Die Songs

Von der Redaktion ausgewählt: Die 50 besten Hits und versteckten Perlen der 50er-Jahre

Moondog

All Is Loneliness

1950 SMC Pro Arte

In der „New York Times“ soll das Hilton-Hotel seine Adresse mal als „gegenüber von Moondog“ angegeben haben. Moondog alias Louis Hardin war ein blinder Mann mit langem Bart, gekleidet in ein Wikingerkostüm, der an der 6th Avenue Gedichte und Kompositionen zu Trommel und Zither vortrug. Charlie Parker kam öfter vorbei, Philip Glass sah in ihm den Begründer der Minimal Music. Doch Moondog war weder Jazz noch Modernist: Er war Klassizist, orientierte seine Kompositionen am Ideal des Kontrapunktes. Sein Madrigal „All Is Loneliness“ fand Ende der Sechziger seinen Weg ins Repertoire von Janis Joplin. Der spleenige Komponist zeigte sich verärgert: „Damit machte sie alles kaputt.“

Hank Williams

Cold Cold Heart

1951 MGM

Dieser Song habe ihm „quite a few beans and biscuits“ finanziert, erklärte Williams einmal süffisant. Wofür wohl mehr die Schlagerversion von Tony Bennett verantwortlich war, die auch fernab der Countrywellen gehört wurde und gute Tantiemengelder nach Nashville brachte. Die Lyrics frohlocken weniger: Eine komplizierte Übung in Pärchenpsychologie findet hier statt, in der der Sänger nach dem Trauma forscht, das die Geliebte so kühl wirken lässt. Möglicherweise war Williams‘ eigene Ehe mit Audrey die bittere Inspiration.

Ruth Brown

(Mama) He Treats Your Daughter Mean

1953 Atlantic

Natürlich wurde das von zwei Männern geschrieben, aber was die damals 25-jährige R’n’B-Prinzessin aus Virginia daraus machte, ist das perfekte Paradigma eines Geschlechterproblems: Die wüstesten Jungs, die nie abspülen und alle Wohltaten ohne Gegenleistung hinnehmen, sind am Ende doch die besten. Ruth Brown klagte mit so viel heiser vibrierender Empörung, dass auch diese Single ihre Hitserie für Atlantic Records fortsetzte, deren größter Umsatzbringer sie in den Fifties war.

Clyde McPhatter & The Drifters

Money Honey

1953 Atlantic

Auch hier war Atlantic-Chef Ahmet Ertegün zur Stelle: Als er hörte, dass der gefeierte Leadsänger von Billy Ward & The Dominos die Gruppe verlassen hatte, nahm er ihn gleich unter Vertrag – mit der Vorgabe, eine ähnliche Vokalgruppe zusammenzustellen. Clyde McPhatter fand seine Drifters in der Mount Lebanon Church in Harlem. Gospel und Doo-Wop waren die beiden Standbeine: Die erste Aufnahme „Money Honey“ stieg im Oktober 1953 in die R’n’B-Charts ein, kletterte auf Platz eins. Acht Jahre vor Gründung von Motown steckten die Drifters hier nicht nur musikalische Wegmarken, sondern lieferten auch die Steilvorlage für Motowns Bühnenchoreografie.

Muddy Waters

(I’m Your) Hoochie Coochie Man

1954 Chess

„Für mich ist, Hoochie Coochie Man‘ ein Eckstein in der Architektur des Rock’n’Roll“, sagt Muddy-Waters-Biograf Robert Gordon. „Weil er wie Rock’n’Roll klingt, wenn eine Rockband ihn covert, und wie Blues, wenn es eine Bluesband ist. Obwohl beide Gruppen exakt dasselbe spielen.“ Wer das berühmte, schlammstrotzende Start-Stop-Riff hört, denkt jedenfalls als erstes an diesen Song von Willie Dixon, der auf Muddy Waters‘ klassischen Chess-Records-Version auch am Bass zu hören ist.

The Chordettes

Mr. Sandman

1954 Cadence

Traumweich aufblitzende Stimmen, Pusteblumenharmonien, dazu klopft einer auf seinem Knie den Takt: Schon das Intro verströmt eine überraschende Psychedelia, die den im Text beschriebenen Zauber des Halbschlafs einfängt. Die vier Provinzmädchen, denen dieses Pop-Glanzstück gelang, sangen erst nur bei Barbershop-Shows, bis sie 1949 in der CBS-Radio-Talentsendung von Arthur Godfrey auftraten und Publikumslieblinge wurden. „Mr. Sandman“ war der Auftakt zum kuschligen, lang anhaltenden Ruhm.

