Der wunderbare Schlitz im Kleid

Jungs staunen, werden neidisch oder schreiben Todeswünsche per E-Mail: Die Electric Girl-Groups sehen keinen Widerspruch zwischen Punk und Sex

Auftritt Cobra Killer: Annika Line Trost und Gina D’Orio legen Wert auf die Feststellung, dass sie ihre High Heels nicht nur auf der Bühne tragen, sondern auch zum Brötchenholen. Auf der Bühne fuhren die zwei Kreuzbergerinnen sich auf wie Iggy Pop 1969, Rotwein und Blut fließen, Schweiß und Rauch füllen den Raum. Während Annika mit dem Hula-Hoop-Reifen um die Wette kreiselt, krachen Songs, die sich anhören wie ein elektronisches Update der Cramps. Andere Stücke des Albums „76/77“ sind hysterischer Trash-Pop.

„Cobra Killer completely knocked us out It’s two girls and a sampler; and it was just phenomenal“, schwärmte Thurston Moore, der die zwei ins Vorprogramm einer Sonic Youth-Tour holte. Cobra Killer kleiden sich dezent bis mondän, doch vor allem Gina, die schon mit zwölf bei den Lemonbabies anfing, wirkt so, als sei Arger ihr zweiter Vornahme. In Berlin genießen sie wegen ihrer Radikalität enormen Kultstatus – und eine Trennung zwischen Kunst und Leben akzeptieren sie seit der Gründung vor sieben Jahren nicht: „Wir sehen uns nicht als Entertainer, die sich auf der Bühne in andere Menschen verwandeln. Ich finde Leute, die sich ein Alter Ego für die Bühne zulegen, sehr bemitleidenswert“, sagt Annika mit der kühlen Herablassung einer Frau, die von Männern keinen rosa Teppich ausgerollt haben will. Ein kurzer Blick raus aus Berlin und in die Pop-Landschaft hinein: So nett, brav und gut frisiert wurde hier zu Lande schon lange nicht mehr musiziert. Rock ist Trend, ist Wirtschaftsfaktor, ist langweilig – wenn man das mal ein wenig zuspitzen darf. Und ausgerechnet die Mädchenbands in Berlin sind das genaue Gegenteil von all den jungen Gitarren-Bausparern. Bitte nicht an „Rock-Ladies“ denken, und bitte nicht mit feministischen Diskursen anfangen: Cobra Killer und ihre Kolleginnen Chicks On Speed und Electrocute haben damit nichts im Sinn.

Gegen das dominante Gebaren von Cobra Killer wirken Electrocute auf den ersten Blick ausgesprochen niedlich: Für das Cover ihres Debütalbums „Troublesome Bubblegum“ haben sich die Mädchen als ein sexy Eichhörnchen und eine Kaugummi blasende Fee verkleidet. Die Texte unterstreichen, dass es hier kokett und augenzwinkernd zugeht – im fröhlichen Stil einer Sixties-Girl-Group werden S&M-Praktiken besungen, oft lugt der aufgekratzte Pop der B-52’s um die Ecke.

Nicole Morier, die zu 85 Prozent die Electrocute-Musik schreibt und spielt, verließ vor vier Jahren ihre Heimatstadt Albuquerque aus dem klassischen Rock’n’Roll-Grund: Sie schloss sich als Gitarristin der Berliner Trashrock-Legende The Golden Showers an, mit deren Sänger Razi Isnogood sie inzwischen verheiratet ist Im Oktober veranstalteten die beiden in der Maria am Ufer eine „Cat Scratch Fever Nite“, bei der sich Razi wieder die Frauenkleider mit Glasscherben vom Leibe schnitt und Nicole noch spärlicher bekleidet war als zuvor beim Auftritt mit Electrocute-Partnerin Holly.

„Wenn du dir heute die Titel von Lifestyle-Zeitschriften wie ,Prinz‘ anschaust, dann siehst du darauf eine Menge Silikonbrüste und Bikinis“, sagt Nicole, Tochter eines Hippies, der einst Songs für Sam The Sham & The Pharaohs schrieb. „Die Gegenseite dazu sind Mädchen, die sexy sind und Klasse haben, die genau wissen, was sie Volksmusik

da machen und alles unter Kontrolle haben. Sex ist ein wichtiger Teil des Rock’n’Roll, das ist bei Männern nicht anders. Die Rolling Stones sind dafür das beste Beispiel.“

Das Trio Chicks On Speed setzt andere Schwerpunkte: „Wir wollen als richtige Gruppe gesehen werden, nicht nur als Band, die Musik macht Musik, Ausstellungen und Mode sind bei uns eng miteinander verknüpft: Wenn wir Auftritte machen, brauchen wir etwas zum Anziehen – und weil wir nichts Passendes gefunden haben, fingen wir an, selber Kostüme zu entwerfen“, sagt Melissa Logan. Die Chicks On Speed galten sogar lange als dilettantische Nichtmusikerinnen aus der Kunstszene, die es anderen überließen, die Musik für ihre allerdings hervorragenden Platten einzuspielen.

Auf dem Cover des neuen Albums „Press The Spacebar“ steht als Künstlerangabe konsequenterweise: Chicks On Speed And The No Heads. Die spanische Band hat zusammen mit den Chicks und Produzent Cristian Vogel einen psychedelischen Punk-Sound eingespielt, der an die verrückte Sixties-Band The Shaggs erinnert – was ja eher wenige Platten tun.

Doch auch diese wunderbar verspulten Jam-Sessions werden unter Holzköpfen wohl wieder nur für Irritation sorgen. Wie es um die Toleranz junger Männer gegenüber übermütigen Musikerinnen bestellt ist, zeigte das Erlebnis beim gemeinsamen Konzert mit den Red Hot Chili Peppers im Londoner Hyde Park: „Bullige Hooligan-Typen haben uns mit Flaschen beworfen. Noch Tage später bekamen wir Hunderte von E-Mails: „I hope a bus runs you over! Your music sucks!“

Und alles nur, weil die Chicks vielleicht am konsequentesten das Credo des Punk umsetzen: Do it yourself. Oder, wie Melissa sagt: „Do it with everybody else.“ Hooligans, Schwiegersöhne – gibt es denn nichts dazwischen?

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