Der Traum aller Träume

Neue Briefe und Tagebücher schildern noch einmal sehr detailliert das wüste Leben von Charles Bukowski - und beweisen, daß er selbst sein bester Biograph war

Wenn es sich weiter so gut anläßt, werde ich nur noch hier an der Maschine sitzen und den Bullshit rauspumpen“, schreibt Charles Bukowski, immer noch hauptberuflich Briefsortierer in der Nachtschicht, aber in der Freizeit längst so etwas wie eine Underground-Berühmtheit, Ende April 1969 an den Heidelberger Studenten Carl Weissner. Er kann das alles noch gar nicht richtig fassen. „Das Buch bei Penguin; und zwei in der Mache bei Black Sparrow; außerdem noch eine Bibliographie, die ein armer Hund (Bibliothekar) zusammengestellt hat und für die ich automatisch was kriege. Ich werde dem Postamt am Ende noch kündigen müssen, statt zu warten, daß sie mich feuern… Es wäre der Traum aller Träume, allein von der Schreibmaschine leben und weiter schreiben zu können, was und wie ich will – und darunter werde ich es nicht tun.“

Der frühe Bewunderer und mittlerweile Freund streckt gerade in Deutschland seine Fühler aus und versucht Bukowskis Szene-Erfolg „Notes Of A Dirty Old Man“ an den Verlag zu bringen, was dann auch bald gelingt und eine jahrzehntelange, überaus fruchtbare, kongeniale Geschäftsbeziehung einleitet, die erst Bukowskis Krebstod 1994 beendet. Bukowski haute es raus, und Weissner kam kaum hinterher mit dem Verticken der Rechte und der anschließenden Obersetzung, die dessen Kolumnen, Gedichte, Stories und Romane in Deutschland in wenigen Jahren zu kontrovers rezipierten, durchaus auch geschmähten, aber eben doch: Bestsellern machte. Bukowski wußte bald, daß er mit seinem „guten Hunnen“ einen Glücksgriff getan hatte, denn der gab sogar seine eigenen literarischen Ambitionen dran, um ganz in dem Job als Vermittler der unfrohen US-Underground-Botschaft aufzugehen. Nicht nur Bukowskis, aber doch vor allem.

Die Briefe an Weissner sind dann auch der heiße Kern der „Schreie vom Balkon“ (Gingko Press, 24,90 Euro), dieses wirklich voluminösen, splendiden und im authentischen Flattersatz auch noch formal adäquaten Auswahlbandes der „Briefe 1958-1994“. In ihm erkennt Bukowski den verwandten Geist, ihm vertraut er blind, und insofern beläßt er es nicht nur bei den üblichen Andeutungen, sondern schildert – neben den literarischen Plänen – ausführlich und detailreich seine ständigen, manchmal blutigen Stürze und Abstürze, seine Gerichtstermine wegen Tunkenheit in der Öffentlichkeit, die immer wieder an der eigenen, durchaus reflektierten Asozialität scheiternden Frauengeschichten, seine Misanthropie, die notorischen Besuche der Pferderennbahn und so weiter. Nichts, was man nicht längst wüßte, aber nach all dem kann man immerhin sagen, daß er nicht viel dazu erfunden hat, daß es keine Pose war. Auch stilistisch.

Wer seine Briefe nicht kennt, ist erstaunt über ihre Homogenität. Sie unterscheiden sich höchstens in der Länge und sind durchgängig durchweht von diesem scheinbar unliterarischen, stinkenden, aber auch menschlich warmen, leicht hechelnden Buk-Atem. Und man wundert sich überdies, wie sehr sie den wirklich fiktionalen Texten gleichen. Mit der Lektüre der Briefe offenbart sich eigentlich erst in voller Evidenz seine ganz unverwechselbare, unverrückbare und – wenn man es moralisch formulieren wollte, was er selbst vehement abgelehnt hätte – durch und durch lautere Stilphysiognomie. Bukowski ist immer er selbst, und es ihm egal, in welchem Genre er sich gerade bewegt.

„Schreie vom Balkon“ ist auch deshalb so ein Wurf, weil er im Grunde alle bisherigen Biographien überflüssig macht. Bukowski sagt selbst am besten, was zu seinem Leben und Werk zu sagen ist. Der Rest ist Erbsenzählerei. Und entgegen der eigenen Koketterie mit seiner vermeintlichen Ungebildetheit und dem zunehmend schrumpfenden Vokabular, weiß er durchaus, was er und warum er es tut. Und kann das eben auch mit der bekannten schlampigen Grazie und seinem knochentrockenen Witz formulieren.