Bill Haley & His Comets

Rock Around The Clock

1954 Decca

Historiker datieren den Beginn der Rock’n’Roll-Ära auf das Jahr 1951, als Jackie Brenston die erste Genre-typische Nummer „Rocket 88“ einspielte. Doch es sollten noch vier weitere Jahre vergehen, bis Rock’n’Roll im weißen US-Mittelstand ankam und seinen Siegeszug um die Welt antrat. Haley selbst hatte „Rocket 88“ noch 1951 gecovert, ohne nennenswerten Erfolg. Erst als vier Jahre später sein bereits veröffentlichtes „Rock Around The Clock“ im Vorspann des Hollywood-Films „The Blackboard Jungle“ eingesetzt wurde, brachen alle Dämme.

Marilyn Monroe

River Of No Return

1954 RCA Victor

Am Ende, nach Indianer- und Puma-attacken und einer Floßfahrt auf jenem tosenden „River Of No Return“ singt die Sängerin Kay ein letztes Lied im Saloon. Die Gemeinde lauschend um sich gescharrt, sitzt sie auf dem Klavier des Pianisten, der übrigens nicht erschossen wird. In wallendes Gold gehüllt, mit roten Pumps, den Blick ins Unendliche: „I lost my love on the river and forever my heart will yearn …“ Natürlich wirkte die Monroe im Western-Ambiente wie ein Fremdkörper, natürlich wurde sie verrissen – anmutiger aber war sie selten als in jenem musikalischen Moment.

Howlin‘ Wolf

Evil (Is Going On)

1954 Chess

Laut eigener Aussage war er der einzige Bluesmusiker, der sich selbst aus dem Mississippi-Delta nach Chicago chauffierte – im eigenen Auto und mit immerhin 4000 Dollar in der Tasche. Zeit seines Lebens ließ Chester Burnett von Exzessen die Finger, lebte in geordneten finanziellen Verhältnissen – und galt trotzdem als die Inkarnation des archaischen Blues-Shouters, dessen emotionale Naturgewalt vom weißen Publikum gerne mit wohligen Schauern goutiert wurde.

The Crew-Cuts

Earth Angel

1955 Mercury

Der Rock’n’Roll mag leise angedeutet sein in den Liedern der Crew Cuts, doch insgesamt ist das blitzsauberer weißer Doo-Wop-Vocal-Pop, wie ihn die Four Lads, Four Aces und Four Freshmen sangen. „Earth Angel“ von 1955 ist der zweite Hit der Kanadier, ein Sechsachtel mit der typischen 1-6-4-5-Begleitung, man schunkelt gleich mit. Durchgesetzt hat sich allerdings die Originalversion der Penguins, die im Übrigen mehr Soul hat.

Fats Domino

Ain’t It A Shame

1955 Imperial

In den Black-Charts schoss diese Single auf Platz eins, in den Pop-Charts schaffte sie „nur“ Platz zehn. Bis Pat Boone sich das Lied schnappte und größeren weißen Käuferschichten ans Herz legte. Sein Vorschlag, den Titel in „Isn’t That A Shame“ abzuwandeln, wurde glücklicherweise verworfen – und immer mehr Hörer interessierten sich plötzlich für das Original, nicht die gecroonte Fälschung. John Lennon erzählte später, dass „Ain’t It A Shame“ das erste Lied war, das er auf der Gitarre gelernt habe.

Bo Diddley

1955 Checker

Eigentlich heißt Bo Diddley Ellas Otha Bates. Er spielt auf einem Kastenbrett mit einer einzigen Saite. Das Otha verschwindet, Diddley kommt vom Anderen zu sich selbst. Und zu sechs Saiten. Am liebsten singt Diddley über Diddley und nimmt eine Kulturtechnik vorweg, die später große Rhetoriker adaptieren sollten: Rapper, von Kurtis Blow bis Snoop Dogg. No one sings über Diddley like Diddley. Bo Diddley, Hey Bo Diddley, Diddley Daddy, Turbo Diddley 2000 … Tur-Bo, der Daddy des repetitiven Beats.

