Die 60 wichtigsten Konzerte aller Zeiten

Ein Abend kann Leben verändern - auf der Bühne und im Publikum. Wir haben 60 derart prägende Auftritte ausgewählt.

Was macht ein Konzert zu einem unvergesslichen Erlebnis? Wann prägt ein Abend eine Epoche? Der Moment muss stimmen (wie bei Woodstock), und die Eindrücke sollten sich ins kollektive Gedächtnis brennen (wie bei Live Aid). Manchmal ist es die Geburtsstunde einer Band (Oasis), manchmal der Höhepunkt ihrer Kunst (Radiohead). Wenn Zeitgeist und Begabung zusammentreffen, entstehen solche Stunden, an die sich nicht nur die Anwesenden erinnern, sondern deren Mythos über Jahrzehnte weitererzählt wird.

Und bevor die Beschwerden kommen: Natürlich fehlen hier viele wichtige Konzerte – ob von ABBA oder den Ramones, von Simon & Garfunkel oder Leonard Cohen. Der Pyramiden-Besuch der Grateful Dead, Billy Joels Moskau-Erlebnis, die Blutspuckerei von Kiss. Und jeder Künstler durfte nur einmal auftauchen (von einem abgesehen). Eine Zeitreise, die mit der Popularisierung des Rock’n’Roll beginnt.

Elvis Presley

The Milton Berle Show

5. Juni 1956

Eigentlich war es nur eine harmlose Fernsehsendung. Elvis Presley war schon am 3. April 1956 zu Gast in der „Milton Berle Show“ gewesen, es gab keine Probleme – er sang drei Lieder, die Begeisterung hielt sich in Grenzen. Doch am 5. Juni war plötzlich alles anders. Es war der Abend von „Elvis The Pelvis“. Während „Hound Dog“ fing der Sänger langsam an, seine Hüften kreisen zu lassen. So viel Sinnlichkeit, so viel Sex: So einen Auftritt hatte Amerika noch nicht gesehen. Elvis verkörperte an diesem Abend alles, was Rock’n’Roll auch in den kommenden Jahrzehnten ausmachen würde: Energie, Lebenslust, Rebellion.

Teenager gerieten in Verzückung, die Kirche war empört, die Presse größtenteils auch. „Vulgär und animalisch“ nannten sie den Auftritt, aber Presley war sich keiner Schuld bewusst: „Ich habe doch nichts falsch gemacht“, gab er kurze Zeit später sichtlich verwirrt zu Protokoll. Er hatte sich nur treiben lassen von der Macht der Musik.

The Quarry Men

St. Peter’s Church Fete, Liverpool

6. Juli 1957

Die wichtigste Begegnung für die Zukunft des Pop fand nicht in London oder New York statt, nicht in einem dunklen Club oder einem Plattenfirmenbüro, sondern an einem schönen Samstagnachmittag im Sommer 1957 beim Kirchweihfest im Liverpooler Vorort Woolton. Die Skiffle-Gruppe The Quarry Men spielte zwei Konzerte im Garten der St. Peter’s Church, unweit des Friedhofs, auf dem eine gewisse Eleanor Rigby begraben liegt.

Ein 15-jähriger Junge aus Allerton hatte ihnen mit offenem Mund zugehört. Vor allem der schon leicht angetrunkene Sänger hatte großen Eindruck auf ihn gemacht. Er konnte zwar die Refrains der meisten Stücke, doch die Strophen dachte er sich aus, während er sie sang. Als die Band sich abends gegen halb sieben in die St. Peter’s Hall zurückzog, um sich für das abendliche Tanzvergnügen zu rüsten, kam es zur Begegnung zwischen dem Sänger John Lennon und seinem Bewunderer Paul McCartney. Und zwei Minuten später hatten sich die Rollen umgekehrt, McCartney spielte linkshändig auf einer Rechtshändergitarre Eddie Cochrans „Twenty Flight Rock“, Lennon lauschte tief beeindruckt.

Chuck Berry

Newport Jazz Festival

3. Juli 1958

Angeblich rauschte der Rock’n’Roll-Oberschlawiner im lila Cadillac in Rhode Island ein – und rüttelte gewaltig an der Sommerfrische-Ordnung, die in Newport damals herrschte. Vier Jahre nach der ersten, von Rassisten attackierten Ausgabe des fast nur von afroamerikanischen Musikern bespielten Festivals zogen sich schon neue Gräben durchs Publikum: saturierte Jazzhörer gegen wilde Tollenträger, die ihre Hips schüttelten, als Berry die Bühne einnahm. Die konsternierten Gesichter seiner mit Posaunen und Klarinetten bewaffneten Begleitmusiker sagten alles.

Buddy Holly

Augenzeuge

Bob Dylan

„Als ich 16 oder 17 war, schaute ich mir Buddy Holly im National Guard Armory in Duluth an, und ich war nur drei Schritte von ihm entfernt … und er sah mich an! Und ich habe einfach das Gefühl, dass er irgendwie – ich weiß nicht, wie oder warum -, aber ich weiß einfach, dass er auf irgendeine Art und Weise die ganze Zeit bei uns war, als wir dieses Album gemacht haben.“ (Bei der Grammy-Verleihung 1998, als „Time Out Of Mind“ zum Album des Jahres gewählt wurde.)

National Guard Armory, Duluth

31. Januar 1959

Die Crickets hatte er hinter sich gelassen, im Winter 1959 war Buddy Holly als Solokünstler unterwegs – und nicht gerade glücklich. Sein Tourbus gefiel ihm nicht, die meisten Kleinstädte ebensowenig. Mit dem Publikum redete er eher wenig, was allerdings egal war, weil das sowieso nur seine Hits hören wollte, und die spielte er alle, routiniert und energisch. Für einen 25-Jährigen hatte er schon ein unfassbares Repertoire: „Peggy Sue“, „Rave On“, „That’ll Be The Day“.

Bob Dylan sah den Rock’n’Roll- Pionier in Duluth – und erlebte Hollys Fähigkeit, mit dem Publikum zu spielen, so intensiv, dass er den Abend nie vergaß. Zwei Tage später trat Buddy Holly im Surf Ballroom in Clear Lake, Iowa auf. Nach der „Winter Dance Party“ wollte er mit seinen Kollegen Ritchie Valens und The Big Bopper schnell nach Minnesota fliegen, er hatte die endlosen Überlandfahrten satt. Die Privatmaschine stürzte kurz nach dem Start ab. The day the music died.

The Rolling Stones

Marquee, London

12. Juli 1962

Zwei Monate bevor die Beatles ihre erste Single veröffentlichten, standen fünf Teenager auf der Bühne des Marquee: Keith Richards, Mick Jagger, und der unter dem Moniker Elmo James agierende Brian Jones hatten ihre gemeinsame Band erst wenige Tage zuvor in Rolling Stones getauft. Ihnen zur Seite standen der Schlagzeuger Tony Chapman sowie Dick Taylor am Bass. Die Stones spielten 16 Songs in 50 Minuten, die Reaktionen changierten zwischen Gemurmel und vereinzelten Buhrufen.

Stones-Mentor Alexis Korner trat an jenem Abend zeitgleich mit Blues Incorporated im Jazz Club der „BBC“ auf. Nachteil: Jagger, damals bei Korner engagiert, durfte nicht mitkommen. Vorteil: Die Stones übernahmen Korners etatmäßigen Donnerstag- abend im Marquee. Es waren die frühen Tage: Jagger, Jones und Richard hausten in einer erbärmlich ausgestatteten Bruchbude am Edith Grove. Bald darauf kamen Watts und Wyman, Giorgio Gomelski, Andrew Loog Oldham und der ganze Rest. Begonnen hatte alles in jener Nacht im Marquee.

James Brown

Apollo, New York City

24. Oktober 1962

Eine kalte Nacht mitten in der Kubakrise, das anspruchsvollste Publikum Harlems. Ein Kräftemessen zwischen Künstler und Crowd. Aber James Brown war in teuflischer Form: Damals spielte er rund 300 Konzerte im Jahr, hatte seine Band unter eiserner Fuchtel, war ein Meister der Dramaturgie, der getanzten Explosionen, retardierenden Elemente. Wie er das Publikum in „Lost Someone“ zehn Minuten lang auf die Folter spannt, es umschmeichelt und von hinten provoziert, bis eine Zuhörerin sich sogar zum Verbalduell mit ihm hinreißen lässt – das ist bis heute einzigartig in seiner illusionären Kraft. Die Bedeutung bekam dieser Auftritt durch die von Brown selbst finanzierte Liveaufnahme, die als LP bis auf Platz 2 der US-Popcharts kam: bis dahin undenkbar für eine derart rohe R’n’B-Platte.

