Unsere Elfenbeauftragten

Unbeeindruckt von den Pop-Diskursen, die sich mittlerweile um sie ranken, machen CocoRosie sich erneut auf die spirituelle Reise und erzählen neue Abenteuer aus ihrer hippiesken Traumwelt

Süßer die Glöckchen nie bimmeln: Die Welt von CocoRosie ist auch auf dem dritten Album, „The Adventures Of Ghosthorse And Stillborn“, wieder ein Kinderzimmer für Erwachsene. Lieder sind Märchen, Alltag ist Traum, Fehler ist King – und umgekehrt. Drogen sind dabei ebenso wenig im Spiel wie Pop-, Gender- oder Queer-Diskurse notwendig. Jean Genet mag ein freundlicher Pate sein, doch eigentlich zirpt, zupft und zwirbelt es aus purer Spielfreude. Aus Neugier auf eigenartige Musik und einem kindlichen Staunen über die Welt. Was für ein Anblick, als die beiden Schwestern Bianca und Sierra Casady 2004 auf ihrer ersten Tour gemeinsam auf einer alten Couch saßen, umgeben von allerlei quäkendem Spielzeug, Harfe, Gitarre und einem betagten Drumcomputer. Bianca wirkte mürrisch und unnahbar, sang aber wie eine aus den Sümpfen Louisianas auferstandene Comic-Version von Billie Holiday. Sierra gab die divenhafte Opernsängerin, mit einer Stimme, so beeindruckend wie ihre ausladenden Brüste. Es war kein normales Konzert, eher die perfekt unperfekte Inszenierung des CocoRosie-Universums. Das Publikum ließ sich darin treiben wie im verwunschenen Swimmingpool eines alten Hollvwood-Stars.

Drei Jahre später sitzen mir die exzentrischen Schwestern bei einem Inder in Berlin Mitte gegenüber. Sierra hustet, weil es in deutschen Restaurants immer noch kein Rauchverbot gibt. Sie sieht hinreißend aus, trägt ein schwarzweißes, viktorianisch aussehendes Kleid, indianische Ohrringe und hat unter dem rechten Auge eine kleine weiße Träne aufgemalt. Bianca ist einem Punk-Friseur unters Messer gefallen, zumindest sind ihre Schläfen ausrasiert, während oben und hinten die Haare lang und blondiert wuchern. Auf den Armen hat sie diverse Tätowierungen, die aussehen wie mit Kugelschreiber aufgemalt. Die beiden Töchter eines Cherokee-Schamanen und der Künstlerin Christina Chalmers sind viel herumgekommen. Schon als Kinder reisten sie mit ihrem Vater durch die Indianer-Reservate und später voneinander getrennt durch die Welt: „Ich habe kein spezifisches Land, keine Stadt, wo ich mich zu Hause fühle. Ich habe nicht das Gefühl, irgendwo hinzugehören“, betont Bianca und schiebt sich mit trotzigem Blick ein Stück Curry-Tofu in den Mund. Auch die Musik von CocoRosie kennt keine Heimat, ist unterwegs quer durch Genres und Stimmungen, sucht sich einen Weg zwischen Spiritualität und Realität. Die Arbeitsweise der beiden Schwestern erinnert dabei an das eklektische Cut-and-Paste-Prinzip des Hip-Hop: „Musikalisch finden wir HipHop sehr faszinierend, es ist der weltlichste Außenposten in unseren Songs. Kosmische Erfahrungen und das Unterbewusste spielen allerdings eine viel wichtigere Rolle.“ Man hat es bereits geahnt. Schließlich werden CocoRosie gerne im Zusammenhang mit New Weird America und der Freak-Folk-Szene genannt. Das Interesse an echtem Folk hält sich allerdings in Grenzen, selbst die Incredible String Band kennen die Schwestern nur als Namen. Immerhin: „Wir sind mit Vashti Bunyan befreundet, und ihr erstes Album ist für uns etwas sehr Besonderes. Außerdem ist es eins der wenigen echten Folk-Alben, die wir überhaupt kennen.“

„The Adventures Of Ghosthorse And Stillborn“ hat noch weniger mit Folklore zu tun als die beiden Vorgängeralben – auch wenn „Houses“ vom Hausfreund Devendra Banhart geschrieben wurde. Die für CocoRosie-Verhältnisse aufwändige Produktion – das Cover stammt übrigens von Pierre et Gilles – begann in Brooklyn und endete in Reykjavik, im Studio von Valgeir Sigurdsson. Der Meister des nordischen Klangs hat Björk, Sigur Ros und Mum produziert und auch auf „The Letting Go“ von Bonnie Prince Billy seinen Fingerabdruck hinterlassen. „Wir haben Valgeir in einem Swimmingpool kennengelernt, am Tag unserer Abreise“, erinnert sich Sierra. „Wir sind nicht abgeflogen, sondern blieben drei Tage in seinem Studio und spielten wie Kinder.“

Der Einfluss der isländischen Natur – von Björk und anderen Einheimischen gerne heruntergespielt-hinterließ nicht nur in der Musik tiefe Spuren. Dass es in Reykjavik einen Elfenbeauftragten gibt, findet Bianca jedenfalls völlig normal: „Sie meinen so etwas wie einen Förster für Elfen? Das überrascht mich nicht. Ich habe das selbst gespürt: Für die Kultur dort haben Elfen, Feen und Trolle eine sehr starke Bedeutung. Wenn man herumläuft, versteht man, warum.“ Ob ihr Vater, der Schamane, auch so eine Art „Elfenbeauftragter“ ist? Da muss die CocoRosie-Wortführerin lachen und antwortet: „Er ist eher ein Hexer. Wir sehen ihn als einen Künstler, dem es an Gelegenheit mangelt, sein Talent zu zeigen, und der sich deshalb der dunklen Magie zugewandt hat.“

Da braucht man sich über den seltsamen Namen des Albums nicht zu wundern: „Ghosthorse und Stillborn“ sind nächtliche Superhelden. Wenn wir eingeschlafen sind, verwandeln wir uns in sie und reisen in ihrer Gestalt durch die Welt.“ Aber Stillborn ist doch das englische Wort für Totgeburt? Bianca zögert keinen Moment mit ihrer Antwort und bringt die Haltung von CocoRosie auf den Punkt: „Es ist eben ein sehr kleiner Superheld, und die Betonung liegt nicht auf dem Tod, sondern auf dem ewigen Leben. Stillborn kommt wesentlich schneller zu der Sache, um die es geht.“ Auch Alice Coltrane hätte es nicht besser ausdrücken können.

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