Frankie Lymon & The Teenagers

Why Do Fools Fall In Love

1956 Gee

Schon als Teenager in Harlem musste Frankie Lymon in Supermärkten arbeiten, nahm auf der Straße erste Kontakte zu Kleinstdealern auf. Dann aber schien alles gut zu werden: Seine hohe Stimme berührte die Herzen, zudem hatte er ein Händchen für Melodien, wie „Why Do Fools Fall In Love“ bewies. Der Trick – der Kontrast zwischen Bass-Intro und glockenklarer Sopran-Melodie – wurde bald zum Standard für unzählige Vocal-Songs. Lymon dagegen taumelte schon bald in ein drogenvernebeltes Leben und starb 1967 an einer Überdosis.

Gene Vincent & His Blue Caps

Be-Bop-A-Lula

1956 Capitol

Diese Jungs waren 1956 ein heißer Scheiß, ganz böse Jungs, die die Moralwächter auf den Plan riefen. Der Rock’n’Roll erschien am Horizont, und mit ihm der freizügige Sex in der populären Musik, das Lotterleben, die jungen Wilden. Vincent hatte keinen zweiten großen Hit, doch „Be-Bop-A-Lula“ machte ihn unsterblich. Der laszive Swing, die stechenden Gitarreneinwürfe von Cliff Gallup, Vincents rolliger Vortrag, das war bestimmt eine Provokation. I don’t mean maybe.

Carl Perkins

Blue Suede Shoes

1956 Sun

Kleiner Schritt für Carl Perkins, großer Schritt für die Emanzipation des Mannes. Frauen hatten High Heels und Federboa, Nylons und Bikini. Männer? Hatten Uniform. Bis eine unscheinbare Rockabilly-Type aus Tiptonville, Tennessee auf die Idee kam, den blauen Velourlederschuh zum Männerfetisch zu machen. In der Landsberger Kaserne hatte Johnny Cashs Vorgesetzter immer gewarnt: „Just don’t step on my blue suede shoes!“ Cash erzählte Perkins die Story. Dem fiel prompt ein Typ auf, der versuchte, seine Freundin beim Tanzen auf Distanz zu halten. Wegen der Schuhe.

Johnnie Ray

Just Walkin‘ In The Rain

1956 Columbia

Er klatschte, weinte, warf sich zu Boden, stotterte, schluchzte und zuckte: Johnny Ray sang seine Lieder nicht, er performte sie. Sein erfolgreichstes Stück war dieses Cover eines Prisonaires-Songs. Die Band trug ihren Namen aus gutem Grund. Johnny Bragg schrieb den Song, als er mit dem Mitinsassen Robert Riley bei Regen über den Hof des Tennessee State Penitentiary lief. „Here we are just walkin‘ in the rain, and wond’ring what the girls are doing“, sinnierte Bragg (der wegen Vergewaltigung saß) – und Riley meinte, das sei ein hervorragender Anfang für einen Song.

Roy Orbison

Ooby Dooby

1956 Sun

Johnny Cash hatte dem jungen Orbison und seiner Band The Teen Kings nach einer gemeinsamen Radio-Performance empfohlen, es mal bei Sun Records zu versuchen. Labelchef Sam Phillips reagierte verärgert – „Johnny Cash doesn’t run my record company!“ -, lieh den Teen Kings aber trotzdem sein Ohr und fand Gefallen an einem Stück, das die Band in wenigen Minuten auf dem Dach des Hauses einer Studentenverbindung im texanischen Denton geschrieben hatte: „Ooby Dooby“. Auch wenn Orbisons Gesang eigentlich zu hoch war für Rockabilly und er eher bei Balladen glänzte, wurde daraus ein kleiner Hit.

The Johnny Otis Show

Willie And The Hand Jive

1956 Capitol

Händeschütteln als Tanz, angeblich in London erfunden, weil in den vollen Clubs kein Platz war, um Beine zu schwingen. Der Hand-Jive-Song wurde zum bekanntesten Showcase eines frühen Rhythm’n’Blues-Kulturmenschen: Der schnurrbärtige Lächler Johnny Otis war vom Swing zum Beat übergetreten, hatte auch als Produzent, Labelchef und DJ seinen Riecher bewiesen und arbeitete als TV-Host daran, die schwarze Musik in den Ohren der US-Vorstädter nach smoothem Entertainment klingen zu lassen.

LaVern Baker

Jim Dandy

1956 Atlantic

Mit den komplexen Rollen, die afro-amerikanische Künstler in den 50ern zu spielen hatten, kannte sich die resolute Sängerin aus Chicago bestens aus. Wenn sie in den Clubs den Blues gab, nannte sie sich Little Miss Sharecropper, bei poppigeren Anlässen Bea Baker. Dass die phänomenalen frühen Rock’n’Roll-Singles wie „Jim Dandy“ von der weißen Georgia Gibbs gecovert und besser verkauft wurden, wollte sie dagegen nicht hinnehmen: Sie klagte auf Copyrightverletzung und schrieb ihrem Kongressabgeordneten. Wenn die Legende stimmt, bekam sie als Antwort nur ein Geschenkpaket.

