Die Sensibilistin Tori Amos ist eloquent auf der Suche nach dem Ursprung: der Luge und der Harmonie der Geschlechter

In der Lobby des „Acton Hotel“ zu Kinsale meuchelt eine Dixie-Band skrupellos Beatles-Songs vor einer gediegenen Hochzeitsgesellschaft. Drei Stockwerke darüber, den malerischen Hafen am Südostzipfel Irlands im Blick, leckt eine fröstelnde Tori Arnos (die Freiluft-Foto-Session am Vortag!) ihre frischesten Wunden. Wie immer mit Überbau, versteht sich.

In 45minütigen Audienzen, die einem Wechselbad aus Therapie-Sitzung und Abendmahl gleichen, geht das ehemalige Klavier-Wunderkind seiner allerliebsten Arbeit nach: die Dinge, so wie sie sind, bloßzulegen. Und sich selbst gleich dazu. Wo andere sich winden, wenn sie sich genauer erklären sollen und den Journalisten Skrupel plagen, ob er tiefer dringen soll -, wird Tori Arnos erst munter. Schwupps! Schon rückt sie nach vorn und legt Hand an den Kandidaten. Oder auch in den eigenen Schritt. „Ich habe mich überall rasiert, wo Du gewesen bist, mein Junge“, haucht sie markante Textzeilen in Atemnähe.

Schockieren kann das nicht mehr. Längst weiß man ja, daß sie an jede Pore ihres drahtigen, kleinen Körpers nur Wasser und Grapefruit-Seife läßt, daß sie ihre Jungfernschaft partout Robert Plant (im Notfall auch Jimmy Page) darbringen wollte, Led Zep-Platten als aurale Masturbierhilfe blankspielte – und daß der Song „Me And A Gun“ der selbsterlittenen Vergewaltigung entsprang. Arnos‘ Exhibitionismus schien merkwürdig mit einer Zeit zu korrespondieren, in der eine sprachlose Talkshow-Kultur selbst Intimstes in den Rang öffentlichen Interesses hieven konnte.

Vermutlich hatte sie nie eine Wahl. „Little Earthquakes“ exorzierte die schuldbeladene Jugend im Pfarrhaus; „Under The Pink“ zündete Handgranaten in den Schützengräben des Krieges unter den Frauen. Und ihr neues Album „Boys For Pele“, das nicht dem Fußballer, sondern der gleichnamigen Vulkan-Göttin auf Hawaii huldigt, geht gewohnt gründlich der Frage nach, „wie die Geschlechter ihre Haken ineinanderschlagen“. Es geht darum, was Männer und Frauen einander geben wollen und können. Vor allem aber: was nicht. Und was sie dann deshalb tun – verzweifelt, enttäuscht, wütend. „Dann wird es häßlich“, weiß Arnos. Dem nicht geradezu schwerelosen 18-Song-Opus gingen 18 „demütigende“ Monate in den Trümmern der gescheiterten Beziehung zu ihrem musikalischen Partner Eric Rosse voran.

Das Delirium der Zeugung und der Rausch der Geburt forderten der selbsternannten „Nomadin“ noch stets neue Lokalitäten ab. Diesmal kam Tori in Louisiana in einer irischen Kirche nieder. Sie müsse „stets an den Ursprung der Lüge zurück“, um diese entlarven zu können. Und der liege für sie nun mal in der Kirche, auch wenn der Katholizismus „nur ein Teil“ von Irland mit seiner reichen Mythologie sei. Amos: „Ich wollte meine Wahrheit da erzählen, wo dies eigentlich verboten war.“ Louisiana repräsentiert den Süden und damit „die Dinge, die verborgen bleiben in einer Beziehung. Es ist eine Empfindungslosigkeit, aus der man sich befreien muß.“ Über die emotionale Befreiung hat Arnos die Machtfrage nie vergessen. Frauen, so ihr nicht gerade feministisch klingender Zungenschlag, sollten sich ihrer Fähigkeiten zu Mitgefühl und „Leben zu geben“ bewußter werden. Und auch der Leidenschaft, die „unter Scham begraben wurde und der Frage: Hure oder Mutter?“ Nur so könnten sie ihre „wachsende Bitterkeit“ abstreifen und aufhören, ihre Macht nur über Männer zu definieren, „weil sie völlig konfus sind, was Macht wirklich für sie bedeutet“.

Das ist wohl der kleine aber feine Unterschied: Während etwa Sharon Stone ihr magisches Dreieck illusionslos und berechnend als ultimative Machtdemonstration aufblitzen läßt, möchte sich Tori Arnos der Illusion hingeben, daß „die Wiedervereinigung des Menschen“ (Alice Schwarzer) den Spaltpilz Männlich-Weiblich samt Machtdenken irgendwann vertilgen wird.

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