Die Blume im Asphalt

Statt dem Girl der Stones wurde sie ein Folk-Mythos: Vashti Bunyan ist zurück

Was war mit Vashti Bunyan los? War sie jetzt ein Hippie’Girl, wie oft gesagt wurde, oder mehr eine Rebellin, die nicht zuließ, daß Pop-Männer sie herumkommandieren? Ein sonderbares Märchen: die 19jährige Frau mit dem abgebrochenen Kunststudium, die Mitte der 60er fast nicht anders konnte, als ein Star zu werden, als Rolling Stones-Manager Andrew Loog Oldham sie in London entdeckte. Die es nicht schaffte, die deshalb mit dem Planwagen nach Norden fuhr, wieder zurückkam, mit der Gitarre ein außerirdisches Liederbuch aufnahm, wieder wegfuhr. Die knapp 35 Jahre lang keinen Schritt in die Musik-Öffentlichkeit ging und nun plötzlich wieder da ist, mit einer neuen Platte, „Lookaftering“, und derselben Stimme und demselben Liebreiz. Viele, die sich ins Blaue hinein gewünscht hatten, Vashti möge irgendwann zurückkehren, sind sicher ziemlich erschrocken.

„Ich habe mich gefühlt wie in einem Paralleluniversum“, sagt Vashti Bunyan. „Die Musik und die Musiker hatten mich verstoßen, ich hatte sie zurückgewiesen, das war ein anderer Planet. Ich bin mir ganz sicher, allein hätte ich den Weg zurück nie gefunden. Daß man mich gebeten hat, zurückzukommen, das war der entscheidende Unterschied.“

35 Jahre gab es keine Fotos, doch man erkennt sie sofort. Sie war blaß auf den Swinging-London-Nymphen-Bildern, jetzt ist sie wettergebräunt, in schlankem Schwarz, mit Muschel- und Perlenarmbändern und dem silbernen Powerbook, das sie kürzlich zum 60. Geburtstag bekommen hat. Als Vashti Bunyan 1997 zum ersten Mal ins Internet ging, gab sie ihren Namen in die Suchmaschine ein – irgendwie schien sie damit zu rechnen, daß da draußen etwas vorging. Natürlich sagt sie, wie erstaunt sie war, daß ihre alte Platte „Just Another Diamond Day“ plötzlich 300 Pfand wert war. Sie selbst organisierte die Wiederveröffentlichung, und dann ließ sie sich bereitwillig finden, als Glen Johnson von der Band Piano Magic nach ihr suchte. Sie sang 2002 auf seiner Platte „Writers Without Homes“ – womit der Bann der gegenseitigen Ablehnung zwischen ihr und der Musik endgültig gebrochen war.

Sie kann einen beim Reden nicht anschauen, aber sie liebt es, sich zu erinnern. 1967: „Wir fuhren hoch zum Primrose Hill, in Andrews Rolls Royce. Er war gerade aus Kalifornien zurück, wo er die Mamas & Papas entdeckt hatte, und wir hörten ihre Musik über acht Lautsprecher, die im ganzen Auto verteilt waren. Es war… (seufzt) traumhaft! Andrews Chauffeur hatte einen überdimensional großen Joint für ihn gedreht, aber… ich konnte nicht rauchen. Ich habe nie mitgemacht. Wenn ich mitgemacht hätte und die coolen Leute mich in die Mitte genommen hätten, wäre vielleicht alles anders gekommen.“ Als erste Single hatte sie 1965 „Some Things Just Stick In Your Mind“ gesungen, einen Jagger/Richards-Song, Vashtis Hauchen gegen Oldhams Orchester. „Ja, Mick Jagger war bei der Aufnahme dabei. Ich konnte ihn sehen, durch die Scheibe des Regieraums, wie er sich über mich lustig gemacht und meine mädchenhaften Bewegungen nachgeäfft hat. (lacht) Aber die waren so, wenn sie zusammen waren, die hatten nur Verachtung und Spott für alle anderen übrig. Wenn ich nicht so ein schüchternes, kleines Ding gewesen wäre, hätte ich damit wohl kein Problem gehabt.“

Jahrzehnte später fragte sie Oldhams damaligen Partner Tony Calder, warum ihre eigenen Lieder, die sie auf Oldhams Anweisung hin geschrieben hatte, nie veröffentlicht wurden, warum man sie ohne Erklärung fallen ließ. „Vashti,“ fragte er zurück, „hast du ernsthaft geglaubt, wir wollten den Leuten Gedichte verkaufen?“ Daß auch der zweite, viel bessere Versuch schiefging, brach ihr dann das Herz.

1968 war sie mit ihrem Freund Robert Lewis in einem umgebauten Bäckerswagen losgefahren, um sich auf der Hebriden-Insel Skye der Kommune des Sängers Donovan anzuschließen – auf dem Weg hatte sie neue Songs gemacht, inspiriert von Kunst-und Kinderliedern ihrer Jugend, und plötzlich rief aus London Produzent Joe Boyd. Als Bunyan das fertige „Diamond Day“-Album hörte, mit Beiträgen von Leuten der Fairport Convention und Incredible String Band, traute sie ihren Ohren nicht:“Das war Folk! Das klang überhaupt nicht nach mir. Ich fühlte mich als Pop-Sängerin.“ Als schlechte Kritiken kamen, schloß sie die Karriere ab, ließ sich mit Lewis auf einem Bauernhof bei Glasgow nieder. Seit zwölf Jahren lebt sie mit ihrem neuem Partner in Edinburgh.

Obwohl der Begriff Trend zerbrechlich ist: Bunyans Musik hat jetzt ein wesentlich fruchtbareres Umfeld als 1970. Damalige Folk-Kreise waren ihr kein Zuhause, die jungen Indie-Songwriter von heute, Devendra Banhart, Joanna Newsom, Antony & The Johnsons, verehren sie wie eine Mama. Banhart hat ihr schon vor Jahren Kassetten geschickt und sie um Fiat gebeten, ob er überhaupt weitermachen solle.“Das ist kein New Folk oder Freak Folk“, sagt sie, „nichts mit dem schrecklichen Wort Folk im Namen! Was diese wundervollen Leute besonders macht, ist ihr Mut. Ihr Mut, anders zu sein als die anderen.“ Einige von ihnen kamen dazu, als Vashti Bunyan mit Produzent Max Richter die neue Platte aufnahm. Als im Studio alle zusammenspielten, war sie so perplex und gerührt, daß sie zu singen vergaß.

„Was mich am meisten überraschte: Als ich die neuen Lieder schrieb, kamen all die Bilder von Bäumen, Hügeln und Landleben Zurück. Was ich in den Jahren gelernt habe, wird wohl immer bei mir bleiben, ob ich auf dem Land, in der Stadt oder auf dem Mond lebe.“

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