Die Dialektik des Songwriting

MÜNCHEN, ORANGEHOUSE.

Vor der Bühne steht ganz allein ein irischer Junge. Er hält behutsam, als wäre es ein Neugeborenes, eine gerade erworbene Alasdair-Roberts-LP in den Armen. Seine Freunde sind an diesem Abend alle bei Vampire Weekend. „Wenn sie mir von den Konzerten erzählen, auf denen sie waren, sagen sie immer: Oh, wir hatten eine Menge Spaß. Dann fragen sie, wie’s bei mir war. Ich sage dann: Ich hätte fast geweint.“

Vermutlich hatte er da schon die ein oder andere Träne verdrückt bei den schottischen Balladen über Liebe, Tod und Verlangen, die Roberts zu Beginn des Abends vortrug. Quasi als Kontrapunkt zu dem, was später noch folgen wird. Denn Bill Callahan ist die Antithese des Folksängers — ein Solitar, ein Solipsist gar, der im Laufe des Konzerts eine immer größere Distanz zum Publikum aufbaut. Die gesichtslose Band spielt eine Art Post-Rock, und Callahans jungenhaftes Antlitz unter den ergrauten Haaren hält die Maske aufrecht, die schon seine Stimme evoziert. Reglos, ohne Variation trägt er seine Poeme vor. Die Texte wirken, als wären sie in ein glänzendes Stück Stahl graviert. „We are constantly on trial/ It’s a way to be free“ – Zeilen aus „River Guard“, dem Smog-Übersong, der allein ihn zu einem der großen amerikanischen Songpoeten macht. „Standing on a cliff with gooseflesh.“ Zur Zugabe kehrt Alasdair Roberts auf die Bühne zurück, verleiht „Let Me See The Colts“ einen schönen Folk-Rock-Appeal, dann erhebt sich majestätisch, mit langem Intro – „Hold on, hold on, hold on“ -— „Bloodflow“. „In this wonderful world — hold on.“ Am Ausgang treffe ich einen Jungen aus Irland – glücklich.

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