Motortown Revue

Apollo, New York City

Dezember 1962

Wenn man 1962 schwarz war und eine Platte veröffentlichte, wurde sie automatisch als Rhythm’n’Blues kategorisiert. Ein Weißer konnte den gleichen Song einspielen, exakt genauso arrangiert und würde trotzdem als Pop wahrgenommen. Deshalb startete Berry Gordy in diesem Jahr seine legendäre Motortown Revue – es ging um ein möglichst großes Stück aus der Sahnetorte des Pop. Die kommenden Stars des Labels machten auch im New Yorker Apollo Station: Die glamourösen Supremes, der Verführer Marvin Gaye, The Miracles und The Marvelettes waren dabei, aber auch weniger bekannte Acts wie Kim Weston oder The Originals. Der kleine Stevie Wonder war schon damals der Publikumsliebling. Mit „Fingertips Part 2“ landete der Zwölfjährige im folgenden Jahr den ersten Nummer-eins-Hit.

Bob Dylan

Newport Folk Festival

25. Juli 1965

Es waren nicht die elektrische Gitarre oder die Blues Band, nicht die enorme Lautstärke oder die Lederjacke des Sängers, es waren nicht die Kürze des Auftritts oder der Inhalt der Songs, die die Leute beim Auftritt von Bob Dylan und der Paul Butterfield Blues Band beim Newport Folk Festival in Rage versetzten. Es war die Haltung, die hinter all dem steckte. „I ain’t gonna work on Maggie’s farm no more“, sang Dylan zu Mike Bloomfields mächtigen Riffs und deutete den alten Folksong „Down On Penny’s Farm“ zur eigenen Unabhängigkeitserklärung um. Er ging nicht länger vom Kollektiv aus, sondern von sich selbst, dem entfremdeten Individuum, „with no direction home, in the complete unknown“. Und doch scheint sich die gesamte Geschichte der populären Musik in dieser Performance zu verdichten: die Wucht von Charley Pattons Auftritten in den Zwanzigern, der Wahnsinn von Dock Boggs, die Marsexpeditionen des David Bowie und die Anarchie des Punk. Um die Menge zu besänftigen, kam Dylan zur Zugabe noch einmal allein mit der akustischen Gitarre zurück. Doch er kam nicht als Protestsänger oder Klassensprecher einer Genera- tion, er kam, um zu zeigen, dass er nun ein anderer war.

The Beatles

Shea Stadium, New York City

15. August 1965

Es ist eines der berühmtesten Konzerte der Pop-Geschichte. Und das, obwohl niemand etwas gehört oder gesehen haben kann. Die Beatlemania hatte ihren Höhepunkt erreicht. 55.000 kreischende Fans warteten auf den Rängen auf John, Paul, George und Ringo. Die Band musste in einem gepanzerten Truck ins Stadion gefahren werden. Das Sicherheitspersonal war 2000 Mann stark. Trotzdem gelang es einigen Fans, in den Stadioninnenraum vorzudringen, wo die von den Zuschauerplätzen aus streichholzgroßen Beatles auf einer kleinen Bühne spielen sollten. Die bandeigenen state-of-the-art 100-Watt-Verstärker reichten für die Beschallung des weiten Runds nicht aus, doch auch die Stadion-Sprechanlage war überfordert. Der Geräuschpegel war enorm. Mädchen kreischten, weinten, wurden ohnmächtig weggetragen. Gegen diesen Tumult muss die Uraufführung von „Le sacre du printemps“ ein beschaulicher Liederabend gewesen sein. Georges Augen wurden angstweit, Paul genoss den Trubel, Ringo blieb stoisch, John richtete Dada-Monologe ans Publikum, bearbeitete seine Orgel mit den Ellenbogen und lachte irre. Aus dieser surrealen Szenerie wurde der Stadionrock geboren.

The Velvet Underground

The Dom, New York City

April 1966

Im April 1966 mietete Andy Warhol für einen Monat eine polnische Tanzhalle im heruntergekommenen East Village. Mitarbeiter der Factory strichen alle Wände komplett weiß, an die Decke hängten sie einen drehbaren Spiegelball. Unzählige Scheinwerfer und Stroboskope wurden im Raum verteilt, zehn Filmprojektoren und Dia-Projektoren in Stellung gebracht. The Velvet Underground waren die Hausband dieses temporären Kunst-Clubs, das Konzept eine Weiterentwicklung von Warhols The-Exploding- Plastic-Inevitable-Spektakel.

Wann genau das Spektakel begann, weiß heute keiner mehr: Der Spiegelball schickte irgendwann seine tausend Lichter durch den Raum, die Projektoren erwachten zum Leben und immer mehr Factory-Filme liefen neben- und übereinander. Drei Plattenspieler, auf denen Verschiedenes lief, sorgten für eine bizarre Kakophonie. The Velvet Underground und Nico, die zwei Sets pro Abend spielten, passten perfekt dazu. Gebadet in Licht, gekleidet in Schwarz, versteckt hinter dunklen Sonnenbrillen produzierte die Band ein noch nie gehörtes Dröhnen – unnahbar, gewalttätig, aber von eigenwilliger Schönheit.

The Doors

Whisky A Go-Go, Los Angeles

23. Mai 1966

Am 23. Mai begannen die Doors ihr Engagement als „Hausband“ des Whisky, keine drei Monate später sah sie Elektra-Chef Jac Holzman, eine Woche später hatten sie den Plattenvertrag. Flogen dann aber aus dem Club am Sunset Strip raus, weil Jim Morrison die berühmte Ödipus-Passage in „The End“ einbaute. Einer von vielen Abenden, an denen er das Publikum herausforderte – mit einer Mischung aus Obszönität und Intellekt, manchmal auch mit purem Irrsinn, beflügelt von Drogen und Alkohol. Damals war das noch faszinierend.

Pink Floyd/ The Soft Machine

Roundhouse, London

15. Oktober 1966

Die Launch-Party des Magazins „International Times“ fand in einer ehemaligen Werkstatt für Lokomotiven in Camden statt. The Roundhouse hieß das von innen unwirtlich feuchte, dunkle und kalte Gemäuer, das man seitdem als eine Art Stonehenge der Psychedelia kennt. The Soft Machine – mit einem Gastauftritt von Yoko Ono – und Pink Floyd begleiteten die orgiastische Anarchie musikalisch. Unter den Partygästen waren Michelangelo Antonioni, Paul McCartney und Marianne Faithful. Das brachte genug Publicity, um am nächsten Tag auch die breite Öffentlichkeit von der neuen Avantgarde in Kenntnis zu setzen, die sich da gerade in der Stadt formierte.

Johnny Cash

Folsom Prison

13. Januar 1968

Zehn Jahre nach seinem Auftritt in San Quentin beschloss Johnny Cash, noch einmal in den Knast zu gehen. Seine beste Zeit schien er hinter sich zu haben, doch im Folsom State Prison zu Kalifornien lief er wieder zur Höchstform auf. 1000 Inhaftierte sahen den Man In Black, der gleich mit dem „Folsom Prison Blues“ begann -und erkannten ihn als ihresgleichen, einen mit sich selbst und der Welt hadernden Mann, der nie aufgab. Die unsterblichen Zeilen „I shot a man in Reno/ Just to watch him die“ wurden wohl selten so gut verstanden.

Monterey Pop Festival

16. – 18. Juni 1967

Woodstock Music & Art Fair

15. – 17. August 1969

Altamont Free Concert

6. Dezember 1969

Der Sommer der Liebe dauerte bekanntlich zweieinhalb Jahre. Er spielte sich hauptsächlich unter freiem Himmel ab, und laut Volksmund war Monterey der Anfang, Woodstock der Höhepunkt, Altamont das Ende. Monterey: 50.000 Leute, traumhaft klug organisiert, Jimi Hendrix‘ brennende Gitarre in der Nacht. Woodstock: 500.000 Leute, die sich selbst organisierende Groovy-Stadt, Schlammcatchen, Schlagzeugsolo des Sommersprossigen von Santana. Altamont: 120.000 Leute, miese Trips und Motorradketten, ein Messermord direkt vor der Bühne, während die Stones ängstlich „Under My Thumb“ spielten. Die Grateful Dead waren (neben Jefferson Airplane) bei allen drei Festivals dabei: Im Monterey-Film fehlen sie, weil ihnen das Kinoprojekt zu kommerziell war, im Woodstock-Film auch, weil ihr Auftritt in die Hose ging. In Altamont traten sie dann gar nicht erst auf, weil ihnen der Gewaltgeruch vor Ort nicht gefiel. Derart gute Nasen funktionieren auch im Rausch des Sommers ganz gut.

