Deutsche Abrechnung: In den Collagen von Ammer & Einheit werden Kaiser, Führer und Ulrike Meinhof wieder lebendig

Deutschland, deine Hörspielkunst. Von Klassikern des literarischen Hörspiels à la Friedrich Dürrenmatt bis zur neuen Hörspielförm als Collagen-, O-Ton und Montage-Dokument – das Hörspiel hat mittlerweile ein erstaunliches Spektrum an „auditiver Kunst“ generiert.

Unter anderem auch das Duo Andreas Ammer und FM Einheit versehen mit Preisen für ihre multiplen Hörstücke Apokalypse Live“ und „Radio Inferno“. Ammer/Einheit-Produktionen bedeuten immer Unterhaltung und Terror in einem Soundtrack, wüste Collagen in einem Gestrüpp aus Musik- und Wortsequenzen. Rhythmus bestimmt den Inhalt Textpassagen werden nach musikalischen Prinzipien aufgebaut, Grenzen zwischen Popsong, Hörspiel und Dokumentation verwischen.

Ihr neuer Schlag wider die Hörgewohnheit hat den Titel „Deutsche Krieger“ein Werk, das 100 Jahre Deutsche Geschichte auf 66 Minuten komprimiert Kaiser Wilhelm H, Adolf Hitler sowie Ulrike Meinhof ab Stars eines nationalen Trümmerhaufen in akustischen Bildern. Eine Herausforderung, ein Wagnis oder nur die freche Respekdosigkeit des Popkünsders?

„Erst mal hat mich Deutschland als Sound interessiert“, erklärt Andreas Ammer die Trilogie. „Wie kann dieser Sound aussehen? Ich hatte zu Kaiser Wilhelm bereits mal etwas gemacht, hatte also noch Material. Und als ich feststellte, daß da ein spezifischer Sound funktionierte, kam die Idee, ein Werk daraus zu machen. Wir arbeiten ja mit Text, Musik, mit Mitteln der Unterhaltung; dem gegenüber stehen diese grausamen Inhalte. Dabei war ganz klar: So was wie ein Kohl-Rap wäre für uns nicht in Frage gekommen.“ Drei Kapitel deutscher Vergangenheit haben sie fürs Radio in drei Hörstücken komprimiert. Als durchgehendes Stück auf CD liegt die geballte historische Wahrheit schwer im Magen. Läge wohl am Thema, meint FM Einheit verantwortlich für den musikalischen Treibstoff. „Wir wollten nur Material verwenden, das wir vorgefunden haben. Deutsche Geschichte ist eben unverdaulich.“ Eine heikle Thematik also. Noch dazu nicht als wohltemperierte Dokumentation in kleinen Häppchen serviert, sondern ein Potpourri aus Zitaten, Sprachfetzen, Originalaufnahmen, Geräuschen und viel elektronischer Musik. Beim „Kaiser Wilhelm Overdrive“ wird mit dem Phonographen zum ersten Mal die Reproduzierbarkeit einer Originalaufnahme wirksam. Mobilmachung im Jahr 1914. Reime wie Jeder Schuß ein Ruß, jeder Stoß ein Franzos“ als Beatbox, Grammophonrauschen als Rhythmus-Sequenz.

„Adolf Hitler Enterprise“ bedient sich der allgegenwärtigen Macht des Radios, der Propaganda. Weihnachten 1941 am Volksempfänger: Das Volk singt „Stille Nacht“ in simultaner Ringschaltung – eine Szene, wie sie schon Faßbinder mit „Lilli Marleen“ so glanzvoll inszenierte. Durch die damals geschickt gefälschte Zuschaltung der entferntesten Frontlinien entsteht der Eindruck, überall und gleichzeitig zu sein. Kriegsberichterstattung, Hitler-Reden, Militärfunk and Techno-Bleeps steigern sich zum Endzeit-Opus.

Zuletzt Ulrike Meinhof im Paradies des perfekten Medien-Krieges:

Das Monster RAF, die Gewalt einer Gruppe gegen einen ganzen Staat, und „6 gegen 60 Millionen“ blubbert im Discosound. Welch ein Kontrast dazu die Stimme der Meinhof, die nicht zum Bild der kaltblütigen Terroristin passen will. „Eine Hitler-Rede ruft auch heute noch bei Deutschen ein Bauchkribbeln hervor, die Stimme der Meinhof jedoch kennt niemand, die wurde bewußt zurückgehalten. Hört man sie, ist man verblüfft, sie hat fast etwas Erotisches.“ Es entstehen plötzlich Zwischentöne, die mehr über unsere Gegenwart aussagen, als man wahrhaben wollte.

Ein PoÜtikum also? Zumindest eine ergreifende „Tonträgeroper“, wie Ammer/Einheit es nennen, die ein kontroverses Geschichtskonzentrat als emotionales Purgatorium liefert, zudem eine Parabel über Macht und Mißbrauch der Medien.

Während der Bayerische Rundfunk Teil eins und zwei produzierte und sendete, hat er „Ulrike Meinhof Paradise“ abgelehnt. In Holland dagegen wollte der CD-Hersteller anfangs das Cover nicht drucken – wegen Hitler.

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