Der Polarforscher

Eitelkeit als Extremsportart: Markus Lanz spricht noch schöner Deutsch als Johannes B. Kerner.

Früher sagte er mit unbewegter Miene und betoniertem Scheitel die Trivialtragödien, Unfälle und Totschlagsdramen bei „Explosiv“ auf RTL an – der Wahnsinn der Welt bekam durch sein hübsches Gesicht und seine klare Aussprache etwas Sachliches, etwas Begrenzbares: Indem Markus Lanz die Gruselmitteilungen verlas, reihten sie sich ein unter den Tausenden anderen Schrecksmeldungen, die er zu verkünden hatte. „Explosiv“ machte süchtig.

Vor zwei Jahren beerbte Lanz beim ZDF den Talk-Platzhirschen Johannes B. Kerner, der zu Sat.1 ging und dort in Vergessenheit geriet. An drei Abenden in der Woche plaudert und diskutiert Lanz in seiner Sendung, die „Markus Lanz“ heißt; am Freitagabend schaut er Köchen dabei über die Schulter, wie sie Speisen zubereiten – diese Sendung, auch von Kerner übernommen, heißt „Lanz kocht“, obwohl der selbst nur probiert. In seiner Talk-Sendung brauchte Lanz eine Weile, um sich an die eierförmigen Stühle zu gewöhnen.

Die Köche umgarnte er schneller. Mit seiner gestochenen Sprache ließ er eingebildete Küchendiven wie den Bayern Alfons Schuhbeck und den Österreicher Johann Lafer wie Bauernlümmel wirken; dem Hamburger Schnacker Steffen Henssler begegnete er ebenso flapsig wie der forschen Gebäckmamsell Sarah Wiener, und den feschen Alexander Herrmann übertraf er noch an Charme und Süßholzraspelei. Einzig Lea Linster spricht schöneres Deutsch als Lanz: Sie stammt aus dem Elsass; ihr Deutsch klingt wie ein Singsang, ist durchsetzt von herrlich altertümlichen Begriffen und außerdem bewundernswert korrekt. Linster muss auf eine Kiste steigen, um an die Tischplatte zu gelangen, ihr Busen ist so groß wie ihr Herz – nur sie kann den disziplinierten Lanz dazu bringen, ein Stück vom schlotzigen Käsekuchen zu essen.

Lanz kommt von einem Bauernhof in Südtirol – umso reiner artikuliert er die deutsche Sprache. Sein Vater starb früh, Markus musste hart arbeiten und träumte davon, die große weite Welt zu sehen, weshalb er in der Schule der Beste sein wollte. Die strenge Mutter liebte er, noch heute kehrt er stets in den gottverlassenen Winkel seiner Kindheit zurück. So wurde Lanz zum perfekten Schwiegersohn, zum Klassenprimus und zum Fernsehmann und heiratete 1998 die Moderatorin Birgit Schrowange, eine andere Schöpferin ihrer selbst: Sie stammt aus dem Sauerland und musste sich den bizarren Dialekt wegtrainieren; als sie das geschafft hatte, durfte sie beim ZDF das Programm ansagen; dann gefiel sie bei einer Veranstaltung Kevin Costner, ließ den Cowboy aber stehen und übernahm bei RTL die Sendung „Extra“. Lanz und Schrowange haben einen Sohn und blieben acht Jahre zusammen – eine lange Zeit, wenn man bedenkt, das beide eigentlich sich selbst am tollsten finden.

Der Schauspieler Max Giermann sagt, dass Lanz schwer zu parodieren ist, weil er keine Angriffsflächen bietet: Er hat keinen Sprachfehler, er sieht nicht aus wie Alfred Biolek, er hat seine Gestik im Griff, er labert nicht haltlos wie Thomas Gottschalk, er ist perfekt gekleidet. Doch dann fand Giermann den Hebel: Man muss Lanz‘ Anstrengung, die wie Beiläufigkeit wirken soll, nur ein wenig übertreiben – das Festklammern an den Karteikarten, das genaue Betonen, die gespreizte Diktion, das Räuspern, die seltsam gedrechselt wirkenden Einleitungen. Lanz schafft es, in einem Gespräch mit Neukölln-Bürgermeister Buschkowsky, Sido, Vater und Tochter Drews sowie Vater und Sohn Carpendale das Wort „Paradoxon“ unterzubringen, als säße er mit Sokrates in der Kneipe. Er unterstellt Drews, dem sei „nichts anderes übrig geblieben, als peinlich zu sein“, und bemerkt bei Gelegenheit, Drews sei ja kein Bürgermeister in Berlin, sondern „König von Mallorca“. Lanz‘ Moderation ist manchmal genialisch. Aber ausgerechnet einer miesen Type, die mit Geschenken alte Leutchen zu Busfahrten mit Verkaufsveranstaltung lockt, konnte er nicht beikommen: Der bereits verurteilte Mann wollte nicht einsehen, was an seinem Tun verwerflich sein solle – die Busreisenden wüssten doch, worauf sie sich einlassen. Lanz setzte auf Vernunft und Einsicht – er kann nicht verstehen, dass es Menschen gibt, die Argumenten und guten Manieren nicht zugänglich sind.

Gemeinsam mit dem Extremsportler Joey Kelly und zwei Freiwilligen trat er im letzten Jahr gegen ein österreichisches Team an: Die Seilschaften wollten den Südpol erreichen und damit an die Pionierleistung von 1911 erinnern. Lanz schmerzte alles, die Frau im Ensemble machte Probleme, und das dünne Toi-lettpapier wurde vom Wind verweht. „Wenn es Klopapier der Stärke null gäbe, hätten sie das gekauft“, ätzte Lanz, auf Skiern keuchend und die Nase beinahe eingefroren. Als er am Südpol eintraf, waren die Österreicher bereits dort. Lanz taumelte und prustete in die Kamera: „Ich kann zwar noch sprechen, aber sehr intelligent ist das alles nicht mehr.“

Ernest Hemingway fand einen Begriff für den Heldenmut des Toreros im Kampf gegen den Stier: „grace under pressure“. Markus Lanz ist einer dieser harten Hunde, die noch unter Tränen lächeln und dereinst moderieren werden, wenn die Welt untergeht.

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