hatte, dann will ich offen dafür sein. Ich will der ganzen Kraft dieser Person keine Steine in den Weg legen. Wenn ein Musiker etwas für mich in diesem Moment völlig Unpassendes spielt, versuche ich nicht, ihn etwas anderes spielen zu lassen. Ich bedanke mich einfach, bezahle ihn und archiviere das, was er gespielt hat — bis ich es vielleicht später mal rau^ hole und sage: Oh, genau das habe ich hier vermisst, das klingt ja großartig!“

Robert Plant und Alison Krauss schubste er auf „Raising Sand“ aus ihrer „comfort zone“ ein Verfahren, das bei Novizen kaum greifen kann. Lange war T Bone Burnett einer der Produzenten schlechthin für Debütalben und noch junge Karrieren. Angefangen 1983 beim Los Lobos-Klassiker „How Will The Wolf Survive?‘ (aus dem Burnett und Costello an jenem denkwürdigen Abend anno ’84 in Hamburg das Traum-Stück „Matter Of Time“ spielen) über die leider fast vergessenen Bodeans („Love & Hope & Sex & Dreams“, 1986) über die Counting Crows („August And Everything After“, 1993) bis zu „David Poe“ (1997) und Roots-Erneuerin Gillian Welch („Revival“, 1997). ,Ja, ich liebe es, die erste Platte zu machen und, nein, das kann man dann natürlich nicht machen. Aber Alison und Robert sind so gut – da kann es leicht zu leicht werden für sie. Und die andere Seite dieser Münze ist: Sie sind so gut, dass sie einfach auch mal Dinge machen können, die sie noch nie gemacht haben—und zwar genauso gut. Es war einfach notwendig, sie aus dieser komfortablen Zone zu pushen, wenn man sieht, wo sie herkamen. Alison aus der leisesten Band aller Zeiten — und Robert aus der lautesten (lacht).

Wir mussten also einen Platz dazwischen finden- und ich musste sie nur dabei unterstützen dahinzukommen. Mit Songs, die sie sonst kaum singen würden. Und mit Musikern, die kein Genre kennen und frei sind – wie Jay Bellerose und Marc Ribot. Die gehen einfach nach rechts oder links, wenn ihnen danach ist, sie versuchen nichts einfach so zu verpacken.“

Debütanten verpackt T Bone Burnett heute kaum noch, es sei denn, sie wissen schon genau, was sie tun. „Ich arbeite nur noch mit Leuten, die es einfach bringen, wenn die Bandmaschine läuft.“ So wie gerade John Meilencamp und B. B. King. „Ich will keine Manufaktur mehr sein. Ich könnte das noch, und die Plattenfirmen wollten das oft von mir, einen Sound und damit auch eine Identität zu kreieren, aber es nicht fair dem Künstler gegenüber. Es hilft ihm höchstens kurzfristig und kommerziell, aber nie künstlerisch auf lange Sicht.“

Der Millionen-Erfolg von „O Brother“ erstaunt Burnett selbst rückblickend noch, auch wenn schon schon vorher „so eine Welle anrollte. Aber der Film samt Soundtrack wurde einfach das Schiff, dem alle hinterhersegelten. Und dieser Teil unseres Landes, um den es da geht, ist so wichtig für unsere Identität und war vorher schon fast völlig im Abseits“. Heute haben Musiker wie Ralph Stanley und Del McCoury, die „mir mein ganzes Leben lang so wichtig waren“, wieder ein eigenes Fach im Plattenladen, und Musikinstrumentehändler berichten ihm stolz, dass „sie in den letzten zwei Jahren 350 Banjos verkauft haben, was sie vorher in 30 nicht schafften“.

Das Tolle ist natürlich: Schon 1972, auf dem Debüt, hatte J. Henry Burnett seinen Song „Hot Rod Banjo“ verewigt. Ja, das stimmt! Ich muss rückblickend sagen, dass sich meine ganze Arbeit in den letzten 40-plus-Jahren immer in eine Richtung entwickelt hat. Diese Ideen, die mich damals als junger Mann Umtrieben, habe ich nie aufgegeben. Ich habe sie sich entwickeln lassen und dies und das hinzugefügt.“

Für die Zwischenbilanz „Twenty Twenty – Thu Essential TBoiie Burnett“ hatte er 2006 die Banjo-Nummer wie überhaupt das ganze Debütalbum leider außen vor gelassen. Warum eigentlich? „Ich wollte ja, und alle anderen meinten auch, einer müsste doch wenigstens drauf sein, aber ich fand einfach keinen Song, der mit den späteren Sachen mithalten konnte und irgendwie passte. Ich mag ,Wouldn’t You Think I’d Know By Now‘ immer noch gern, diesen Paul-Potash-Song. War ein Kandidat, klang aber einfach nicht richtig. Ich versuchte damals, meinen Produzenten Dan Moore zu imitieren, der ein t oller Sänger war – und es klingt heute nur falsch. Die Songs sind ganz gut, die Musiker auch, aber mein Gesang… Ich hätte wohl, auch wenn’s schräg gewesen wäre, einfach nur versuchen sollen, ich selbst zu sein.“ Das alte Thema.

Als DMZ-Labelchef konnte Burnett immerhin noch Ralph Stanley rausbringen, bevor Auflösungserscheinungen beim Mutterschiff Columbia ihn fast vor Gericht trieben, „damit sie wenigstens den Vertrag erfüllen. Das war schon enttäuschend, denn ich hatte gehofft, mehr solche Platten produzieren zu können. Aber das ganze Geschäftsmodell ist obsolet geworden“.

Was für ihn auf das gute alte Album als Kunstform noch nicht zutrifft. „Nein, das glaube ich nicht. Der Schlüssel wird sein, einen Rahmen für ein Album zu kreieren. Bei ,O Brother‘ war es der Film, bei ,Tooth Of The Crime‘ ist es das Theaterstück, keiner der Songs erzählt schon die ganze Geschichte. Wir sind wieder bei Identität. Wenn du die schaffen kannst, dann wollen die Leute mehr. Wenn es nur um celebrity geht, wollen sie auch nur dieses eine Ding.“

Und welches Ding unterscheidet Los Angeles und Nashville? T Bone Burnett findet: „Ich liebe es, in Los Angeles zu leben. Für mich ist es das Athen der Moderne, wo alle Götter angebetet werden, auch die falschen. Freies Denken. Unglaublich smarte Leute — und so viel unglaublich schlechte Kunst. Nashville ist eine konservative Stadt, die tast Angst vor ihrer Vergangenheit hat. Sie wollen keine Country Hicks mehr sein. All die Exzesse in Los Angeles kommen aus der liberalen Richtung, während sie in Nashville konservativ gepolt sind. Aber es gibt hier wie dort exzellente Musiker, und du kannst the real thing an beiden Orten finden — wenn du gewillt bist, ein bisschen danach zu graben.“

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