Die dunkle Nacht der Seele

Zum Tod des großen Schauspielers Frank Giering, der die Menschen und das Alltagsleben fürchtete und in beinahe jeder seiner Rollen eine unvergessliche Darstellung zeigte.

In der Zeitung sah man nach seinem Tod den Aufgang zu seiner Berliner Wohnung: letzte Etage, eine große Topfplanze vor der Tür. Hinter dieser Tür war Frank Giering an jenem Abend gestorben, als die deutsche Fußballmannschaft gegen Ghana spielte. Sein Stiefvater war bei ihm – doch hatte er nicht, wie zunächst berichtet wurde, Spaghetti gekocht. Giering wollte nichts essen. Er hatte Wodka gesoffen und wollte weitertrinken. Aber sein Körper war vergiftet.

Frank Giering war schon ein ziemlich bekannter Schauspieler, als er in der Talkshow „Kerner“ über seine Alkoholsucht sprach. Er hatte eine Therapie beendet und wollte anderen Menschen von dem Gefängnis erzählen, das er sich bereitet hatte. Schon vormittags hatte Giering getrunken, sich nicht aus dem Haus getraut, aufs Telefon nicht reagiert. Er berichtete nun ruhig und ohne Pathos von dieser Zeit, mit großer Klarheit und Intensität.

Giering stammte aus Magdeburg, war in der Schule ein etwas rundlicher Außenseiter, wurde gehänselt – und wollte ausgerechnet Schauspieler werden. Die Method-Acting-Attitüden an der Schauspielschule Potsdam behagten ihm nicht, er schmiss hin. Doch Angst vor der Kamera hatte Giering nie: Dies war sein Bezirk, hier fürchtete er weder Menschen noch Leben. Nicht zufällig engagierte ihn Michael Haneke 1997 für die Rolle des höflichen Sadisten, eines dicklichen Jugendlichen in „Funny Games“. In „Absolute Giganten“ (1999) spielte Giering dann eine Sehnsuchtsrolle: Hinaus aufs Meer, in die Freiheit! Doch viel näher war ihm der depressive, von Eifersucht und Selbstzweifeln gepeinigte Ehemann in dem Kino-Kammerspiel „Die Nacht singt ihre Lieder“ (2002).

Giering suchte den Kontakt, er drehte bei Interviews manchmal den Spieß um und stellte selbst Fragen; er gehörte zu den Menschen, die keine Schutzmechanismen haben. Bis zu seinem 29. Lebensjahr wohnte er in der Wohnung seiner Mutter in Magdeburg. Vor vier Jahren hatte Giering eine Rolle mit dem albernen Namen Henry Weber in der ZDF-Serie „Der Kriminalist“ übernommen. In der Hauptrolle agierte Christian Berkel, ein ebenso eitler wie professioneller Schauspieler. Für Giering bieb der klassische Sidekick – aber selbst diese undankbare Aufgabe machte er unvergesslich, als er in einer Szene dem deprimierten Kriminalisten zwei Bierdosen brachte.

Manchmal erschien Giering – der 20 Kilo verloren hatte – nicht am Drehort, versteckte sich in seiner Wohnung, trank gewaltige Mengen. Eine Verehrerin sagte: „Wenn man nur in sein Gesicht sah, musste man fast weinen.“ Am 23. Juni endete die lebenslange Angst des genialen Schauspielers Frank Giering.

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