„Wir schützen uns mit Lärm“

Ab und an haben sie garantiert ein bisschen an Krautrock gedacht, die Männer aus Oberbayern, als sie ihre Platte einspielten. Ihrem lakonischen Naturell entsprechend haben sie sich bestimmt nicht allzu sehr hinreißen lassen, jedenfalls nicht in sämtlichen Bereichen: „Bei uns wird nicht gekifft“, erklärt der für die elektronischen Sounds zuständige Musiker Martin Gretschmann im Interview, „wir sind nur auf Musik.“ Aber das Ergebnis, das siebte Studioalbum von The Notwist bewegt sich einen guten Schritt weiter in Richtung Band und Session. Auf „Close To The Glass“ sind klassische Songs, die Melodien, einprägsam-schlichte Gitarrenharmonien und wunderbare Texte bieten, die den Shoegazer glücklich und den Elektro-Nerd neidisch machen und bei jedem Konzert Publikumsarme in die Luft ziehen. Und man findet Sounds, hinter denen die Songstrukturen zurücktreten, auf denen Störgeräusche und Tonkaskaden ineinandergeflochten werden, und die dennoch immer eine gemeinsame Produktion sind, nie das einsame Überarbeiten eines egomanen Elektrofricklers.

„Ein Song wie ‚Kong‘ ist klassisch bei einer Probe entstanden“, erzählt Gretschmann weiter, der zusammen mit Sänger und Gitarrist Markus Acher zum Interview im Aufenthaltsraum der Plattenfirma City Slang in Kreuzberg sitzt, und die gefüllten Keksteller auf dem Tisch ignoriert. „Kong“ beginnt mit klassischen Indie-Gitarren auf allen Frequenzen, mit Kopfgesang, in der Bridge spielt ein Glockenspiel, doch im Outro dudeln elektronische Geigen, Chöre, fisselige Piepstöne – selbst wenn jene quietschenden Sounds dem Radio Edit zum Opfer fallen, ist der Rest des Songs atmosphärisch genug, und hat genug Mitwipp-Potenzial, um das Image von The Notwist als elektronisch verkopfte, aber gleichzeitig enorm emotionale Band zu pflegen. Emotional zu klingen, trotz der Verfremdung immer wieder Stimmungen und Gefühle rüberzubringen, „genau das wollen wir transportieren“, erklärt Markus Acher. „Das ist uns auch in der Musik wichtig, die wir selber hören, danach suchen wir.“ Der bedächtige Gretschmann, dessen Solo-Elektronik-Projekt Console die Grenzen zur E-Musik streift, erzählt von seiner frühen Liebe zu elektronischen Sounds von Künstlern wie OMD, Acher nennt Mike Oldfield, dann Punk und Hardcore, dann Flying Lotus.

Auf der neuen CD sind sie zudem sehr konkret: Im Song „Casino“ erzählt Acher die Geschichte eines Paares, das nach einer durchzockten Nacht vor der Hoteltür steht; der Song ist ein ruhiges Gitarrenstück, dessen Refrain am Ende von einer dünnen Orgel gedoppelt wird, der Text ist voller Andeutungen, die zwischenmenschlich oder gesellschaftlich deutbar sind – Achers Texte sind Momentaufnahmen, denen man immer mehr abgewinnen kann, je öfter und länger man sie betrachtet oder anhört. „From One Wrong Place To The Next“ plätschert auf dem quietschenden Sample eines Akkordumgriffs dahin, die Textzeile stammt aus einer Gedichtsammlung aus den 60er-Jahren, die Acher zufällig in die Hände fiel.

The Notwist bleiben mit „Close To The Glass“ aber trotz potenzieller Hits glücklicherweise so weit vom Posen entfernt, wie man als Band, die das Live-Spielen sichtbar genießt und hörbar beherrscht, nur sein kann: „Rock-Posing ist fürchterlich“, sagt Acher. „Iggy Pop oder Mick Jagger sind geborene Performer, das ist auch ein Talent. Aber wir haben uns eher einen Schutzwall aus Lärm aufgebaut. Wir implodieren auf der Bühne.“

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