Johnny Cash

I Walk The Line

1956 Sun

In 20 Minuten will Cash seinen ersten Nummer-eins-Hit geschrieben haben. Der Text sei nur so aus ihm herausgesprudelt. Und zeigt den Mann der Widersprüche. Er ist frisch verheiratet, will auf dem Pfad der Tugend bleiben: „Because you’re mine, I walk the line.“ Wie ein Analytiker seiner selbst verspricht er, ein Auge auf sich zu werfen, als könnte da jederzeit was aus dem Ruder laufen. Kann ja auch, vor den Versuchungen des Lebens ist ein fahrender Sänger nie gefeit. „I find it very easy to be true“, das klingt nach Autosuggestion. Bald trifft er June Carter, und aus ist’s mit der Treue.

Little Richard

Ready Teddy

1956 Specialty

Die Predigt hätte man gern gehört: Angeblich inspirierte ein Kirchgang den Songschreiber Johnny Marascalco zu diesem Zungenbrecher, den er dem Produzenten Robert Blackwell im Doppelpack mit „Rip It Up“ verkaufte. „Teddy“ wurde die B-Seite, aber noch heute springt einem dieses Stück ins Gesicht wie ein Kater mit Stromschlag. Die aggressive, narzisstische Ungeduld des genialen, damals 20-jährigen Richard Penniman alias Little Richard ist bis heute unübertroffen.

Elvis Presley

Hound Dog

1956 RCA Victor

Mit Rock’n’Roll hatten Jerry Leiber und Mike Stoller wenig am Hut, als sie 1952 den anzüglichen Rhythm’n’Blues-Song „Hound Dog“ schrieben und von Big Mama Thornton singen ließen. Danach machte der Song die Runde, wurde vor allem von diversen Countrybands gespielt – zur Gaudi der zumeist männlichen Fans. Ein anderes Gesicht bekam der Song erst in der Interpretation von Freddie Bell & The Bellboys: rasanter, pulsierender, weniger vulgär. Elvis hörte das Stück in dieser Version bei seinem ersten Aufenthalt in Las Vegas – der Rest ist Geschichte.

Johnny Burnette

Lonesome Train (On A Lonesome Track)

1956 Coral

Zwei Brüder, Ex-Boxer und Lastkahnarbeiter am Mississippi, tun sich mit einem ehemaligen Sportsfreund zusammen, fahren nach New York, nehmen an einem TV-Talentwettbewerb teil, gewinnen tatsächlich einen Plattenvertrag und veröffentlichen einige der bis heute schärfsten und hiebfestesten Rockabilly-Tracks: In Kurzversion klingt die Geschichte von Johnny Burnettes Rock’n’Roll Trio wie ein Showmärchen. Der Erfolg hielt sich in Grenzen, dafür ist der peitschende, heulende „Lonesome Train“ noch heute eine glutheiße Maschine.

Guy Mitchell

Singing The Blues

1956 Columbia

Albert Cernik hatte eine Karriere als Kinderstar hinter sich, als ihn Mitch Miller, A&R-Chef von Columbia, 1950 unter Vertrag nahm – und als erstes auf einem wohlklingenden Künstlernamen insistierte: „My name is Michell, and you seem to be a nice guy“.Auch musikalisch war Guy Mitchell nicht unbedingt aus härterem Holz geschnitzt: Er zählte zu den gefälligen Prä-Rock’n’Roll-Sängern, gab seinem Pop-Futter aber zumindest einen moderaten Beat. „Singing The Blues“ war sein größter Hit und stand neun Wochen lang auf Platz eins der amerikanischen Charts. Die erste Textzeile des Songs nutzten The Clash als Ausklang von „London Calling“: „I never felt so much a-like, a-like …“

Jimmy Reed

Honest I Do

1957 Vee Jay

Als er Anfang der 50er-Jahre bei Chess vorspielte, wurde er abgelehnt – was die Chess-Brüder ihr Leben lang wurmen sollte. Denn Reed, der kurz darauf beim Vee-Jay-Label unter Vertrag kam, erwies sich in den 50er- und 60er- Jahren als der kommerziell potenteste aller schwarzen Bluesmusiker – dabei hatte er weder eine markante Stimme noch eine spektakuläre Gitarrentechnik. Das seidige „Honest I Do“ belegte 1957 trotzdem Platz vier der amerikanischen R’n’B-Charts und fand sich sieben Jahre später auf dem Debütalbum der Rolling Stones wieder.