Augenzeuge

Michael Lang (Woodstock-Organisator)

„Angesichts des heutigen Festivalbetriebs kann sich das keiner mehr vorstellen, aber wir mussten damals unsere gesamte Infrastruktur selbst erfinden, aus dem Stand. Man konnte nicht einfach irgendwo anrufen und sich eine Bühne bestellen – man musste das verdammte Ding selbst bauen. Die meisten Leute wären auch durchaus bereit gewesen, in Woodstock Eintritt zu bezahlen, nur leider bekamen wir das mit dem Ticketverkauf nicht auf die Reihe. Ich war auch später in Altamont, das war ein richtiges Planungsdesaster. Nicht das Ende einer Ära, sondern einfach ein extrem mies organisiertes Konzert. Bei dem außerdem eine geistliche Autorität fehlte: So, wie wir in Woodstock den Yogi Swami Satchidananda dabei hatten, sollte heute mal der Dalai Lama bei Lollapalooza auftreten.“

The Who

University Of Leeds

14. Februar 1970

Nach all den Aufführungen der Rock-Oper x{201a}“Tommy“ war es höchste Zeit, den Maximum-R’n’B-Hammer noch einmal demonstrativ kreisen zu lassen. Für das avisierte Live-Album ließ Pete Townshend zwei Uni-Gigs buchen, aber nur der Mitschnitt vom Valentinstag 1970 in Leeds war technisch brauchbar. Dort genügten The Who sechs Stücke, um das Image als „in-yer-face rock band“ wieder geradezurücken und zugleich ihre musikalische Magie und Essenz auf den Punkt zu bringen. Ihr wahrhaft explosiver Stil kulminierte in einer 15 Minuten-Version von „My Generation“.

George Harrison & Friends

The Concert For Bangladesh

1. August 1971

Mit „The Concert For Bangla Desh“ erfand George Harrison des globale Gewissen des Pop. Ravi Shankar hatte ihm von der katastrophalen Lage der durch Krieg und Umweltkatastrophen notleidenden Bevölkerung seines Heimatlandes berichtet. Der zu der Zeit erfolgreichste Ex-Beatle begann sofort mit den Planungen eines Benefiz-Events. Die Bereitschaft seiner Musiker-Freunde, an diesen zwei Konzerten im Madison Square Garden teilzunehmen, war enorm. Die Öffentlichkeit hoffte gar auf eine Beatles-Reunion, doch McCartney sagte ab, Lennon verließ trotz Zusage zwei Tage vor dem Konzert die Stadt. Der Haussegen hing schief. Er hatte seinem alten Freund George versprochen, ohne Yoko aufzutreten. Der treue Ringo saß schließlich am Schlagzeug, Eric Clapton, Leon Russell und Billy Preston spielten in der Band und sogar der zurückgezogen in Woodstock lebende Bob Dylan erschien und spielte mit Beatle-Begleitung ein hübsches Set klassischer Songs. 24.341.850 Dollar und 51 Cent kamen für den guten Zweck zusammen.

Aretha Franklin

New Temple Missionary Baptist Church, L.A.

13. – 14. Januar 1972

Die Geschichte vom Mädchen aus dem Kirchenchor, das zum Popstar wurde, hören wir täglich. Dass eine der Gören tatsächlich ins Haus des Herrn zurückkehrt, ist selten – bei Aretha wunderte es weniger: Sie war schon eine Gospelgröße, bevor sie den ersten weltlichen Hit hatte. Protegiert vom Pastorenvater und dem legendären Reverend James Cleveland, der auch wieder am Piano saß, als sie im Wallekleid die Baptistenkirche einnahm, sich hinter die Holzkanzel klemmte und das Schönste von Jesus bis Marvin Gaye sang. Zwei historische Tage: Show und Gottesdienst, endgültig versöhnt.

David Bowie & The Spiders From Mars

Hammersmith Odeon, London

3. Juli 1973

Natürlich wird es immer die sogenannte „Farewell Speech“ bleiben, die man mit diesem Konzert in Verbindung bringt. Nach einer exzessiven eineinhalbjährigen Welt-Tournee trat der Sänger ans Mikrofon. Im Saal herrschte angespannte Stille. Drama-King Bowie rang nach Luft und sprach den entscheidenden Satz: „Not only is it the last show of the tour, but … it’s the last show that we’ll ever do – thank you.“ Danach: Kreischen, Bowie-Mania, „Rock’n’Roll Suicide“. Das Ziggy-Abschiedskonzert ist ein Mythos des Pop – kongenial festgehalten von Filmemacher D. A. Pennebaker, der später sagte, nie wieder habe er jemanden gesehen, der sein Publikum so im Griff hatte wie Bowie in jener Nacht.

Led Zeppelin

Madison Square Garden, New York City

27. – 29. Juli 1973

Die überbordende Nachfrage, die der Rock’n’Roll für sich selbst geschaffen hatte, musste er nun auch bedienen. Wie keine Band vor ihnen symbolisierten Led Zeppelin den Massenappeal, der es einer Londoner Bluesgruppe er- laubte, am Ende einer zweimonatigen US-Tour ein Wochenende lang den Garden auszuverkaufen. Insgesamt 60.000 Leute an drei Abenden, das war vermutlich irgendein Rekord, doch sinnlos gekreischt wurde kaum: Bei „Black Dog“ sang das Publikum höchst diszipliniert im Wechsel mit dem Einzelmenschen Robert Plant. Der sein blaues Bauchfrei-Hemd bei allen Shows tragen musste, um die continuity des Konzertfilms nicht zu stören.

Patti Smith

Max’s Kansas City, New York City

28. August 1974

Patti Smith hing gern mit Robert Mapplethorpe im Max’s herum – angeblich in der Hoffnung, dass Andy Warhol sie entdecken würde. Noch bevor ihr Debüt „Horses“ erschien, war sie zumindest in NYC schon so bekannt, dass eine auch nicht unwesentliche Band im August ’74 als ihre Vorgruppe fungierte: Television. Während die ein doch eher traditionelles Rockkonzert gaben, hatte Smith bereits ihre eigene Form gefunden: zwischen Poesie und Rock, zwischen Wortkaskaden und Gitarren war sie der unbestrittene Fokus – eine Frontfrau im wahrsten Sinn des Wortes.

Bruce Springsteen

Hammersmith Odeon, London

18. November 1975

In jenem Sommer war „Born To Run“ erschienen; nun traten Springsteen und die E Street Band erstmals in Euro- pa auf. Die Erwartungen wurden aufs Peinlichste befeuert, aber Springsteen blieb nichts schuldig: Er begann mit dem Erdbeben von „Thunder Road“ und steigerte sich dann langsam, um einen Witz zu variieren. Wollmützig stolperte Springsteen wie betrunken über die Bühne, stürzte sich in „Lost In The Flood“, „She’s The One“, „Backstreets“, schließlich „Jungleland“. London war überzeugt.

Sex Pistols

Lesser Free Trade Hall, Manchester

4. Juni 1976

So viele haben behauptet, bei diesem nordenglischen Punk-Urknall dabei gewesen zu sein, dass der Journalist David Nolan nachrecherchierte: Zwischen 30 und 40 Personen waren im Saal, als die Pistols (ein halbes Jahr vor der berühmten Bill-Grundy-Show) auf Einladung der späteren Ur-Buzzcocks Pete Shelley und Howard Devoto spielten. Darunter Morrissey, Mark E. Smith, der spätere Factory-Gründer Tony Wilson, die Hälfte der zukünftigen Joy Division. Malcolm McLaren hatte persönlich vor der Halle gestanden und Passanten hereingewunken. Dass so viele der Anwesenden hinterher wichtige Bands gründeten, ist allerdings kein Beweis für die Güte des Konzerts: Vielleicht dachten auch alle nur, sie könnten es besser.

Augenzeuge

Pete Shelley (Buzzcocks)

„Auf der Uni liebten Howard Devoto und ich die Stooges – aber keine Sau kannte damals Iggy Pop! Plötzlich lasen wir im, NME‘ über eine Band namens Sex Pistols, die angeblich einen Stooges-Song coverte. Wir liehen uns ein Auto, fuhren nach London, um diese Truppe kennenzulernen, und luden sie zu uns nach Manchester ein. Eigentlich ging es bei Punk ja vor allem darum, aktiv an den Dingen teilzunehmen, nicht einfach zu schlucken, was man vorgesetzt kriegt. Eine so tolle Idee verbreitet sich natürlich wie Lauffeuer.“

George Clinton & Parliament Funkadelic

Summit, Houston

31. Oktober 1976

„Make my Funk the P-Funk!“ Schon seit 1970 arbeitete George Clinton an einer psychedelischen Variante des Genres, mit diesem Konzert begann der ganz große Erfolg. Im Mittelpunkt standen stets endlose Jams, trotzdem waren die Arrangements präzise. In Houston präsentierten sich Clintons Truppen als notgelandete Aliens, in Kostümen, die unerreicht sind: Glitzernde XXL-Capes, Sonnenbrillen in Sternform, turmhohe Plateauschuhe, Ballonmützen groß wie Schlafsäcke.

