Der Prophet des linken Amerika

ERIC DROOKERS BILDER hängen nicht in Museen. In den Achtzigern und Neunzigern sah man sie in den Straßen der Lower East Side von Manhattan, sie schmückten Plattencover von Faith No More und Rage Against The Machine, und wenn man heute irgendwo in der westlichen Welt ein besetztes Haus besucht, wird man vermutlich an irgendeiner Wand eines seiner Motive finden. So erging es ihm selbst am Abend vor unserem Treffen, als er mit seinem in Berlin lebenden Freund, dem Poeten und Songwriter Daniel Kahn, in einem autonomen Wohn-und Kulturzentrum einen Vortrag mit Musik (er spielt selbst Banjo) hielt. „Ich freue mich immer, wenn ich irgendwo meine Bilder sehe“, sagt er. „Als Street Artist legt man in der Regel keine Copyrightklage ein. Darum geht es ja gerade: die Bilder sollen sich verbreiten. Viral, sagt man heute. Besser, die Kunst breitet sich so aus als irgendwelche Marketingkampagnen.“

Der 55-jährige gebürtige New Yorker ist ein Kind der Underground-Kultur. In seiner Jugend las er die Comics von Robert Crumb und Art Spiegelman, die allerdings stilistisch nur wenige Spuren in seinen eigenen Bildern hinterlassen haben. Die erinnern in ihren Kontrasten und ihrer Expressivität eher an die Kunst der 20er-Jahre.

„Ich bin in den Siebzigern aufgewachsen“, erklärt Drooker. „Da war New York ein einziges Getto. Die Straßen waren voller Junkies und Gangster, und man hatte ständig Angst, überfallen zu werden. Alles fiel auseinander -die U-Bahn, die Häuser, die Straßen waren kaputt. Es war eine gefährliche und zugleich eine sehr inspirierende Stimmung. Und diese Brutalität und Dekadenz habe ich in den Arbeiten der deutsche Expressionisten wiedergefunden. New York sah aus wie ,Die apokalyptische Stadt‘ von Ludwig Meidner. Und wie die Künstler in den Zwanzigern hatte auch ich damals das Gefühl, eine Katastrophe liege in der Luft.“ Von den späteren Entwicklungen, die schließlich dazu führten, dass er New York verlassen musste, fühlt er sich bestätigt: der Terrorismus, der wirtschaftliche Kollaps, vor allem aber die Gentrifizierung hätten der Stadt übel zugesetzt und ihn aus seiner Heimat vertrieben. „Manhattan ist ein Planet der reichen Weißen geworden -wie in einem Science-Fiction-Film. Alle Farbigen, alle Proletarier, die Künstler und Punks müssen nach Brooklyn ziehen – oder nach Berlin, oder mittlerweile noch weiter Richtung Osten.“

Neben den Expressionisten wie George Grosz, Max Beckmann oder Otto Dix waren es vor allem die in Holzschnitten erzählten wortlosen Geschichten des Belgiers Frans Masereel und des Amerikaners Lynd Ward, die Drooker beeinflussten. Er versuchte, sich ihrer Ästhetik mit Zeichnungen in Schabkarton anzunähern -er schuf seine Bilder aus der Dunkelheit, indem er sie mit dem Rasiermesser in das mit Tinte beschichtete Papier ritzte.

„Es hat ein bisschen gedauert, bis ich meinen eigenen Stil gefunden hatte“, erklärt er. „Und irgendwann merkte ich, dass die Bilder zu einer Geschichte wurden -zu großen Teilen war es meine eigene.“ Künstler sein bedeute für ihn, laut zu träumen, sagt er, er habe seine persönlichen Ängste auf die Stadt übertragen. „Ich zeichnete zum Beispiel die Geschichte eines Eskimos, der auf einer Scholle sitzt, die langsam schmilzt, was schließlich zu einer Flut führt, die ganz New York unter Wasser setzt. Damals habe ich überhaupt noch nicht über Klimawandel und Naturkatastrophen nachgedacht. Das war einfach eine Metapher für meine private Situation. Mehr als 20 Jahre später traten dann während des Hurrikans Sandy der East und der Hudson River über die Ufer, und plötzlich wirkt meine Story wie eine Prophezeiung.“

Drooker verkaufte seine wortlosen Bildergeschichten in den Achtzigern unter dem Titel „Communicomix“ auf den Straßen der Lower East Side – 1992 entstand daraus die Sammlung „Flood!“, die nun, über 20 Jahre später, auch in einer deutschen Ausgabe vorliegt. Vor allem aber nutzte der Künstler seine ausdrucksstarken Bilder, die vom Leben auf den Straßen New Yorks erzählten, um auf soziale Missstände und die Gefahren der Gentrifizierung aufmerksam zu machen.

Die Tompkins Square Park Riots von 1988, bei denen sich Bewohner der Lower East Side gegen eine Sperrstunde in dem öffentlichen Park zur Wehr setzten, malte er im Stil von Picassos „Guernica“; er zeigte Gewalt, Armut und Einsamkeit, zog seine Bilder auf Poster, die die Straßen Manhattans schmückten. Zumindest so lange, bis ein alter jüdischer Mann mit grauem Bart und einer besonders starken Brille sie abnahm und in sein Apartment in der East Second Street brachte. Der Name des frühen Fans war Allen Ginsberg. „Er lebte nur zwei Blocks von mir entfernt“, sagt Drooker. „Ich habe ihn oft auf der Straße oder in irgendwelchen Läden gesehen, und irgendwann gestand er mir, dass er meine Poster sammelt und fragte, ob wir nicht mal zusammenarbeiten wollen.“

