Der Zauber der Zylinder

In Heinrich Breloers Kino- Fassung der "„Buddenbrooks" brilliert August Diehl als labiler Schöngeist und findet viele Parallelen zur aktuellen Globalisierungs-Misere.

Mit großen Geschichten kennt Heinrich Breloer sich aus. Er hat die eines berühmten Nazi-Architekten („Speer & Er“) verfilmt, die Schleyer-Entführung („Todesspiel“) und natürlich die Familiensaga „Die Manns“. Jetzt hat sich der 66-jährige Regisseur an die „Seelengeschichte des deutschen Bürgertums“ gewagt: die „Buddenbrooks“ (Start: 25.12.). In zweieinhalb Stunden erzählt er Aufstieg und Fall der Lübecker Kaufmannsfamilie – stark verkürzt natürlich, mit offizieller Erlaubnis, wie Breloer versichert: „Erika Mann hatte für den Kinofilm aus dem Jahr 1959 (ca. 200 Minuten) mit ihren Kürzungen verschiedene Blankoschecks ausgestellt und große Umstellungen erlaubt. So habe ich mit dieser Lizenz auch die Geschichte am Beispiel von nur drei Generationen erzählt. Die Buddenbrooks aus dem Jahr 1959 sterben allerdings nicht in der richtigen Chronologie. Der kleine Hanno geht vor seinem Vater ins Grab. Da habe ich mich wieder an die Reihenfolge aus dem Roman gehalten. Erst der Vater, dann der Sohn.“

Nach all seinen TV-Erfolgen war der Schritt zur Leinwand für den Regisseur kein kleiner: „Wenn jemand, der so lange Fernsehfilme gemacht hat, einen Kinofilm machen will, hört der vor allem viele skeptische Fragen. Was willst du überhaupt im Kino? Schuster, bleib beim Dokudrama, das kannst du doch besonders gut. Da wusste ich: Diesmal muss ich Buch und Regie noch intensiver vorbereiten, sonst fallen sie alle über mich her: So was kommt von so was. Wenn es dem Esel zu wohl ist, dann geht er aufs Eis und tanzt – und bricht sich ein Bein. All das.“ Also wählte er jedes Familienmitglied sehr sorgfältig aus, ließ schon bei den Castings Masken und Kostüme probieren. Machte sich detaillierte Notizen zu allen Kulissen, protokollierte mögliche Perspektiven. In ein, zwei Jahren wird es im Fernsehen dann doch noch eine längere Fassung von zweimal 90 Minuten geben, aber vorerst lag der Fokus auf der Kino-Version: „Im Kino kann man alogischer erzählen, große Rätsel lassen, Sprünge schneiden. Das Publikum ist da ein bisschen mehr gewöhnt. Das Kino ist ja ein magischer Ort zum Träumen. Das Fernsehen spielt in erleuchteten Wohnzimmern. Es läuft in den Alltag hinein. Das ist eine andere Konzentration im Kino, ein anderer Moment der Verzauberung. Und die große Leinwand! Da spürt man die Tiefe einer Landschaft und kann darin spazieren gehen.“ August Diehl, der Christian Buddenbrook spielt, hatte zu Schulzeiten keinen Zugang zu Manns Familienchronik gefunden, stellte später aber fest, dass seine Vorurteile haltlos waren: „Ich war überrascht, wie das geschrieben war – alles, was man über Thomas Mann eigentlich nicht denkt: unterhaltsam, leicht, wie eine Urlaubslektüre auf sehr hohem Niveau, ein Schmöker.“ Nun war diese Figur für Diehl etwas völlig Neues – ein labiler Sohn, der sich mehr für Theater und das schöne Leben im Allgemeinen interessiert als fürs Geschäft. Erst beim Vorsprechen, nachdem er zwei Stunden in der Maske gesessen hatte, und mit Schnauzer und Gehrock zu einem anderen Menschen geworden war, stellte Diehl fest: „Das muss ich spielen! Eigentlich ist die Rollenauswahl bei mir immer sehr instinktiv— was gerade passt, worauf man gerade Lust hat. Einen wie Christian Buddenbrook hatte ich bisher nie gespielt, sondern eher Typen, die genau wussten, was sie wollen, manchmal sogar zu genau, so dass sie durchdrehen. Christian schwimmt eher wie Treibholz im Leben, das hat mich sehr angezogen. Er ist sicher die modernste Figur, und doch muss er sich als Mitglied der Familie auch einem gewissen Kodex unterwerfen.“