Mauerbaufestival

SO 36, Berlin

12. – 13. August 1978

So war der deutsche Punk: Man feierte die Eröffnung des SO 36 und den 17. Jahrestag des Mauerbaus praktischerweise zusammen. Zum ersten Mal wurde hier das Vakuum, das die Entthronung der alten Rock-Dinosaurier eröffnet hatte, mit neuen Inhalten gefüllt: die raffinierte Simplizität von S.Y.P.H., die roboterhafte Performance von Din-A-Testbild. Mittagspause gingen komplett in Blaumännern, mit Leiter und Schrubber auf die Bühne. Post-Punk hatte begonnen, alles schien möglich. Und später tauchte auch noch der leibhaftige David Bowie auf, Arm in Arm mit dem leibhaftigen Iggy Pop.

Neil Young

Cow Palace, San Francisco

22. Oktober 1978

Kapuzenmännlein, gigantische Verstärkertürme, Feedback-Gewitter und ein Mann in Weiß: Neil Youngs „Rust Never Sleeps“-Tournee war so etwas wie Retro-Futurismus, eine Absage ans Hippietum und ein Gruß an den Punk. Hey, hey, my, my.

R.E.M.

St. Mary’s Episcopal Church, Athens

5. April 1980

Die Geburtsstunde einer der größten Bands der 80er- und 90er-Jahre: ein glücklicher Zufall. Vier College-Freunde probten eher unambitioniert vor sich hin, bis sie quasi zu ihrem ersten Auftritt gezwungen wurden. Der 21. Geburtstag einer Freundin sollte in einer abbruchreifen Kirche in Athens, Georgia gebührend gefeiert werden. Sie nannten sich Twisted Kites und spielten vor allem Coverversionen. Der Sänger war schüchtern, die Musiker noch charmant dillentantisch, aber offensichtlich hatten an diesem Abend alle so viel Spaß, dass eine Musikkarriere plötzlich möglich schien. Kurz darauf änderten sie ihren Namen in R.E.M.. Der Rest ist Geschichte.

Kraftwerk

Nakano Sun Plaza, Tokio

7. September 1981

Diesmal waren nicht Fender, Gibson und Rhodes die offiziellen Lieferanten, sondern Sony, Atari und die Münchner Firma Obermeyer, die für jeden der vier Kraftwerk-Musiker ein Roboter-Ebenbild gebaut hatte. Wenn auf der „Computerwelt“-Tour der Vorhang zur ersten Zugabe hochging, standen die echte und die mechanische Band gemeinsam auf der Bühne, spielten zusammen „Die Roboter“ – eine Expo-taugliche Weltneuheit: Ein Pop-Act nimmt sein Aufnahmestudio mit auf Konzertreise, und zur Sicherheit – falls einem mal schlecht wird – gleich noch vier Back-up-Automaten. Was Kraftwerk mit Videoleinwänden und Beamtenkrawatten abzogen, war aber keineswegs Technologie-Fetischismus. Den „Taschenrechner“-Song performten sie mit Spielzeug-Gadgets vorne am Bühnenrand, imitierten die Posen der Rocker und sagten damit: In Wahrheit sind die anderen doch auch nur Roboter.

Michael Jackson

Pasadena Civic Auditorium

25. März 1983

Sein königlichster Moment, obwohl er damals noch nicht König hieß. „Billie Jean“ war Nummer eins in den Pop- und R’n’B-Charts, als in Pasadena der 25. Geburtstag des Motown-Labels gefeiert wurde. Gründer Berry Gordy musste selbst vorsprechen, um Jackson zum Auftritt zu überreden: Der Künstler hatte Bedenken, ein gemeinsamer Slot mit seinen Brüdern könne die Aufmerksamkeit falsch verteilen. Die Solo-Performance, die man ihm zusicherte, presste dann wie ein Show-Diamant alle funkelnden Qualitäten Michael Jacksons zusammen. An den TV-Schirmen sahen rund 50 Millionen zu, Handschuh und Hemd blendeten, Astaire-Eleganz und Hip-Hop-Move kreuzten sich für fünf Minuten. Höhepunkt und technische Innovation: der Moonwalk. Dass der Gesang nur Playback war, tut nichts zur Sache.

U2

Red Rocks, Colorado

5. Juni 1983

Dass dieser Abend im Red Rocks-Amphitheater historisch werden sollte, stand schon im Vorfeld fest. Das hatten U2 so beschlossen. Und alles ge- plant: die beeindruckende Bühne sollte in der Abendsonne glutrot strahlen, Richtscheinwerfer und Leuchtfeuer die Nacht erhellen. Und dann das: Es regnete. Schüttete. Stürmte. Die Ränge waren nur halb voll. Dass dieser Gig trotzdem zu einem ihrer größten wurde, lag vor allem an dem heute oft unangenehmen, damals eher naiv wirkenden Pathos von U2. Bono schüttelte seine Mähne, stampfte auf den Boden, schwenkte bei „Sunday Bloody Sunday“ weiße Fahnen, warf sich in Erlöserpose, trotzte mit Übereifer und -Ego auf wunderbare Weise dem Wetter und riss damit nicht nur das Publikum, sondern auch seine Bandmitglieder mit. Am Ende wusste man: Diese Jungs – und das waren sie damals noch – werden ganz groß werden.

Udo Lindenberg

Palast der Republik, Ost-Berlin

25. Oktober 1983

Lange hatte Lindenberg die deutsche Teilung thematisiert und sich um eine Auftrittserlaubnis in der DDR bemüht. Als erster bundesdeutscher Musiker überhaupt spielte er schließlich im Oktober 1983 auf Einladung des damaligen FDJ-Vorsitzenden Egon Krenz bei einer „Rock für den Frieden“ genannten Veranstaltung im Ost-Berliner Palast der Republik – vor linientreuem Publikum. Die bereits erteilte Zusage für eine anschließende DDR-Tournee wurde ihm indes entzogen, nachdem er auf der Bühne gegen die Aufrüstung in beiden Teilen Deutschlands wetterte und sich mit seinen vor der Halle eingekesselten Fans solidarisierte.

Augenzeuge

Udo Lindenberg

„Die Zeit der müden Ärsche war vorbei, die DDR ging ab wie ein Riesenzäpfchen. Als ich nach Berlin kam, hatte ich den Vertrag für ’ne richtige Tournee schon in der Tasche. Die Show lief live in der Glotze., Ich bin Rocker‘,, Odyssee‘ und, Wozu sind Kriege da‘ hab ich gespielt. Manche sagen: Ein Song mehr, und die Leute hätten sich die Blauhemden vom Leib gerissen. Später bin ich raus zu den Fans, die hätten mich vor lauter Zärtlichkeit und Liebe beinahe zu Tode gequetscht. Haben ja auch lange gewartet, ewige Entbehrungen und Verzicht. Wurde dann aber doch nichts mit der Tour, wegen meiner SS-20-Ansage.“

Rock am Ring

Nürburgring, Eifel

25. – 26. Mai 1985

Open-Air-Festivals standen in keinem guten Ruf in jenen Tagen. Sämtliche Versuche, eine größere Veranstaltung dauerhaft zu etablieren, waren schiefgegangen. 1985 unternahm der Routinier Marek Lieberberg einen weiteren Versuch und richtete auf dem neu eröffneten Nürburgring das erste Rock- am-Ring-Festival aus. Ein voller Erfolg – und der Beginn einer bis heute andauernden Erfolgsgeschichte.

Live Aid

Wembley-Stadion, London, John-F.-Kennedy-Stadion, Philadelphia

13. Juli 1985

Der Gigantismus von Live Aid ist bis heute unübertroffen: 16 Stunden, 69 Bands und 1,5 Milliarden Zuschauer. Dabei hatte alles in einem Wohnzimmer begonnen: Bob Geldof und seine damalige Frau Paula Yates sahen einen Fernsehbericht über die Hungersnot in Äthiopien, sie wollten etwas tun. Also rief Geldof ein paar befreundete Musiker an, dann noch ein paar mehr – und schließlich organisierte er das größte Benefizkonzert aller Zeiten.

