Die letzten Rebellen

Innovativen Regisseuren wie Jonathan Glazer ist die "Directors"~DVD-Reihe gewidmet

Ich schaue inzwischen überhaupt kein MTV mehr. Es langweilt mich, es sagt mir nichts, was ich nicht schon längst weiß.“ Der Regisseur Jonathan Glazer ist genervt: Er will nicht mehr Dirigent sein für das Bord-Orchester eines im Niveau stetig sinkenden Unterhaltungsdampfers. Dabei war der 3$>jährige Brite in den Neunzigern einer der größten Trümpfe des Musikfernsehens. Seine Videos für Radiohead, Massive Attack, Jamiroquai und Blur wurden mit Preisen überhäuft, der Surfen-Werbespot für die Biermarke Guinness erhielt von britischen Fernsehzuschauern sogar das Prädikat „best advert ever“. Doch die Zeiten, in denen man von MTV-Ästhetik sprach und eine neue, revolutionäre Bildsprache meinte, sind längst vorbei. Zwischen kreischiger Jamba-Werbung und spießigen Room-Raiders passen nur die Banalitäten bouncender HipHopper und balzender Häschen.

Sicher, noch immer gibt es den einen oder anderen Spot, der für Aufsehen sorgt. Doch welcher Erwachsene möchte danach suchen, in einem Umfeld, das aussieht, als sei es auf 14jährige aus dysfunktionalen Familien zugeschnittenen? Palm Pictures haben bereits 2003 die attraktive Marktlücke erkannt und das „Directors Label“ etabliert. Seitdem veröffentlicht man dort exzellent kompilierte DVDs mit Clips, Kurzfilmen und Dokumentationen, von und über Chris Cunnigham, Michel Gondry, Spike Jonze und Hype Williams. Zielpublikum sind Menschen, die von Musik mehr erwarten als Hintergrundrauschen und die dazu Bilder suchen, die so komplex sind wie die Songs, deren Geschichten sie erzählen.

Ende September startet nun eine zweite Staffel, mit weiteren, bis zu 300 Minuten langen Werkschauen. Neben Anton Corbijn, Mark Romanek und Stephane Sednaoui wurde auch Jonathan Glazer aufgenommen in das Pantheon der Directors-Serie: „Für mich ist das, als hätte man zehn Jahre meiner Arbeit archiviert. Es ist schön, in einer Reihe zu stehen mit Typen, deren Videos mich inspiriert haben – und umgekehrt. Trotzdem steckt auch eine gewisse Ironie darin, daß die Leute jetzt für etwas zahlen sollen, was früher einmal umsonst war.“ Glazer, der seit 18 Jahren vor allem im Werbegeschäft eine Auszeichnung nach der anderen kassiert, weiß natürlich, daß einem auch in den guten alten Zeiten des Music Televison nichts geschenkt wurde. Doch seit dem grandiosen Erfolg seines Spielfilm-Debüts „Sexy Beast“ – die „New York Times“ hat ihn gerade in ihre Liste der 100 besten Filme aller Zeiten aufgenommen – braucht sich Glazer um die kleinen Formate nicht mehr zu kümmern.

Nachdem „Birth“, sein Ende letzten Jahres gestarteter übersinnlicher Thriller mit Nicole Kidman in der Hauptrolle, eben‘ falls von der Kritik gefeiert wurde, schreibt der Mann jetzt erst mal gemütlich an einen „politischen Vampirfilm“.

Künstler wie Jonathan Glazer, Mark Romanek, Spike Jonze und Michel Gondry sind weniger berechenbar als viele der braven Regie-Soldaten, die Hollywood sonst beschäftigt. Doch gleichzeitig sind sie auch Hoffnungsträger einer Branche, deren Big-Budget-Politik sich gar nicht mehr auszahlt: „Regisseure wie Michel Gondry, die mit Videos angefangen haben, etablieren gerade eine neue Filmsprache, die sich deutlich von der ihrer Vorgänger unterscheidet“, behauptet Glazer und denkt dabei bestimmt auch ein ¿wenig an sich selbst. „Diese neue Sprache kann sehr aufregend sein und eine Bereicherung fürs Kino. Doch oft kommt dabei auch Mist heraus: grell und hohl. In Musikvideos und in der Werbung kann man Erfahrungen sammeln – aber wenn man einen Spielfilm dreht, betritt man eine neue Welt.“ Während VTVA zu einem debilen Spiel- und Anruf-Sender umgewandelt wird, sieht man bei der „Directors Series“, was möglich wäre.

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