Jessica Schwarz bemüht sich als Tony redlich, doch ihr aufmüpfiges Gesicht will nicht recht in diese Zeit passen. Armin Mueller-Stahl und Iris Berben müssen dagegen kaum mehr tun, als hin und wieder Augenbrauen zu haben. Die wahren Helden dieses so altmodischen wie anrührenden Films sind Mark Waschke als allzu pflichtbewusster Thomas und Diehl als Christian Buddenbrook. Ihm gelingt es mühelos, die Verwandlung vom jungen Schöngeist zum verzweifelten älteren Mann glaubhaft zu machen. Der Bezug zur Zeit stellte sich für ihn im Laufe der Dreharbeiten von selbst ein: „Das 19. Jahrhundert ist eine sehr spannende Zeit und während des Drehs dachte ich, es ist auch das Jahrhundert, das uns in Europa eigentlich noch nachhaltiger geprägt hat als das 20., obwohl das 20. natürlich ein wahnsinniges ,Action-Jahrhundert‘ war. Aber das 19. hat bestimmte Grundpfeiler gesetzt, die heute noch gelten. Vieles aus diesem Roman ist leider gerade wieder sehr aktuell: Finanzkrise, Familien-Imperien, die zusammenbrechen, Wirtschaftszweige, die neu erfunden werden müssen. Es ist im Grunde ein Roman über die Anfänge der Globalisierung.“

Über die plötzliche Brisanz wunderte sich auch Breloer: „Auf einmal hörte ich im Radio die Sätze über .faule Kredite‘, die an der Börse im 19. Jahrhundert gesprochen werden. Sätze, die ich vor drei Jahren hineingeschrieben habe, kommen am Abend aus der .Tagesschau‘! Die Leute hatten ganz ähnliche Probleme, wie wir sie mit der Globalisierung und dem Computer bekommen haben. Bankier Kesselmeyer und Grünlich sind als Betrüger eine Art Lehman Brothers. Die legenden ehrbaren Kaufmann rein, der sich nicht vorstellen konnte, dass jemand so dreist mit gefälschten Büchern arbeitet. Für Jean Buddenbrook bricht die Welt zusammen, der verliert Geld und den Glauben.“

Doch trotz aller aktuellen Parallelen war klar: Schauplätze und Sprache standen nicht zur Disposition, da sollte es keine falschen Modernismen oder halbgare Kulisäen geben. In Lübeck waren die Bewohner bereit, kurzzeitig ins 19. Jahrhundert zurückzukehren: Sie brachten alte Bücher, stellten Kerzen in die Fenster, ertrugen nächtlichen Kutschen-Lärm. Und Breloer konnte „eine Hansestadt im 19. Jahrhundert zeigen. Sie sehen, wie die Segler, beladen mit Korn aus Russland, die Trave runter kommen. Wie die Säcke am Hafen in die Speicher gehievt werden, eben den Handel. Auch die Börse. Straßenzüge wurden umgewandelt – mit der Flex rasch alle Fahrradständer abgesägt, Schilder rausgerupft, Straßen versaut, Hühner laufen gelassen, Karren hingestellt und Pferd und Wagen…“

Und natürlich wurde die Sprache Thomas Manns beibehalten. Alles andere wäre für den leidenschaftlich gewissenhaften Breloer Schindluder gewesen: „Ich finde es unsäglich, wenn in Filmen, die angeblich im 19. Jahrhundert spielen, plötzlich dieses blöde Amerika-Deutsch kommt. Wenn ein Musketier zum anderen sagt: .Bist du okay?‘ Oder in einem Fantasy-Film eine Person sagt, dass er etwas .hinterfragt‘ hätte. Das Deutsch der Studentenbewegung! Oder ein Ritter zu einer Frau sagt: ,Du, ich habe über uns nachgedacht‘ — das hat man bei uns doch nicht mal in den 20er, 30er Jahren gesagt, das ist die Psychoanalyse der späten 50er Jahre Amerikas. Gerade in ,Wir sind ein Volk‘, da sagte eine in der DDR auf einmal ,Ups‘. Niemals hätte in der DDR jemand ,Ups‘ gesagt!“ Der Regisseur wüsste sicher noch ein Dutzend anderer Beispiele solcher Ignoranz, die ihn aufgeregt haben, doch er besinnt sich auf das Wesentliche: „Nein, nein, ich habe Thomas Manns knorriges Deutsch aus den Schichten des 19. Jahrhunderts belassen. Und wenn Thomas mit seinem Bruder Christian schimpft und sagt: Verjökel nur dein Leben!‘, dann hätte ich vielleicht auch .verspielen‘ oder ,vergeigen‘ daraus machen können, aber das hätten die damals nicht so gesagt. Ich lasse dann gern ,verjökeln‘ stehen, weil es die richtige Farbe für die Zeit der Zylinder ist.“

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