Der erste Song, der gespielt wurde, war Status Quos „Rocking All Over The World“, der letzte „We Are The World“. Dazwischen traten U2, Paul McCartney, Madonna, Queen, David Bowie, Elton John, Eric Clapton und und und auf. Einige – Led Zeppelin, The Who, Black Sabbath – fanden wieder zusammen, andere nicht: Sting und Mick Jagger mussten solo zurecht kommen. Phil Collins erschien dank Concorde als Einziger an beiden Orten. Geldof wollte selbst zunächst nicht auftreten, weil er sich als Musiker für zu wenig erfolgreich hielt, doch sein „I Don’t Like Mondays“ wurde zu einem Höhepunkt des Tages. Mit ausgestreckter Faust sang er die entscheidende Zeile, die plötzlich eine neue Bedeutung bekam: „The lesson today is how to die.“ Für einen Moment war es still im Stadion.

Guns N‘ Roses

Troubadour, Los Angeles

28. Februar 1986

Das Troubadour kannten Guns N‘ Roses bereits bestens: Am 6. Juni 1985 spielten sie dort zum ersten Mal in der Besetzung, die schließlich das Debüt „Appetite For Destruction“ aufnehmen sollte. Im Juli stellten sie dem begeisterten Publikum „Welcome To The Jungle“ vor, im November gaben sie ihr erstes ausverkauftes Konzert. Doch am 28. Februar ’86 kam der entscheidende Moment: Im Publikum stand auch Tom Zutaut, der A&R-Mann von Geffen Records – er bot GN’R sofort einen Plattenvertrag an. Kein Wunder, denn die Wucht der Band auf der Bühne war enorm: Axl Rose schrie sich wie ein Rumpelstilzchen die Seele aus dem Leib, Slash und Izzy Stradlin schrammelten die passenden Riffs dazu, und etliche unvergessliche Rocksongs hatten die Rabauken auch schon.

Anti-WAAhnsinns-Festival

Burglengenfeld

26. – 27. Juli 1986

Profis hätten ein solches Projekt nie angepackt: 120.000 Zuschauer auf dem Lanzenanger im oberpfälzischen Burglengenfeld, organisiert von der örtlichen Jugendgruppe. 21 deutsche Top-Bands ohne Gage und eine brutalpolitische Lobby, die bis zur letzten Sekunde versuchte, das Fest zu verhindern. Am Ende brachte der Bürgerprotest gegen die geplante Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf das bis heute zweitgrößte deutsche Rock-Open-Air zustande. Als Rio Reiser und Grönemeyer zum Abschluss „Somewhere Over The Rainbow“ sangen, mussten sogar die Polizisten ein paar Tränchen verdrücken.

Augenzeuge

Campino

„Wir hatten damals schon Schwierigkeiten mit diesen Rockleuten, mit denen wir in Burglengenfeld auf der Bühne standen. Wir hatten mit den Bands bisher nichts zu tun gehabt und fanden die auch alle scheiße. Aber es gab bei diesem Festival zum ersten Mal eine Sache, für die gemeinsam gekämpft wurde. Das war zum Beispiel das erste Mal, dass ich ein längeres Gespräch mit Herbert Grönemeyer geführt habe. Die Musik von ihm hat mir damals nichts gebracht, aber plötzlich habe ich gesehen: Der Typ ist okay!“

Depeche Mode

Rose Bowl, Pasadena

18. Juni 1988

Die Erinnerung an diesen großen Sommer gerinnt zu einem grobkörnigen Anton-Corbijn-Foto. Und noch immer, wenn man „Everything Counts“ und „Master And Servant“ hört, wundert man sich, wie 1988 mit solchen Dark- room-Klassikern ein über 60.000 Plätze starkes Football-Stadion in Kalifornien zu füllen war. Beim berühmten 101. Konzert der „Music For The Masses“-Tournee waren eben auch die neonschwärzesten Depeche-Mode-Fans langsam reif für die Erkenntnis, dass gesellschaftliches Isolation im späten 20. Jahrhundert nun mal zur Massenerfahrung wurde.

Public Enemy

Montreux Rock Festival

31. Mai 1988

Es muss eine kleine Schockwelle durch die beschauliche Schweiz gelaufen sein, als Chuck D und Flavor Flav ankamen. Extrem politisch, extrem hart – so wurde der Hip-Hop von Public Enemy zum weltweiten Phänomen. In Montreux kam es dann zum Showdown mit den anderen Über-Rappern: Run DMC. Beide Bands kannten keine Genre-Grenzen, zogen deshalb auch das eher kritische Rockpublikum mit ihrer Energie in den Bann. Bring The Noise!

Loveparade

Berlin

1. Juli 1989

Die Profi-Protestler rümpften die Nasen – so eine Demonstration hatten sie noch nicht gesehen: 150 Party-People liefen bei strömendem Regen auf dem Ku-Damm einem klapprigen LKW hinterher. Aus dem dröhnte House-Music, damals von vielen noch Disco-Scheiße genannt. Doch Acid-House, das konnte man sogar in den „Tagesthe- men“ lernen, war das neue wilde Ding aus London. Fabrik-Etagen wurden dort in Diskotheken verwandelt, Drogen waren so obligatorisch wie grell- bunte XL-Shirts. Der vom Schlagzeuger zum DJ konvertierte Ex-Punk Mathias Roeingh lieferte mit der Loveparade einen wichtigen Beitrag zum Entstehen der „Raving Society“. Nicht Superstars standen im Mittelpunkt, die Leute feierten sich selbst. Der DJ war nur ein freundlicher Dienstleister. Einen Moment lang war so die Trennung zwischen Bühne und Publikum aufgehoben. Doch bald kamen die Super-DJs, Red-Bull-Promoter, RTL-Trucks und sogar Gotthilf Fischer. Doch an jenem 1. Juli 1989 gab es wirklich nur ein Motto: Friede, Freude, Eierkuchen!

Madonna

Palais Omnisports, Paris

3. – 6. Juli 1990

Das war die Tour mit dem von Gaultier entworfenen Eistüten-BH und der simulierten Masturbation. Wenn Madonnas „Blond Ambition“ nicht gewesen wäre, hätten sich Gwen Stefani und Christina Aguilera den ganzen Kram selbst ausdenken müssen, und das hätte wohl zu noch tragischeren Resultaten geführt. Die Dritt- und Viert-Existenz als Aufziehpuppe, Revuegirl und große Provokateurin ließ sich Madona von keinem Fremden auf den Leib schreiben – wer später den Film sah, konnte sogar glauben, sie hätte den ganzen Zirkus nur veranstaltet, um mit ihren Tänzern international shoppen gehen zu können. Die drei Tage in Paris waren der Höhepunkt, dann kam Italien, wo eine Show aus katholischer Pietät abgesagt wurde. Dass Entertainment total brisant sein kann, hatte Madonna uns ja schon immer gepredigt.

Lollapalooza

USA

18. Juli – 28. August 1991

Die Tage von Woodstock waren lange vorbei. Viele Versuche, ein ähnlich bedeutendes oder auch nur erfolgreiches Festival aufzuziehen, waren gescheitert. Kein Grund für Perry Farrell, es nicht trotzdem zu wagen. Der Sänger von Jane’s Addiction hatte die Vision von einem Happening, bei dem alles zusammenkam: gute Musik von Alternative-Rock bis Hip-Hop, Kunst-Performances und -Handwerk, Politik und Benefiz. Headliner? Natürlich seine eigene Band, die bei den Open-Airs ihren Abschied feiern sollte. Im Sommer 1991 waren außerdem Nine Inch Nails und Ice-T, Siouxsie und Henry Rollins dabei – tatsächlich eine bunte Mischung also, die so begeistert aufgenommen wurde, dass Lollapalooza noch ein paar Jahre weiterlief.

Augenzeuge

Perry Farrell

„Wohltätigkeit, etwas Gutes für die Welt zu tun, ist das Wichtigste überhaupt. Aber viele gute Menschen wirken leider so uncool und ziehen deshalb kaum Leute an. Um etwas zu verändern, braucht man aber Unterstützung. Mein Motto war immer: Make change fashionable! Bei Lollapalooza passte einfach alles zusammen: Die Zeit war reif, die Bands waren heiß, das Publikum wollte unterhalten werden und mitmachen. Vor allem das. Es war ein buntes, wildes, unkonventionelles Konzept, das aufging wie ein Sternenwerfer. Und dann noch ziemlich lange weiterbrannte.“

Eric Clapton

MTV-Studios, London

16. Januar 1992

Er war nicht eben die beste Zeit für den Blues-Altvater, als er in einem Studio in London die Bühne bestieg, begleitet von Andy Fairweather Low und Nathan East, Chuck Leavell und Ray Cooper, am Mischpult der große Russ Titelman. „MTV Unplugged“ wurde Eric Claptons größter Triumph. Zwar gab es ähnlich inspirierte Sternstunden von anderen Künstlern – The Cure etwa und Nirvana -, doch für keinen Musiker war das Format so vorteilhaft: Songs wie „Before You Accuse Me“ und „Layla“ bekamen hier ihre endgültige Form. Doch das berühmteste und unvergessliche Stück der Session ist „Tears In Heaven“, das Clapton als Requiem für seinen Sohn spielte, der aus einem Hotelfenster gestürzt war – der Vortrag rührte das Publikum zu Tränen.

