Die Freuden der Vernunft

Der Lyriker, Erzähler, Dramatiker und Essayist Peter Hacks (1928 - 2003) wird wieder gern gelesen. Das ist klug so, denn eine vergnüglichere Lektüre gibt es kaum, sagt Wiglaf Droste.

Ruhm und Glanz sind mir gegeben. / Staunen brandet zu mir hin. / Teufel auch, das wird ein Leben, / Wenn ich erst gestorben bin“, spottete der Dichter Peter Hacks zu seinen Lebzeiten. Die Verse waren prophetisch. Seit seinem Tod am 28. August 2003 ist öffentlich weit mehr und viel freundlicher die Rede von Hacks als in den letzten Jahren seines Lebens – in denen Hacks mit pointierten Galligkeiten auf äußerste Distanz zur allgemeinen Jubelpflicht ging, die 1989 ausgerufen wurde. Dem organisierten Massenkrakeel der Millenniums-Feierlichkeiten stellte Hacks seinen Toast „Auf das 21. Jahrhundert“ entgegen: „In Blut und Scheiße kam auch ich zur Welt. / Es ist oft nicht der Anfang, der gefällt.“ Typisch für Hacks ist dabei nicht nur die Entschiedenheit, mit der er seine Anschauung der Welt vorträgt, sondern auch die klassische Form, in die er sie gießt. Das englische Couplet, zwei mal zehn Silben kurz, geht zurück auf den Dichter John Donne, einen Zeitgenossen William Shakespeares und von Hacks nicht minder hoch geschätzt als dieser.

Hacks brachte die geschliffene lyrische Kurzform zu neuer Blüte. „Die Glocke stört, es stört der Muezzin. / Man bringe sie zum Schweigen, die wie ihn“, lautet sein „Recht auf Gleichbehandlung“. So souverän schlichtet Hacks geistauslöschende Religionsstreitigkeiten: Er schickt alle Beteiligten vom Marktplatz zurück ins heimische Privatissimum. Und auch der geballten Hirnerstickungsmacht des Fernsehns vermochte Hacks noch Esprit abzutrotzen und dichtete den „Hingang“ eines medial Gequälten: „Er sah noch eine halbe Nacht lang fern, / Jeden Kanal, und starb dann äußerst gern.“

Dessen ungeachtet wird Peter Hacks posthum auch von Religionsvertretern und Medienexistenzen öffentlich geehrt und vereinnahmt. Martin Mosebach attestierte Hacks in einem Nachruf einen „Geist wie kalter Champagner“, der zum Liturgiefanatiker Mosebach selbst allerdings noch nicht durchdrang. Und Frank Schirrmacher, Generalintrigant des deutschen Feuilletonbetriebs, umarmte die Leiche von Hacks zu dessen 80. Geburtstag mit einem Wort von Johannes R. Becher: „Er ist unser.“ Es las sich wie ein gebrülltes „Vaterunser“ am Grab eines Aufgeklärten, der mit Gottentotten jedweder Couleur zeitlebens nichts zu tun hatte, und das nicht aus Mangel an Gelegenheit dazu, sondern aus eigenem Entschluss.

Wie ja Hacks, geboren am 21. März 1928, auch aus eigenem Antrieb die Bundesrepublik verließ und 1955 Theaterdichter am Deutschen Theater in Ostberlin wurde. Die DDR nannte er „mein Land“ – und wurde dennoch auch in der Bundesrepublik eine Berühmtheit. Sein Kinderbuch „Der Bär auf dem Försterball“ erschien zuerst im Westen und ist, mit den Illustrationen von Walter Schmögner, ein Klassiker des Genres bis heute. Sein Theaterstück „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ machte Hacks zum Star. In den 1970er Jahren galt Hacks auch in der westlichen Welt als größter lebender deutscher Dramatiker.

Das änderte sich schlagartig nach der Einweisung Wolf Biermanns in die Bundesrepublik, die Hacks als den durchaus verschmerzbaren Abgang einer kabarettistischen Nervensäge ansah. Seine Entscheidung, das auch öffentlich zu sagen, kostete Hacks nicht nur jede Menge (West-)Tantiemen, sondern auch Ruhm und Reputation. So stand Hacks ziemlich allein, als er die deutsche Wiedervereinigung eine „Konterrevolution“ nannte. Weitere 20 Jahre später allerdings lachen nicht so wenige Ostdeutsche, wenn sie das alte Couplet „Blondinenwitz“ von Hacks lesen oder hören: „Blondinen, wenn von Ost nach West ihr flöht, / War das Niveau in West wie Ost erhöht.“

Auch im Westen liest man wieder Hacks. 2006 brachte der Dichter F.W. Bernstein bei Reclam den Band „Liebesgedichte'“ von Peter Hacks heraus. In seinem „Klosteridyll“ beschreibt Hacks einen sinnenfrohen Abt, der Mönche und Nonnen beim Liebesspiel überrascht, mit diesen Versen: „Ab Kinder, rief er, in die Kissen, / Verschafft euch eine frohe Nacht. / Ich selbst will eben zur Äbtissin, / Wir sehn uns dann zur Frühandacht.“ Wie freundlich, wie heiter, wie fern der Doppelzüngigkeit – und wie human auch die Theorie von Hacks, religiös organisierte Erwachsene könnten Freude an sich und ihresgleichen empfinden, statt, wie ihre Praxis es zeigt, Schutzbefohlene Kinder zu missbrauchen und zu quälen.

Hacks ist nicht nur als Dichter und Dramatiker ein Klassiker, sondern auch als Essayist. „Die Maßgaben der Kunst“ hat er seine Aufsätze genannt; ihre Lektüre ist immer erhellend, erhebend und erheiternd, gerade weil Hacks die Schwere der Stoffe nicht scheut, sondern ihnen mit einer Leichtigkeit des Tons begegnet, die in Deutschland so selten ist. Hacks weiß auch, warum das so ist: „Es kommt meist nichts dabei heraus, wenn Philologen Humor entwickeln.“ Akademischem und feuilletonistischem Schwurbel setzt Hacks die Freuden der Vernunft entgegen. Ganz nebenbei und angemessen kurz erklärt er beispielsweise, was sonst in medialen Endlosschleifen als Jugendkultur abgefeiert wird: „Jugendliche sind ja schon zufrieden, wenn ihrer nur recht viele an einem Platz beisammen sind.“ Das schrieb Hacks zwar über einen Auftrieb deutscher Burschenschafter vor 200 Jahren auf der Wartburg – aber so gut hat noch niemand die Ursache trostferner Umzüge wie der Love Parade beschrieben.

Peter Hacks ist längst der Holperstein geworden, der zu sein er sich in seinem Gedicht „Tagtraum“ wünschte: „Ich möchte gern ein Holperstein / In einer Pflasterstraße sein. // Ich stell mir vor, ich läge dort / Jahrhunderte am selben Ort, / Und einer von den Kunsteunuchen / Aus Medien und Kritik /Kam beispielsweise Hacks besuchen / Und brach sich das Genick.“

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