Die Download- Jäger

Wie eine Frankfurter Kanzlei illegale Filesharer im Netz verfolgt.

User Lotusblüte ist besorgt. „Ich hab da ein Problem mit Kornmeier“, schreibt er in einem Thread. Verzweifelt geht es weiter: „Den ersten Brief habe ich komplett ignoriert und auch nix bezahlt. Dann kam der zweite Brief, ungefähr 90 Tage später. Jetzt wollten die ja schon über 640 € haben.“

Worum es geht? Lotusblüte hat einen Track des Rappers Kool Savas aus dem Internet geladen, das darf man ruhig schreiben, er schreibt es selbst. Und weil es sich um ein illegales File handelte, soll er jetzt dafür bezahlen. Er ist nicht der Einzige: Es gibt zahlreiche ähnliche Foren, an deren Peripherie sich eine schwer zu durchdringende, Internet-typische Quasi-Industrie aus Gegen-Anwälten, Besserwissern und Mitgeschädigten bzw. -tätern formiert hat.

Es gibt allerdings auch zahlreiche ähnliche Kanzleien wie Kornmeier & Partner, etwa 25 sind es in Deutschland. Dr. Udo Kornmeier – schlank, hellwach, klare Augen – ist der Mann, der Lotusblüte den Brief geschrieben hat. Vielmehr war es wahrscheinlich einer seiner sieben Mitarbeiter – von einem Mann kann die Flut an Arbeit längst nicht mehr bewältigt werden.

Dr. Kornmeier ist Entertainment-Anwalt. In den Achtzigern hat er für die Plattenfirma Sony Music gearbeitet, Anfang der Neunziger machte er sich selbstständig. In den goldenen Jahren nach Einführung der CD war Kornmeier zur rechten Zeit am rechten Ort. Immer noch hängen die Trophäen von damals an den Wänden seiner zweigeschossigen Kanzlei im Frankfurter Westend-Nord: Gold- und Platinalben aus jener Phase, als Frankfurt zumindest in kommerzieller Hinsicht deutsche Pop-Hauptstadt war. Xavier Naidoo, Sabrina Setlur, natürlich das Rödelheim Hartreim Projekt – Kornmeier hat sie alle beraten. Doch dann ist etwas passiert, womit keiner gerechnet hat. Die Branche, in der der Anwalt sein Geld verdiente, begann sich aufzulösen.

Man muss jetzt nicht schon wieder das ganze Dilemma von Napster bis RapidShare in seine Einzelteile zerlegen oder immer wieder die Ignoranz der Industrie bekritteln. Feststeht: In den letzten 15 Jahren ist der Gesamtumsatz der Musikindustrie um ungefähr 40 Prozent zurückgegangen. Das ist eine so gewaltige Zahl, dass die Folgen jeden betreffen, der mit Musik seinen Lebensunterhalt verdient, auch dieses Magazin.

Dr. Kornmeier ist entschlossen, eine Ursache zu bekämpfen: Den fortgesetzten Diebstahl geistigen Eigentums im Internet. Ein mühseliges und hartes Geschäft. Wer bis vor zwei Jahren einen illegalen Down- oder Upload im Netz verfolgen wollte, musste ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft beantragen. Dann wurde die sogenannte „Enforcement-Richtlinie zur besseren Durchsetzung geistigen Eigentums“ vom Bundestag beschlossen. Seitdem können die IP-Adressen auffälliger User auf zivilrechtlichem Wege ermittelt werden. Was bedeutet: Nach den rührseligen „Copy-Kills-Music“-Kampagnen und zwischen martialischer Drohgebärde und infantilem Witz changierenden Spots der Musikwirtschaft, wo Papi in den Knast muss, geschieht etwas im Lande. Leise und beinahe unbemerkt, aber mitnichten wirkungslos – zuletzt ist die Zahl illegaler Downloads von geschätzten 500 Millionen auf ca. 300 Millionen zurückgegangen.

Kanzleien wie die von Kornmeier haben ein standardisiertes Verfahren entwickelt: Der Anwalt erhält vom Rechteinhaber ein Mandat. Das koordiniert in diesem Fall meist Matthias Grein, ein Veteran der Szene, der über zahlreiche Künstlerkontakte verfügt (und früher Manager des legendären DJ Mark Spoon war). Mit einer entsprechenden Software durchwühlt daraufhin ein externes Technikunternehmen die diversen Tauschbörsen und ermittelt, ob dort geschützte Werke Kornmeierscher Klienten angeboten werden. Mithilfe des sogenannten Hash-Wertes kann dann jedes Angebot dieser Dateien identifiziert werden. Ist die IP-Adresse des Delinquenten einmal ermittelt, kriegt ein User wie Lotusblüte eine Abmahnung. Zahlt er daraufhin einen pauschalen Betrag von ca 450 Euro pro File, ist der Fall erledigt.

Doch ist es so einfach? Die Hegemann-Debatte hat eben wieder gezeigt, was für ein sensibles Gut geistiges Eigentum ist. Und wie emotional die Diskussion darüber geführt wird. In diesem Fall geht es nicht zuletzt darum, wer Täter und wer Opfer ist. Bei den meisten illegalen Downloadern herrscht absolut kein Unrechtsbewusstsein. Die Vorstellung vom Internet als rechtsfreiem – und vor allem kostenfreien – Raum hat sich verselbstständigt. So dürfte beinahe jeder, der diese Zeilen liest, schuldig im Sinne der Anklage sein. Streams, YouTube-Videos, Besuche bei Kino.to -jeder zweite Mausklick geschieht bei popkulturell interessierten Menschen mehr oder weniger rechtswidrig. Dass man deswegen irgendwann Ärger kriegen könnte, lag bei den meisten jenseits der Vorstellungskraft. Und überhaupt: Ist es zulässig, praktisch ein ganzes Volk zu kriminalisieren?

Es sei sicher nicht so toll, den Endverbraucher zu belangen, entgegnet Kornmeier auf solche Einwände, aber zurzeit eben die einzige Möglichkeit: „Die großen Börsen zu schließen ist unmöglich. Rapid Share, eMule – diese Netzwerke sind wie eine Hydra.“ Also verfolgt Kornmeier weiter jeden einzelnen illegalen Download. Auf Basis geltenden Rechts, wohlgemerkt. Und weil er dabei auch Geld verdient, wird gelegentlich der Vorwurf erhoben, seine Zunft habe hier ein attraktives Geschäftsmodell entwickelt – der Anwalt als moderner Kriegsgewinnler.

Das lässt Kornmeier nicht gelten: „Zunächst ist es in unserer Wirtschaftsordnung nichts Ehrenrühriges, Geld zu verdienen. Und dann gab es ja auch mal ein Geschäftsmodell, das hieß, CDs pressen and verkaufen‘, da hatte auch keiner was dagegen.“ Er tue nichts anderes, als die Leute zu bekämpfen, die dafür gesorgt haben, dass eben dieses Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert, das sei nur gerecht.

Zum Abschluss stellt Matthias Grein seine Lieblingsfrage: „In welchem Berufarbeitet heute noch jemand für ein Viertel dessen, was er Mitte der Neunziger verdient hat?“

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