Element Of Crime

E-Werk, Köln

25. Juni 1992

Element Of Crime hatten gerade ihr erstes deutschsprachiges Album herausgebracht – ein mutiger Schritt für die Band, der sich als Quantensprung erweisen sollte. Im Kölner E-Werk spielten Sven Regener, Jakob Ilja, Richard Pappik und Christian Hartje konzentriert und doch wie berauscht von der eigenen Musik. Alles passte, von „Damals hinterm Mond“ bis „Surabaya Johnny“. Der eher statische Vortrag fiel bald gar nicht mehr auf, denn diese Lieder waren tatsächlich: „Wahr und gut und schön“. Herbert Grönemeyer bot ihnen an, ihn als Vorgruppe zu begleiten. Die Elements schlugen ein – und hatten Ende des Jahres noch genug Energie übrig, um ihr allerbestes „Weißes Papier“ aufzunehmen. 1992 war kein schlechtes Jahr.

Blumfeld

Logo, Hamburg

4. Juli 1992

„Dieser Zustand ist nicht tanzbar/ Ich schlage Wurzeln, und das nicht aus Verlegenheit“ – die Zeilen von Jochen Distelmeyer sind oft genug zitiert worden, obwohl sich die meisten Hörer ja nach halbwegs tanzbaren Zuständen sehnen, erst recht im Konzert. Rückblickend kommt es einem vor, als ob es das vor Blumfeld nicht gab: eine Band, bei der der körpererschütternde Lärm keine Ablenkung von der eigenen Sprachlosigkeit war. Denn auch zu den Worten hätte man tanzen können (wenn man nicht zu cool gewesen wäre): „Ein Lied mehr, das dich festhält/ Und nicht dahin lässt, wo du hinwillst“, deklamierte Distelmeyer in „Ghettowelt“, und in dieser frühen, ungestümen, brachialstudentischen Phase der Band traute man es dem Seitenscheitel-Dämon durchaus zu, eine eigene musikalische Schule zu gründen.

Nirvana

Reading Festival

30. August 1992

Der Mann, der nicht alt werden sollte, wurde als Mündel mit Krankenhemd im Rollstuhl auf die Bühne geschoben. Nach diesem schlechten Witz haute Kurt Cobain die Songs von „Bleach“ und „Nevermind“ aus der Gitarre, die unter seinen Händen zum Marterinstrument und zur Traummaschine wurde: Bei allem Lärm gibt es kaum schönere Songs als „In Bloom“, „Come As You Are“, „Lithium“. Nirvana waren Superstars und führten das Glastonbury-Programm an; ein Jahr früher hatten sie für einige hundert Leute gespielt, nun waren ungefähr 60.000 im Publikum – das Gelände sah schier endlos aus. Kurt bat um einen Gruß für die von der Presse schlecht behandelte Courtney Love, und die Zuhörer murrten ohne Überzeugung ihren Namen. Am Ende zerlegte Dave Grohl planlos sein Schlagzeug, während Cobain mit den Rückkopplungen gar nicht mehr aufhören wollte. Auftritt und Musik hatten, man muss es nicht sagen, eine ungeheure Zerstörungswut – aber man hört bei den glücklicherweise erhaltenen Aufnahmen auch, wie grandios Grohl, Chris Novoselic und Cobain diese elementare Rockmusik spielten. Als wollten sie die Welt zersägen.

Oasis

King Tut’s, Glasgow

30. Mai 1993

Sie waren nicht einmal angekündigt. Und beinahe hätten Oasis ihr eigenes Konzert verpasst. Die Legende besagt, dass die Gallagher-Gang, da ihr Name auf keinem Poster zu finden war, sich erst den Weg in den Club freiboxen musste. Die Band Sister Lovers, mit der sie einen Proberaum teilten, hatte sie ins Vorprogramm nach Glasgow eingeladen, 18 Wheeler spielten auch. Also machte man sich in einem geliehenen Van auf die sechsstündige Fahrt in den Norden. Um ein Publikum von zwölf Leuten vorzufinden – darunter ein paar japanische Touristen, die nicht ahnten, welchen historischen Moment sie an diesem Abend auf Video festhalten würden. Im Vorraum stromerte nämlich Indie-Mogul und Creation- Records-Gründer Alan McGee herum und … horchte auf! Mann, die waren ja gut … Aber, Scheiße, er war ja viel zu betrunken, um das beurteilen zu können … Vier oder fünf doppelte Jack Daniels mit Cola! Dann erklang „Up In The Sky“. Oasis waren laut, ungestüm – und trafen einen schon damals direkt zwischen die Augen. Nein, das war keine verzerrte Wahrnehmung, erkannte McGee, sprach Noel an und sicherte sich das Demo-Tape. Der Rest ist Geschichte.

Augenzeuge

Sean Jackson (18 Wheeler)

„Woran ich mich erinnere: Als Haupt-Act spielten Boyfriend, die Band eines Teenage-Fanclub-Roadies. Oasis waren eine von drei Vorgruppen. Alan McGee hatte schon von ihnen gehört, und vermutlich fragte er selbst die Betreiber, ob die Jungs nicht auch ein paar Songs spielen dürften. ‚Heute bin ich in der richtigen Laune, eine Band zu signen‘, sagte er an der Bar zu mir. Den Gig von Oasis habe ich gar nicht gesehen, aber wir haben später oft mit ihnen gespielt. Meine Theorie: Ihr Soundmann war der Trumpf. Er mischte sie selbst in kleinsten Pubs so ab, als spielten sie im Stadion. Absolut unvergesslich.“

Aphex Twin

San Francisco

11. Juni 1993

Die Nicht-Show. Auch sie gehört in die- se Liste, seit die Notwendigkeit des Konzertegebens auch Künstler erreicht hat, bei denen das Musizieren keinerlei Schauwert hat. Die Absurdität, Techno in Frontalunterricht zu verabreichen, motivierte manche Crews zu ausgefuchsten Showelementen. Doch als Richard D. James alias Aphex Twin 1993 mit Moby und Orbital auf die „See The Light“-Tour ging, ließ er keine Gnade walten. Er saß in der Ecke auf dem Bühnenboden, versteckt hinter dem Computermonitor. Der Tänzer, den man ihm zur Seite stellte, hatte nicht den Hauch einer Chance. Live war es trotzdem, wie versprochen.

Jeff Buckley

Sin-è, New York City

19. Juli 1993

Jeff Buckley nannte das Sin-è im East Village seine „Heimat jenseits der Heimat“. Hier hatte er sich seinen Plattenvertrag erspielt, hier sollte nun seine erste EP entstehen, indem man zwei Auftritte mitschnitt. Am Nachmittag war der Songwriter noch sehr nervös, am Abend lud er dann viele Freunde ein und entspannte sich etwas. Er spielte mehr als vier Stunden – und bewies, wie gut er die Kunst der sanften Dynamik beherrschte. Selbst wenn er nur flüsterte, füllte er den gesamten Raum aus. Gerade dann.

Radiohead

Glastonbury-Festival

28. Juni 1997

Thom Yorke dachte, solch große Festivals wären nichts für ihn und seine kleine Band – auch wenn Radiohead mit „OK Computer“ gerade in die Stadion-Liga aufgestiegen waren. Einen Moment lang sah es aus, als könnte er recht haben. Mitten im Konzert versagten die Monitore, Yorke verpasste seine Einsätze, die Band wirkte verwirrt. Es schien, als würde Yorke gleich den Axl Rose machen und von der Bühne stürmen, doch er blieb – auch als plötzlich alle Scheinwerfer auf ihn gerichtet waren. Er blaffte bloß den Beleuchter an, doch bitte das Publikum anzustrahlen, und auf einmal war die Band wieder ganz bei sich. Wer Radio- head ’97 gesehen hat, erinnert sich noch heute intensiv an bestimmte Momente: wie Thom Yorke wie ein Flugzeug über die Bühne glitt. Wie sie sogar das totgenudelte „Creep“ wieder zum Leben erweckten. Wie Radiohead jedes verdammte Lied spielten, als ginge es um viel mehr als nur das Leben. Bruises that won’t heal.

Yorke sagte anschließend: „Alles nach Glastonbury war eine Enttäuschung. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Es war gar kein menschliches Gefühl mehr.“ Außerirdisch eben.

