Das Kind im wilden Mann

Ausgerechnet der Spike Jonze, der bislang mit postmodernen Spielchen gefiel, macht einen Kinderfilm. Oder?

Als Indie-Ikone Spike Jonze vor knapp drei Jahren die Regie eines 80-Millionen-Dollar-Familienfilmes für das Mainstream-Studio Warner Bros, übernahm, wurde er durchaus des Ausverkaufs verdächtigt. Doch als die Kunde von irritierten Managern kam, gegen die er seine alles andere als infantile Lesart des Kinderbuches „Wo die wilden Kerle wohnen“ zäh verteidigen musste, wandelte sich Skepsis in gespannte Erwartungshaltung. Zu Recht, denn auch Jonzes drittes Werk nach „Being John Malkovich“ und „Adaption“ scheint aus einer Kino-Parallelwelt zu stammen, in der sich Zunächst einmal lasse ich mir grundsätzlich viel Zeit bei der Fertigstellung meiner Filme und gehe im Schnitt durch viele Fassungen. Schon für die Postproduktion von „Being John Malkovich“ nahm ich mir ein Jahr und verwarf rund 50 Fassungen, bevor der Film meinen Vorstellungen entsprach. Im aktuellen Fall sträubten sich die Leute von Warner lange zu akzeptieren, was ich gedreht hatte. Sie wollten wohl einen traditionellen Familienfilm, doch für mich war immer klar, dass die „wilden Kerle“ der Story sinnbildlich für wilde, rohe Emotionen stehen und der Ton bei aller Fantasie der Geschichte naturalistisch sein müsse. Unsere Hauptfigur ist kein Filmkind wie aus dem Spielberg-Universum, sondern ein echter, unberechenbarer Junge. Irgendwann willigte Warner diesem Ansatz ein. Ich drollige und dramatische Ideen auf wundersame Weise zu einem modernen Klassiker vereinen. Dem ROLLING STONE erklärt der Regisseur, wie er Widerständen trotzte, indem er dem Neunjährigen in sich treu blieb.

Die Premiere von „Wo die wilden Kerle wohnen“ war ursprünglich für den Herbst 2008 angesetzt. Woran lag die lange Verzögerung?

weiß nicht, ob sie meine Motive verstanden oder am Ende einfach zermürbt waren.

Die Vorlage von Maurice Sendak hat insgesamt nur zehn Sätze Text. Wie haben Sie daraus zusammen mit Autor Dave Eggers einen abendfüllenden Spielfilm gemacht?

Wegen dieser Frage zermarterte ich mir ewig den Kopf. Ich bin schon seit Jahren mit Maurice befreundet und lehnte „Wo die wilden Kerle wohnen“ mehrfach ab, weil ich den Purismus seiner perfekten Vorlage nicht zerstören wollte. Aber er ermutigte uns, eine narrative Struktur hinzuzufügen und Elemente zu erfinden, die sich organisch einfügen würden. Den Ausgangspunkt dafür bildeten allein die Figuren. Wir überlegten, wie sich die wilden Kerle bewegen würden oder wie sie sich wohl beim Sprechen anhören mochten. Von dem Moment an, in dem wir sie als komplexe Charaktere behandelten, war eigentlich alles ganz einfach. Wir überließen es den Figuren, die Story in die Hand zu nehmen.

Was reizte Sie ursprünglich daran, einen Kinderfilm zu drehen?

Ich habe das Projekt eigentlich nie als Kinderfilm gesehen. Ich wollte erzählen, wie es sich anfühlt, ein Kind zu sein. Das ist ein Angebot für Zuschauer jeden Alters, solange sie sich noch an ihre eigene Kindheit erinnern wollen oder können. Ich bin selbst kein Vater. Daher stand mir auch nie die elterliche, beschützende Perspektive im Weg, aus der Filme über Kinder in der Regel erzählt werden. Mein Ziel war es, die Empfindungen lebendig zu machen, die man als Neunjähriger in sich trägt. Da erinnere ich selbst nicht nur glucksende Glückseligkeit. Vielmehr: Urängste, Gefühle von Kontrollverlust, stetige Verwirrung. Daran habe ich mich bei der Arbeit immer wieder erinnert, niedliche Kinokinder gibt es ja zur Genüge.

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