So entstand der Band mit illustrierten Gedichten, „Illuminated Poems“. Das letzte Buchprojekt, das Ginsberg vor seinem Tod im April 1997 vollendete. Der Dichter sei neben dem Poeten, Cartoonisten und Fugs-Mitbegründer Tuli Kupferberg, der ebenfalls an der Lower East Side lebte, sein wichtigster Lehrer gewesen, erzählt Drooker. „Das Selbstverständnis der beiden als Künstler, Mahner, Propheten und manchmal auch Clowns hat mich fasziniert – und ihr bohemehafter Lebensstil“, sagt er. „Vor allem Tuli hat mir in allen Lebenslagen wichtige Ratschläge gegeben. Man konnte ihn zu jeder Tages-und Nachtzeit anrufen.“

In Kupferbergs Wohnung stießen die Filmemacher Rob Epstein und Jeffrey Friedman bei Recherchen für ihren Film über Ginsbergs „Howl“ schließlich auch auf ein Exemplar von „Illuminated Poems“ und baten Drooker daraufhin, eine Animation des Jahrhundertpoems zu entwerfen. „Ich habe die beiden nur ungläubig angeguckt: ,Seid ihr auf Crack? Warum nehmt ihr nicht gleich Dantes ,Inferno?'“ Doch die beiden ließen nicht locker und so arbeitete Drooker mit Hilfe von Animationsfilmern an der visuellen Umsetzung von „Howl“.

Mit zweifelhaftem Erfolg, muss man leider sagen. Im fertigen Film hört man, wie James Franco in der Rolle des Dichters die berühmten Zeilen („I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterical naked …“) rezitiert, während Drookers apokalyptische Bilder über die Leinwand schweben. Doch Ginsbergs Gedicht ist ja an sich schon eine riesige Bildersammlung, die keiner zusätzlichen expressiven Illustration bedarf. Die Verbildlichung nimmt der Poesie ihre Kraft und lässt sie zu kitschiger Programmmusik schrumpfen. An der Kunsthochschule wird die im wahren kleinbürgerlichen Leben oft hilfreiche Weisheit „Doppelt gemoppelt hält besser“ aus gutem Grund nicht gelehrt. Dort nennt man das Tautologie.

Man merkt Drooker an, dass ihm selbst nicht wohl ist, wenn er von dieser Arbeit erzählt. „Es gibt ja eine lange Tradition, Gedichte durch Illustrationen zugänglicher zu machen. William Blake zum Beispiel hat neben seinen eigenen Gedichten auch Werke von Milton und Dante bebildert. Allen und ich hatten Spaß an unserer gemeinsamen Arbeit, und selbst als er tot war, hatte ich immer das Gefühl, er sitzt auf meiner Schulter und sagt mir, was gut ist und was nicht. Er hat mich während der Arbeit an ,Howl‘ drei Jahre lang begleitet.“

Drooker lebt mittlerweile im kalifornischen Berkley, doch seine New Yorker Vergangenheit lässt ihn nicht los. „Tom Waits hat mal gesungen: ,I never saw the East Coast until I moved to the West‘ – so geht es mir auch“, sagt er. „Ich liebe es zwar, nackte Frauen zu malen, aber meine wichtigste Muse ist New York City, die Metropolis des 21. Jahrhunderts. Ich träume fast jede Nacht von dieser Stadt.“

Seit dem Umzug kann er seine Bilder zwar nicht mehr an der Lower East Side aufhängen, doch dafür ziert seine Kunst mittlerweile öfter das Cover des „New Yorker“, wo Art Spiegelmans Frau Francois Mouly als Art Director arbeitet. Drookers Bilder sind heller geworden, humorvoller und impressionistischer. Aber sie haben noch immer eine große, teilweise prophetische Kraft.

Als er etwa im Sommer 2008 einen Coverentwurf einsandte, der einen Börsenmakler auf der Wall Street zeigt wie er geschäftig telefonierend einen offenen Gullydeckel übersieht und im Begriff ist, hineinzufallen, lehnte „New Yorker“-Chefredakteur David Remnick das Bild zunächst ab. „Er wollte die Menschen nicht verunsichern“, so Drooker. „Der Börse ging es gut, die Aktienkurse kletterten auf Rekordniveau. Er sagte:,Es gibt keinen Grund, das zu bringen -sollen wir es dir per Fed-Ex zurückschicken?‘ Und ich habe gesagt:,Lass es lieber noch ein bisschen liegen. Ich glaube, ihr könnt das noch gebrauchen.'“ Dreimal dürfen Sie raten, was Ende September 2008, kurz nach dem Black Monday, an dem die Großbank Lehman Brothers zusammenbrach, auf dem Cover des „New Yorker“ zu sehen war. „Ich habe diese Entwicklung kommen sehen“, sagt Drooker. „Jeder hat sie kommen sehen.“

Drooker schloss sich den aufkommenden antikapitalistischen Protesten an und gestaltete die Heldin seiner zweiten Graphic Novel, „Blood Song“ von 2002, zu einer energischen Leitfigur für Occupy Wall Street um. Er habe lange auf eine solche Bewegung gewartet, sagt er. „Ich kannte viele der Anführer vom Zuccotti Park. Sie waren auch bei den Ausschreitungen am Tompkins Square Park 20 Jahre zuvor dabei. Sie hatten Erfahrungen, wie man mit der Polizei umgehen muss und konnten dieses Wissen jetzt einsetzen.“ Auch seine Kunst hat einen neuen politischen Kontext gefunden. Nicht selten hängen Eric Drookers Bilder heute wieder in den Straßen von Manhattan.

Eric Drookers „Flut! Ein Roman in Bildern“ ist in einer sehr schönen, erweiterten Ausgabe im Avant Verlag erschienen und kostet 19,95 Euro.

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