Portishead

Roseland Ballroom, New York City

24. Juli 1997

Der Sinn dieses Konzerts wurde seinerzeit noch kontrovers diskutiert: Wie konnte es so weit kommen, dass Portishead – trotz Bandstatus Vertreter der DJ-Culture – die Bühne mit einem 35-köpfigen Orchester teilten? Der Pomp der 70er schien zu triumphieren über die jungen Revolutionäre, die aus digitalen Abfällen und Samples neue Werke entstehen ließen. Heute sind wir klüger und wissen, dass man nicht das Eine gegen das Andere tauschen muss. Da saßen also Band und Orchester, umgeben vom Publikum. Kein Bühnenbild, keine Dekoration. Alles, was zählte, war die Musik. Und die klang so samtsatt, so rotweinschwer. Jeder Song war durchdrungen von überlebensgroßen Gefühlen. Gelegentlich hörte man, wie Geoff Barrow und Andy Smith mit den Platten kratzten – fast ein ironisches Augenzwinkern. Beth Gibbons gab all dem ein Zentrum, ihre Stimme war das Herz der Musik, das wurde hier besonders klar.

The Strokes & The White Stripes

Radio City Music Hall, New York City

15. August 2002

Wichtiger war vielleicht der erste Strokes-Auftritt in London im Jahr zuvor. Triumphaler indes dieses Konzert: Beide Bands beherrschten seit Monaten den Pop-Diskurs, als zwei gemeinsame Shows in den jeweiligen Heimatstädten anberaumt werden. Zunächst Detroit, eine Woche später New York.

Um zehn nach acht betreten die White Stripes dort mit „When I Hear My Name“ die Bühne, ein großer Teil des folgenden 55-minütigen Sets geht im Lärm unter. Anders die Strokes: Das Heimspiel gerät unter den Augen von Beck, Ryan Adams und 6000 anderen Gästen zum Triumph. Auch wenn Julian Casablancas einen Großteil des Abends im Sitzen bestreitet, nachdem er sich zuvor bei einem Autounfall das Knie verletzt hatte. Zur Zugabe kommt White auf die Bühne, um mit den Strokes „New York City Cops“ zu spielen. Eine Generation hat ihre Götzen gefunden.

Herbert Grönemeyer

Neue Messe, Friedrichshafen

8. November 2002

Kein anderer deutscher Popstar hat diese Größe erreicht. Kein König der Kauze oder Virtuosen, sondern eine fast bundespräsidiale Figur. Charak- tergebildet durch den Verlust von Ehefrau und Bruder, zurückgekehrt mit dem Song „Mensch“, den von ostdeutschen Flutopfern bis zu Liebeskranken alle persönlich nahmen. Zum Auftakt der „Alles Gute von gestern bis Mensch“-Tour wurde Grönemeyer entsprechend gefeiert, nickte verschmitzt und jovial ins Händemeer, sang „Der Weg“. Und plötzlich war alles still.

Augenzeuge

Herbert Grönemeyer

„Damals hatte das Publikum zum ers- ten Mal einen größeren Einblick in meine Privatsphäre bekommen. Nicht durch meine Lieder, sondern durch die Medien. Aber eine Rückkehr ins Rampenlicht war die Tour trotzdem nicht für mich. Bei den Proben in Frie- drichshafen bin ich immer mit dem Funkmikro durch die Halle gelaufen. So entstand die Idee, dass ich durch den Saal singend auf die Bühne komme. Die Show geht los, die Leute gucken nach vorne – dabei stehe ich neben ihnen. Solange man das nicht überinterpretiert: ein schöner Spaß!“

The Libertines

Atomic Cafe, München

15. November 2002

Vermutlich wäre jedes Konzert dieser Tour für diese Liste in Frage gekommen. Das Libertines-Debüt „Up The Bracket“ war einen Monat zuvor erschienen. Der Laden war brechend voll, die Legendenbildung hatte längst begonnen, und jeder war sich der Bedeutung dieses Abends bewusst. Diese Band brannte an beiden Enden. Carl Barât in brauner Lederjacke am rechten, Pete Doherty in schwarzer Lederjacke am linken Mikrofon bildeten das Auge des Hurrikans, der mit dem ersten Anschlag der Gitarren losgelassen wurde.

Keine Ahnung, was sie spielten – die Songs ihres ersten Albums vermutlich und ein paar dieser Seemannslieder, die zu der Zeit die B-Seiten schmückten -, Barât und Doherty führten einen Veitstanz auf, John Hassall trieb die Songs am Bass voran, Schlagzeuger Gary Powell hielt sie mit seinen Fills zusammen. Nach 25 Minuten war alles vorbei. Es war ein einziges lautes wunderschönes Geräusch, ein Furor, wie man ihn in diesem Jahrzehnt nie wieder erleben sollte. Für eine kurze Zeit war auch für diese Generation der Rock’n’Roll zurück.

Eminem

Ford Field, Detroit

12. Juli 2003

45.0000 Fans sahen die Heimkehr eines unwahrscheinlichen Helden: Eminem war der berühmteste Rapper der Welt – ein weißer Hänfling, der so gekonnt fiese Texte spuckte, dass er weit über Hip-Hop-Kreise hinaus gehört wurde. In Detroit perfektionierte Em seinen Massen-Appeal und stachelte das Publikum nach allen Regeln der Kunst auf. Er äffte Michael Jackson nach und adressierte „Cleaning Out My Closet“ an alle Söhne, die sich über Mama ärgern, viele „fuck yous“ inklusive. Vor Eminem spielte übrigens ein heute auch nicht unbekannter Typ namens 50 Cent.

Robbie Williams

Knebworth-Festival

1. – 3. August 2003

„And for the next two hours … your ass is mine!“ Drei Tage lang ist Robbie Williams der größte Entertainer des Universums, Strippenzieher aller Superlative. Jeweils 125.000 Fans haben Hitze und Verkehrschaos getrotzt, um zu erleben, wie ihr Liebling im Stile Houdinis kopfüber die legendäre Open-Air-Bühne der englischen Grafschaft Hertfordshire entert.

Augenblicklich dirigiert Robbie die Massen nach Belieben, initiiert die ultimativen „We Will Rock You“- und „Strong“-Karaoke-Shows. Weitere Höhepunkte sind der Klassiker „Mr. Bojangles“ und Robbies spezielles Spielchen mit dem Publikum: Auf seine Vorgabe „Alcohol“ antwortet es nach seiner Anleitung mit „Yes“, auf „Drugs“ mit „Boo“. Wahrscheinlich verantwortet das fleischgewordene Victory-Zeichen auch die größte Gruppentherapie der Welt: Nicht nur das Mädchen, das Robbie bei „Come Undone“ auf der Bühne an den Arsch fassen durfte, und das Liebespaar, dem er „She’s The One“ widmet, nehmen diesen Abend – „I can feel you all!“ – als etwas ganz Persönliches mit.

Brian Wilson

Royal Festival Hall, London

20. Februar 2004

Beach Boy Brian Wilson hatte 1966 Großes im Kopf: „Smile“ sollte die Mutter aller Konzeptalben werden, ein musikalisches Panorama wie keines zuvor. Doch dann brach alles zusammen, die meisten Songs blieben Fragmente. Dass sich Brian Wilson 37 Jahre später noch einmal – mit Hilfe des Texters Van Dyke Parks und seines „musikalischen Sekretärs“ Darian Sahanaja – um die Vollendung bemühen und sein Meisterstück anschließend live uraufführen würde – ein Wunder!

So droht die Royal Festival Hall an jenem Februarabend vor Spannung schier zu zerbersten: Alle Augen sind auf den von seiner Band umringten, hilflos wirkenden Mann gerichtet, der hinter einem Keyboard thront, das er im Laufe des Konzertes kaum berühren wird, und dessen Augen nichts als den Teleprompter fixieren. Eine tragische Figur? Mitnichten! Als Brian Wilson die Stimme erhebt, erklingt der Gesang eines Engels, seine zehnköpfige Band setzt mit Unterstützung der Stockholm Strings n‘ Horns seine musikalischen Visionen perfekt um, die Uraufführung gerät zum Triumphmarsch. Und der Trend, an einem Abend komplette Alben aufzuführen, nimmt seinen Lauf.

Rufus Wainwright

Summerstage, Central Park, New York City

14. Juli 2004

Just in dem Moment, in dem Rufus Wainwright die Bühne betrittt, bricht ein höllisches Gewitter los. Der Sänger hebt zu seiner Beschwörung „Agnus Dei“ an – doch der Regen wird stärker, ein Sturm reißt den Vorhang hinter der Bühne entzwei. „Well, if I can’t shock God with my brilliance, maybe I can lull him with my sweetness“, ruft er verzweifelt und singt mit Schwester Martha und Teddy Thompson gegen das Getöse an. Doch erst als er – seine Mutter Kate McGarrigle sitzt am Klavier – „Over The Rainbow“ anstimmt, stoppt der Regen. Rufus dankt es mit Leonard Cohens „Hallelujah“. Mehr Dramatik und himmlisches Pathos war nie. Wainwrights schönste Oper.

