Der Vorleser des Landes – Zum Tod von Harry Rowohlt

Vor ein paar Wochen erst gratulierten wir dem Übersetzer, Kolumnisten, Vorleser und Trinker Harry Rowohlt an dieser Stelle zu seinem 70. Geburtstag. Nun ist er nach langer Krankheit in Hamburg gestorben.

Ein Trost mag sein, dass er nicht verstummt ist, dass man sein brummbäriges Organ auch weiterhin aus Stuben und Kinderzimmern hören wird, wenn jemand ein Hörbuch von sagen wir „Pu der Bär“ auflegt. Doch auch wenn man seine Übersetzungen liest, hat man unvermeidlich seine Stimme im Kopf, denn eigentlich war er auch auf dem Papier ein Vorleser, einer, der die Texte mit einem Ohr für das gesprochene Wort interpretierte und uns nahe brachte. Flann O’Briens „In Schwimmen-Zwei-Vögel“ etwa oder „Die Asche meiner Mutter“ von Frank McCourt. Ein „übersetzt von Harry Rowohlt“ auf dem Buchumschlag ist ein Prädikat und war lange Zeit schon die Garantie für einen Bestseller.

Bereits weit vor dem Hörbuch-Boom war der Sohn des Verlegers Ernst Rowohlt und der Schauspielerin Maria Pierenkämper der liebste Vorleser des Landes. Noch schöner, als ein Buch von Harry Rowohlt vorgelesen zu bekommen, war es allerdings immer, ein Buch nicht von Harry Rowohlt vorgelesen zu bekommen, weil er nämlich – so geschehen bei seinen epischen, lange Zeit gar exzessiven Lesungen, gegen die Bruce-Springsteen-Konzerte quasi die Fünf-Minuten-Terrine des Storytellings mit Betonung sind – stattdessen selbst ins Fabulieren und Geschichtenerzählen geriet und aus dem Leben und Alltag des Übersetzers, Vorlesers und Teilzeit-„Lindenstraßen“-Darstellers (als Hartmut Rennep alias Penner Harry) berichtete. Ebenso wie in seinen eigenen Werken – der Kolumne „Pooh’s Corner“ für die „Zeit“, seinen gemeinsam mit Ralf Sotscheck auf Band gesprochenen Memoiren „In-Schlucken-zwei-Spechte“, seinen Versen und nicht weggeschmissenen Briefe – hielt er sich mit seinen Meinungen über Mitmenschen nicht zurück und stellte die Eitelkeiten und Empfindlichkeiten seiner Kollegen – ebenso wie die eigenen – ohne Scham aus. Das lässt sich auf grandiosen Tondokumenten mit Titeln wie „Der Paganini der Abschweifung“ nachhören. Doch vor allem hört man, dass aus allem, was Rowohlt hier erzählt und rezitiert, die Liebe zur Sprache, zu Idio- und Dialekten, zu heiligen Trinkern, echten Typen und Renegaten (und die Missachtung derer, die all dies nicht lieben) spricht. Wie er sich die Worte genüsslich im Mund zergehen lässt, wie er das einfache schwäbische oder kölsche oder fränkische Volk nachahmt, wie er von seinen literarischen Helden Kurt Vonnegut, Flann O’Brien oder dem genialen Wiener Kaffeehausliteraten Alfred Polgar redet, die ihren Nachruhm zu (unterschiedlich) großen Teilen ihm verdanken.

Auf lange Lesereisen ging Rowohlt in den vergangenen Jahren nicht mehr. Er litt an einer Nervenkrankheit, die ihn in den Rollstuhl zwang, der so genannten „Polyneuropathie“. Bei seinen wenigen öffentlichen Auftritten wies er immer wieder auf diese Krankheit hin, vermutlich, weil ihm der Name so gut gefiel und einen Anlass bot, sich und seine Zuhörer an der Sprache zu berauschen. Auf ärztlichen Befehl lebe er nun abstinent bzw. „schiebe Ethanolkarenz“ (noch so ein Wort), erklärte er dann, und gebe sich nur noch unter Aufsicht eines Neurologen „viermal im Jahr gepflegt die Kante“.

Lassen wir unsere Ethanolkarenz heute Abend ruhen und trinken einen Paddy auf Harry Rowohlt.

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