Schon 1961 verteidigt er in einem Leserbrief eine Sache – das von einem Kritiker gescholtene „Eindringen von Prosa in die Lyrik“: „Wer je gezwungen war, an einem Lyrik-Seminar teilzunehmen, oder den Fehler machte, nach einer Dichterlesung zum Stehempfang dazubleiben, dem wurde beigebogen, was künstlerisch und poetisch die ‚richtige‘ Methode ist, und wenn ich mal einen verschmähten Ausdruck gebrauchen darf – mir ist das eine wie das andere einen Scheißdreck wert… Was ist denn verkehrt an einem Prosa-Statement von 6 oder 7 oder 37 Zeilen, wenn es zwecks Klarheit und besserer Lesbarkeit wie ein Gedicht daherkommt? Solange es sagt, was es sagen muß, und es genauso gut oder besser ausdrückt als die eiserne Gußform, die tönt: Ich bin ein Gedicht, also herhören!

Was ist einzuwenden gegen eine Short-Story von 7 Zeilen oder einen Roman von 37 Zeilen, in Gedichtform präsentiert? Wenn es sich in der Form besser liest, als wenn man es zu einem normalen Satz oder Absatz englischer Normalprosa zusammenstauchen würde? Müssen wir immer alles definieren und in Kategorien zwängen? Kann Kunst, in Gottes Namen, nicht Kunst sein ohne Programm und Silbenzählerei?“

Aber noch etwas leistet dieses Buch viel besser als jede Biographie: Das im homogenisierenden Rückblick immer so Stringente einer Erfolgsgeschichte wird in der engen Brieffolge, die ab i960 keine allzu großen Lücken mehr läßt, zurückgeführt auf eine historische Punktgenauigkeit, der man noch die Brüche und Widersprüche ablesen kann. Während er Weissner Anfang 1970 noch stolz verkündet, er sei „raus aus dem gottverdammten Postamt und mache jetzt auf Tipper und Maler“, scheint ihn bereits nach gut einem halben Jahr das Glück zu verlassen. An seinen späteren Biographen Neeli Cherkovsky schreibt er: „Die Knete geht mir aus, und ich bin am Abschnappen. Ich prostituiere mich nach wie vor – in der näheren Umgebung – mit Lesungen. Für lächerliches Honorar. Sogar in einem Coffeehouse in Venice – 55 Dollar. Herrgott, ich schwitze reines Blut. Mann, im Postamt wars gar nicht so schlecht. Ich dachte, ein Leben als Schriftsteller wäre das einzig Wahre. Dabei ist es schlicht die Hölle. Ich bin bloß ein billiger winselnder Sklave.“

Freunde leihen ihm Geld, die Furcht vor dem nächsten miesen Aushilfsjob treibt ihn an zu einer schon erschreckenden Produktivität – und so legt er in den nächsten drei Jahren das Fundament seines Weltruhms. Aber er bleibt dennoch skeptisch, schreibt weiterhin brav die Pappkartons voll, die von seinem Hausverleger John Martin regelmäßig abgeholt und erst mal gebunkert werden, um den Markt nicht zu übersättigen. So entsteht mit der Zeit ein Überhang von sechs bis acht Gedichtbänden, und Bukowski tippt und tippt. Die Worte scheinen nie zu versiegen.

Selbst als der dreckige alte Mann dann wirklich langsam alt wird, Anfang der 90er Jahre die ersten körperlichen Gebrechen sich einstellen, Tuberkulose, grauer Star, Hautkrebs und immer öfter auch eine geistig-körperliche Mattheit, ist es fast rührend zu sehen, wie er sich immer noch an der eigenen Arbeit berauschen kann, wie ihn das Schreiben wieder in Form bringt. Die diesen Zeitraum – also die Jahre 1991-1993 – näher beleuchtenden Auszüge aus den Tagebüchern, „Den Göttern kommt das große Kotzen“ (Kiepenheuer & Witsch, 16,90 Euro), sind eine schöne Ergänzung zum Briefband und fügen dem Werk dann tatsächlich noch einen neuen Tonfall hinzu: eine von Alters-Ennui geplagte, stoische Milde. Er fühlt sich müde, weiß, daß er bald sterben muß, macht sich in seinen Rückblicken jedoch immer wieder klar, daß er noch mal davongekommen ist. Ihm ist der Tag nur noch eine lästige, aber unerläßliche Vorbereitungszeit für die Abende und Nächte an seinem Schreibtisch. Und da stimmt er dann seine Jubelgesänge an, weil er einen Lauf hat, weil die Worte jetzt mit dem Computer noch flüssiger kommen, weil er sich wieder einmal selbst beweisen kann, noch am Leben zu sein.

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