Die Slide-Hölle

Nach 30 Jahren spielte Chris Rea sein allerletztes Konzert - und veröffentlichte sein erstes Live-Album

Ein Bekannter gab ihm den Tipp, und nun ist Chris Rea in Windsor unterwegs, wo in einem Second-Hand-Laden eine alte Stella-Gitarre zu haben sein soll. „Charley Patton und andere alte Bluesmänner haben sie gespielt“, erläutert der55-jährige Brite. „Es sind eigentlich furchtbare Gitarren, aber man kann sehr gut Slide darauf spielen. Doch bis jetzt hab ich sie noch nicht gefunden.“ Er lacht laut und rauchzart. Die Geschichte(n) und Romantik, die in solchen Instrumenten steckten, seien eine Inspiration für ihn. „Mich interessieren auch alte Hofner-Gitarren. Dahinter steckt der Wunsch, noch einmal meine Kindheit leben zu können. Ich habe da soviel vermisst, weil ich doch eher ein Spätzünder war.“

Reichlich spät wartete Rea auch kürzlich mit dem ersten Live-Album seiner fast 30-jährigen Karriere auf: „The Road To Hell And Back“ dokumentiert seine letzte – und zugleich krankheitsbedingt allerletzte – Europa-Tour im Frühjahr dieses Jahres. „Ich hatte bisher nie genug Selbstvertrauen für ein Live-Album“, so Rea. Natürlich haben nicht nur Leute aus dem Musikgeschäft „mir die ganze Zeit damit in den Ohren gelegen, endlich ein Live-Album zu machen. Aber da gab es immer Dinge, mit denen ich mich nicht wohlfühlte. Denn eigentlich ist ein Live-Album ja eine sehr sensible, tiefe Form der Psychoanalyse. Etwa wenn man ein Slide-Solo spielt und dabei völlig abhebt. Über die Jahre haben viele Leute dabei immer wieder wunderbare Sachen gehört – während ich immer nur dachte: Das kann ich auf keinen Fall wieder tun (lacht). Ich bin davor immer davongerannt und habe die neue Platte auch noch nicht gehört.“

Er veröffentlicht ein Live-Album ohne es vorher gehört zu haben? „Das war der Deal. Der Typ, der unseren Live-Sound macht, hört die Aufnahmen durch und trifft die Auswahl, und ich höre vor der Veröffentlichung keinen Ton. Was den Typen fast verrückt gemacht hat. Dauernd rief er an, wollte meine Meinung oder sogar was vorspielen. Ich sagte nur: ,Das ist dein Job. Sonst werfe ich alles nur über den Haufen.‘ Ich habe einfach akzeptiert, wie sehr die Leute da draußen ein Live-Album wollen – und bin zum ersten Mal in meinem Leben tatsächlich glücklich mit dem, was ich da gemacht habe. Denn es war die erste Tour, auf der die reine Musikalität der entscheidende Faktor war.

Wenn etwas nicht funktionierte, flog es einfach aus dem Programm.“

Rausfliegen, und zwar von zuhause, würde Chris Rea wohl, sollte er noch eine blaue Gitarre malen. „Meine Frau kann sie schon nicht mehr sehen“, sagt Rea. „Denn sie stehen und hängen überall bei uns.“ Also ist der Maler Rea kürzlich auf semi-surreale Seen und Berge umgestiegen, „mit Betonung auf die Höhe. Das ist schon als Kind ein großer Traum von mir gewesen, vom tiefsten Punkt auf den höchsten Berg zu schauen.“ Längst ist die Malerei für ihn als Alltagselixier „so wichtig wie die Musik“ geworden. Ein Geschäft soll sie nicht werden. Was gerade einen russischen Geschäftsmann nicht davon abhalten konnte, „einen unglaublichen Haufen Geld“ für das Bild zu bieten, das Rea als Logo für sein Label Jazzee Blue gemalt hatte. „Ich sagte: Unverkäuflich, es sei denn, es springt etwas für den guten Zweck raus.“ So rollte der Rubel in die Kasse der Organisation NSPCC, die präventiv gegen Grausamkeit an Kindern vorgeht. Derzeit schreibt Chris Rea an einer Autobiographie. Titel, na klar: „The Road To Hell And Back“. „Es war eine merkwürdige Beziehung, die ich mit dem Musikgeschäft hatte“, resümiert er, „und der Verlag fand es interessant, da mal einen Einblick zu bekommen. Ich bin ja nie eine richtige Karriere-Diva gewesen.“

Rea lacht verschämt und macht sich wieder auf die Suche. Irgendwo wartet die alte Stella-Gitarre.

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