Der Plattenladen im Netz

„Die Plattenfirmen sollten auf das Pressen von CDs verzichten und nur noch Dateien ausliefern“, sagt Jason Olim. Aber letztlich ist es dem Chef des Internet-Plattenladens CDnow völlig egal, wann und wie der Online-Vertrieb von Musik den CD-Verkauf verdrängt: Sein Shop bietet das eine als auch das andere an – Hauptsache, die Musik ist kopiergeschützt.

„Die Plattenfirmen kommen früher oder später gar nicht umhin, ihre Musik auf digitalem Weg zu vertreiben. Letztlich ermöglicht der Verkauf von Dateien mehr Profit, denn die Firmen müssen nicht in Hardware und Equipment investieren, sie müssen kein Geld für die Herstellung einer CD ausgeben, und sie müssen sich auch nicht mit der Remissionsware rumplagen. Es macht also keinen Sinn für Plattenfirmen, auf dem Press-Job zu bestehen.“ Weiß Olim eigentlich, was er da sagt? Immerhin ist er der Chef des weltweit größten Internet-Musikladens, und derzeit besteht sein Geschäft noch zu fast 100 Prozent darin, Audio-CDs zu verschicken. Und das auch noch mit förmlich explodierender Nachfrage. Warum also rät ein Mann wie er seinen Lieferanten, auf die Produktion von eben jenen Tonträgern zu verzichten, mit denen er dreistellige Millionen-Umsätze erzielt?

„Zunächst einmal denkt die Musikindustrie zuweilen, sie sei im Geschäft, um Platten zu pressen. Worin sie aber eigentlich besonders gut ist, ist das Aufspüren von Talenten und der Aufbau und die Vermarktung“, erklärt Olim.

Weit brisanter jedoch sei das Problem der Piraterie: „Wer heute eine Audio-CD kauft, erhält eine Scheibe mit Musik, die nicht verschlüsselt ist und kein digitales Wasserzeichen‘ beinhaltet Es ist leicht, diese Musik in den Computer zu überführen, um sie von dort aus auf CD-ROMs zu brennen oder per Internet in alle Welt zu verteilen.“ Genau das passiert momentan, und zwar bereits so massiv, daß sich die Musikbranche in einen regelrechten Zwei-Fronten-Krieg verwickelt sieht: Auf der einen Sehe das eruptive Anwachsen vermeintlich „privater“ CD-Brennereien, auf der anderen Seite die rasante Entwicklung einer regen MP 3-Subkultur. In beiden Bereichen hat nach Aussagen der Industrie die Piraterie bereits längst überhand genommen.

Das betrachtet natürlich auch der über Nacht vom Newcomer zum Big Player aufgestiegene CD-Verkäufer Olim als „schrecklich für alle Beteiligten: für die Künstler, die Plattenfirmen und die Händler.“ Der studierte Betriebswirt ist clever genug, mitten im anhaltenden Rausch seiner steilen Geschäftsentwicklung auch für CDnow eine Gefahr zu erkennen. Vermutlich aus diesem kühlen Grund arbeitet seine Firma in den Gremien des SDMI-Standards mit, der dank breiter Unterstützung durch Plattenfirmen, Unterhaltungselektronik-, Softwareund Hardware-Hersteller tatsächlich zu einem solchen werden könnte, (s. Artikel links).

Olims Strategie scheint klar: Der Verkauf von Tonträgern, immerhin sein derzeitiges Kerngeschäft, funktioniert umso länget; je früher die CDs kopiergeschützte Musik enthalten. Gleichzeitig ist Internet-Maniac Olim aber auch vom Siegeszug des digitalen Musikvertriebs überzeugt: „Wir wissen, daß dieser Markt wachsen und erfolgreich werden wird. Nur wann das soweit sein wird, kann ich nicht beantworten.“ Letztlich betrachtet es Olim als unerheblich, wann sich die Vertriebsanteile in welchen Größenordnungen verschieben – etwa von CDs zu Downloads. Denn als reiner Internet-Shop hat er den Vorteil, jede Vertriebsform unterstützen zu können. Sein Trumpf gegenüber allen Mitbewerbern – ob traditioneller Laden, Mailorder-Versand, direktversendendes Label oder Künstler – liegt darin, daß er schon lange mit exakt den Kunden arbeitet, die zuallererst den Musikkauf per Download praktizieren werden. Dank seines ausgefeilten Kundenprofilsystems kennt er die Kunden, ihre Kaufgewohnheiten und ihre Bedürfnisse aus dem ff. „Wir haben eine zehnmal größere Auswahl als ein gutsortiertes Plattengeschäft. Dazu kommen unsere redaktionellen Empfehlungen, die Rezensionen und andere Artikel. Wir bieten einen Ratgeber, der auf künstlicher Intelligenz beruht. Er nennt auf Wunsch mehrere stilistisch verwandte Alben. Und wenn man bestimmte Alben schon besitzt, kann man dies dem System mitteilen. Da das System merkt, welche Alben man bereits gekauft hat, weiß es nach und nach immer mehr über den Geschmack des Kunden.

Wir haben jetzt mehrere Jahre Erfahrung im Online-Marketing und ein entsprechend starkes Team. Es wird eine große Herausforderung für jeden, hier ein ähnlich gutes Geschäft aufzubauen.“

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