Dale Hawkins

Susie Q

1957 Checker

Hawkins‘ einziger großer Erfolg verhalf ein paar Jahre später einer anderen Band zu einem veritablen Hit: Creedence Clearwater Revival nahmen „Susy Q“ elf Jahre nach der Erstveröffentlichung in einer Neun-Minuten-Fassung auf. Bei CCR ein psychedelischer Blues-Jam, hatte Dale mit seiner Version einen aufregenden Rock’n’Rockabilly-Songs geschrieben – er wippt sich durch die Blues-Licks, es swingt trotz des mittleren Tempos. Das monotone Lied funktioniert wie eine Leinwand, auf der andere Künstler ganz leicht ihre eigenen Farben aufbringen konnten.

Everly Brothers

Bye Bye Love

1957 Cadence

Singen hatten sie erst bei ihren Eltern, dann in der „Everly Family Show“ im Radio gelernt. Musikmachen war der vorgezeichnete Weg für Don und Phil Everly gewesen, denen nach dem Umzug nach Nashville eine der größten Karrieren der Vor-Beatles-Ära gelang. „Bye Bye Love“ war die zweite Single, sie brachte den Durchbruch. Das Lied überbrückte die Gräben zwischen Country, Rock’n’Roll und Pop, ein damals unerhörter Vorgang. Wir hören heute keinen Grabenkampf, sondern einen fluffigen Singalong mit wonnigem, nur leicht traurigem Jungs-Charme.

Sam Cooke

You Send Me

1957 Keen

Auch Sam Cooke hat in der Kirche gelernt. 1957 sang er zum ersten Mal das Loblied auf eine irdische Gestalt: Mit „You Send Me“ legte Sam Cooke den Grundstein der Sweet Soul Music. Seelenmusik, die um die Freuden des Körpers weiß und sie preist. Allein das waidwunde „I know, I know, I know“, wenn Cookes gospelgeschultes Wehklagen umschlägt in Begehren: Keiner verführt so mit seiner Stimme, Marvin Gaye vielleicht noch. Wie dieser nimmt der Gospel-turned-Ladiesman Cooke kein gutes Ende. Am 1964 wird er in Los Angeles erschossen, vermutliches Motiv: Eifersucht.

Lloyd Price

Just Because

1957 ABC Paramount

Schon mit 19 traf der Junge aus New Orleans derart ins Schwarze, dass es bei anderen fürs ganze Leben gereicht hätte: Sein „Lawdy Miss Clawdy“ wurde ein R’n’B-Smash, den später auch Elvis und Little Richard sangen. Den Traum vom großen, genreübergreifenden Pophit wollte er sich trotzdem noch erfüllen. Seine Shouter-Ballade „Just Because“, raspelnd gesungen, sanft schunkelnd und von mildtätigen Bläsern getröstet, wurde – obwohl zuerst auf Prices eigenem Label KRC regional verkauft – von ABC-Paramount in den Vertrieb genommen. „Stagger Lee“ wurde dann der größere Erfolg, aber bei „Just Because“ stellen sich eindeutig mehr Nackenhaare auf.

Patsy Cline

Walkin‘ After Midnight

1957 Decca

Wie die Pedal Steel in Patsy Clines erstem Hit jammert! Es hat in der Zeit ja schon Lieder gegeben, die einem heute gar nicht mehr ganz so old timey vorkommen, doch Clines nächtliche Wanderung auf der Suche nach dem Liebsten klingt wie ein Western von gestern, so schön, so unverdorben, so förmlich. Der von Alan Block und Donn Hecht komponierte Song schaffte es 1957 bis auf Platz 2 der Billboard-Country-Charts, aber auch das Pop-Publikum war nicht abgeneigt. In einer vier Jahre später für Decca aufgenommenen Version fehlt die Steel- Guitar, ein paar Back-up-Sänger machen im Hintergrund Stimmung, zum Schluss wird der Refrain transponiert. Schon klingt es moderner.