Augenzeuge

Rufus Wainwright

„Es ist immer etwas Besonderes, im Herzen der Stadt zu spielen, die man liebt. Ich spielte damals zwei Shows mit Ben Folds, der ein wesentlich besserer Pianist ist als ich. Jedenfalls war er es früher (lacht), aber ich habe geübt. Als Ben spielte, braute sich über uns etwas zusammen. Als ich schließlich rausgehen will, fängt es an zu schütten, zu donnern und zu blitzten. Es war apokalyptisch. Ein toller Anlass, um, Agnus Dei‘ zu spielen (lacht). Ich liebe solche Regenshows. Man spürt einfach eine besondere Verbindung zum Publikum.“

Vote For Change

USA

September – Oktober 2004

Es war die pure Verzweiflung, die sie auf die Straße trieb. Im Jahr 2000 mussten sie zusehen, wie George W. Bush Al Gore den Wahlsieg wegschnappte. 2004 sollte Ähnliches nicht wieder passieren. Also fanden sich etliche Musiker zusammen, um den demokratischen Kandidaten John Kerry zu unterstützen. Bruce Spring- steen, R.E.M. und Bright Eyes gehörten zu den Bands, die in den sogenannten „swing states“ auftraten, in denen der Wahl-Ausgang noch völlig offen schien. Der eloquenteste Sprecher war dabei wieder einmal Springsteen, der nicht müde wurde, das Publikum allabendlich zum Wählen aufzufordern. Nach jahrelanger Politik-Abstinenz warf sich auch Michael Stipe noch einmal ins Zeug, während Conor Oberst vor allem beeindruckt zu sein schien, dass er mit seinen Helden die Bühne teilen durfte.

Allein, es nützte alles nichts. Erst vier Jahre später schaffte es Barack Obama – ohne eine „Yes, we can“-Tournee, aber wieder unterstützt von vielen Musikern.

Joanna Newsom

Barbican, London

19. Januar 2007

Man ging zu diesem Konzert, wie man Anfang des 20. Jahrhunderts vielleicht in eine Opern-Aufführung von Richard Strauss gegangen wäre: ernst, konzen- triert, in großer Anspannung und freudiger Erwartung der Verzückungsspitzen dieses Abends. Zwei Monate zuvor war „Ys“ erschienen, ein Album aus fünf Songs, auf denen die junge Harfinistin ihre komplexe Songkunst auf erzählerische Höhen geführt hatte, die Van Dyke Parks mit seinen Arrangements auf kongeniale Art bebildert hatte. Nun würde Newsom das Werk begleitet vom London Symphony Orchestra konzertant aufführen. Die Vorstellung, dass „independent“ im Pop-Kontext zugleich für eine ästhetische Beschränkung, für Schrummelgitarren und Lo-Fi-Sounds stand, gehörte nach diesem Konzert ein für alle Mal der Vergangenheit an.

Bob Dylan

Olympic Gymnastics Arena, Seoul

31. März 2010

Bob Dylans Gastspiel in Südkorea ist das 2218. Konzert seiner sogenannten Never-Ending-Tour, die im am 7. Juni 1988 begann. Um die 100 Konzerte spielt der 68-Jährige immer noch pro Jahr. Selbst der Tod hatte Respekt vor der Ewigkeit und ließ Dylan nach einer lebensgefährlichen Erkrankung 1997 wieder auf die Bühne. „Kritiker sollten doch wissen, dass es so etwas wie Ewigkeit nicht gibt“, erklärte Dylan 2009 im Rolling Stone-Interview. Wir sind uns da nicht so sicher. Ende Mai steht Dylan in Athen wieder auf der Bühne.

Die LieblingsKonzerte Der Redaktion

Rainer Schmidt, Chefredakteur

Slime

Pankehallen, Berlin 21. Januar 1984

Berliner Punks wollen die Bühne stürmen, Slime schlägt mit Vierkant- hölzern zurück. Tumult, Ansprache, in x-facher Geschwindigkeit heruntergekloppte aggressive Punkpro- duktionen, Testosteron-Orkan, Brutalpogo, Lederjacke reißt, bisschen Blut überall, guter Abend, danke.

Joachim Hentschel, stellvertretender Chefredakteur

Ryan Adams

Große Freiheit, Hamburg, 14. Februar 2002

Alles verpasst: 1965 die Byrds (noch nicht geboren), 1982 die Stones (zu klein für die Reise), 1990 die Stone Roses. Dass ich 2002 dann doch noch den nach Denim, Haaren und Luckys riechenden Rock’n’Roll erleben durfte, wie er sonst nur noch in Büchern steht, war die allergrößte Freude.

Arne Willander, Executive Editor

Jackson Browne

Circus Krone, München, 23. April 2009

1982 hatte ich ein Konzert von Jackson Browne in Montreux am Radio gehört; seitdem wollte ich es in der Wirklichkeit erleben. Kaum 27 Jahre später ging der Wunsch in Erfüllung, Prinz Eisenherz lächelte sanft, so sanft – und spielte die Songs, die mich erweckt hatten.

Birgit Fuß, Redakteurin

U2

Olympiahalle, München, 21. Juli 1987

„All I got is a red guitar, three chords and the truth“ hielt ich damals noch für einen Satz von Bono. Weder er noch ich hatten Zweifel an der Botschaft von U2. So ganz bei sich, so unverstellt und unironisch, so ernst und auch selbstgerecht waren U2 nie wieder. Überzeugt, überzeugend.

Torsten Groß, Redakteur

Bruce Springsteen & The E Street Band

Waldstadion. Frankfurt, 15. Juni 1985

Einige Monate zuvor hatte ich im ZDF ein Springsteen-Konzert gesehen. Ich bettelte so lange, bis ich aufs Konzert durfte. Alleine. Was wann gespielt wurde in den dreieinhalb Stunden, weiß ich nicht mehr. Aber an diese Mischung aus Angst, Aufregung und einem Hauch Erwachsensein kann ich mich noch genau erinnern. Einmalig.

Maik Brüggemeyer, Redakteur

Jeff Tweedy

Tanzhalle St. Pauli, Hamburg 21. Februar 2002

Zwei Monate vor der Veröffentlichung seines Meisterwerks „Yankee Hotel Foxtrot“ stellte Jeff Tweedy allein mit akustischer Gitarre und Mundharmonika die neuen Songs vor. Es war die perfekte Mischung aus Dust Bowl und Dylan, Weltschmerz und Wilco.

Daniel Koch, Online-Redakteur

The National

Magnet, Berlin, 25. Mai 2007

Ich kannte die Band vorher kaum. Nach dem Konzert war ich sicher, ich höre sie noch in den letzten Zügen. Diese Intensität, diese Gitarren, diese Drums, dieser Berninger, der säuft, seufzt, singt und knurrt. Das war’s.

Jindrich Novotny, Art Director

Oasis

Logo, Hamburg 8. September 1994

Lauer Abend. Supervoll. Liam ca. einen Meter vor mir. Chinos, V-Neck-Pulli, Panda-Blick (keine Brille). Kein Gelaber, nur 45 Minuten neue, geniale Musik. Sehr sehr sehr laut, anschließend Tinitus. Hat sich angefühlt wie ein Startschuss von etwas Großem.

Klaus Kalaß, Grafiker

Orchestra Baobab

Fabrik, Hamburg, 4. Dezember 2007

Studioaufnahmen lassen die Magie dieses „Orchesters“ nur erahnen. Könige einer vergangenen Epoche weben einen Klangteppich, der den Raum in Sekunden erfüllt, man wähnt sich im „Baobab Club“ 1970, schwebend, taumelnd, gelähmt vor Freude.

Frank Seidlitz, Bildredakteur

Michael Jackson

Volksparkstadion, Hamburg, 10. August 1992

Während 45.000 Menschen auf den King Of Pop warteten, wollte ich mit 13 nur Kriss Kross sehen. Das Bedauer- liche: Stattdessen erschien Rozalla. Ich verweigerte den Spaß, mein Tag war gelaufen, und an den Moonwalk erinnere ich mich nur schemenhaft.

Frédéric Schwilden, Praktikant

Dirty Pretty Things

Zitadelle Spandau, Berlin 6. Juni 2007

30 Minuten hingerotzter Lärm. Carl Barât betritt gelangweilt die Bühne, Gary Powell haut in die Becken. Das schönste Geburtstagsgeschenk. Verschwitzt, betrunken, glücklich!

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