Richard Berry and The Pharaohs

Louie Louie

1957 Flip

Gegen die viel bekanntere Garagenpunk-Version der Kingsmen, ganz zu schweigen von den 10.000 garagigeren Fortsetzungen, wirkt die leicht schwindsüchtig doowoppende Orginal- aufnahme von „Louie Louie“ merkwürdig testosterongebremst, was an der calypsoiden Grundstimmung der Version liegen könnte. Oder kann es sein, dass eine Aufnahmespur fehlt? Genial primitiv wie er ist, schafft es „Louie“ jedenfalls ins Repertoire jeder Amateurband, vom AAA Club bis Zru Vogue, sogar von den Angry Samoans bis Frank Zappa, so registriert es eine der vielen Louie-Websites. 1983 veranstaltet das kalifornische KFJC Radio dann den „Maximum Louie Louie“-Marathon: 63 Stunden nonstop Louie.

Jerry Lee Lewis

Whole Lotta Shakin‘ Goin‘ On

1957 Sun

Der Song, der schon seit geraumer Zeit in Lewis‘ Repertoire gewesen war, diente erst nur als Lückenbüßer während einer unbefriedigenden Session. Lewis selbst war schon nach dem ersten Take überzeugt, einen Hit auf der Hand zu haben, doch Sun-Records-Besitzer Sam Phillips hatte Zweifel, weil er den Text als „zu riskant“ empfand. Und in der Tat: Als die Single erschien, weigerten sich die meisten Radiostationen, Jerry Lees sexuelle Anzüglichkeiten in den Äther zu schicken. Erst nach einem Fernsehauftritt in der „Steve Allen Show“ platzte der Knoten: „Whole Lotta Shakin'“ stürmte die Pop-, Country- und R&B-Charts, verkaufte sechs Millionen Singles weltweit.

Danny & The Juniors

At The Hop

1957 ABC Paramount

Wenn man so will, ein früher Mash- up: Das Piano im Intro stammt aus „Whole Lotta Shakin‘ Goin‘ On“, wurde von Bandcoach Artie Singer in die Gesangsharmonien integriert. Die vier Doo-Woop-Boys aus Philadelphia hatten ihr Stück ursprünglich „Do The Bop“ genannt, was Dick Clark von der TV-Show „American Bandstand“ weniger gut gefiel. Er votierte für „At The Hop“, benannt nach dem Record Hop, den informellen Tanzabenden an US-Highschools. „Do the dance sensation/That is sweepin‘ the nation“ – über 40 Jahre später nahmen die Britpopper Spearmint in „Sweeping The Nation“ darauf Bezug.

Buddy Holly & The Crickets

Not Fade Away

1957 Brunswick

Crickets-Drummer Jerry Allison behauptete später, einige Ideen dieses Buddy-Holly-Norman-Petty-Songs stammten von ihm – die Credits wurden aber nie in seinem Sinn geändert. Auf jeden Fall ist Allison für den markanten Bo-Diddley-Beat verantwortlich. Viel mehr brauchte Holly auch nicht, um das Stück unsterblich zu machen und Dutzende von Coverversionen zu initiieren, unter anderem von den Rolling Stones, denen sicher die Zeile „My Love is bigger than a Cadillac“ besonders gefiel.

Duane Eddy

Cannonball

1958 Jamie

Duane Eddy hatte gemeinsam mit Lee Hazelwood – damals noch ein DJ in Oklahoma – seinen Sound definiert: eine dunkle Twang-Gitarrenlinie mit ordentlich Tremolo, ein Country-Backbeat, ein Saxophon als Gegenspieler. Mit „Rebel Rouser“ war 1958 eigentlich schon alles gesagt, doch noch im selben Jahr folgte u. a. „Cannonball“, ein Lied mit hohem Tempo und vielen jener Elemente, die später im Surf wieder auftauchten. Raunchy Rock’n’Roll, der die elektrische Gitarre in der Popmusik etablieren half.

Don Gibson

Oh Lonesome Me

1958 RCA Victor

Er hatte sich als Songschreiber schon einen Namen gemacht, als Chet Atkins ihn 1957 zu RCA holte, um in den kommenden Jahren auch als sein Produzent zu fungieren. Der Country-Pop, den die beiden in Nashville kreierten, sollte schon bald reiche Früchte tragen: „Oh Lonesome Me“ belegte 1958 sieben Wochen lang Platz eins der Country-Charts, brachte es in den Pop-Charts bis auf Platz sieben. Ketty Wells nahm umgehend ein Cover auf, und vier Jahre ließ sich Ray Charles bei seiner ersten Country-Expedition ebenfalls von dem Song inspirieren.

Chuck Berry

Johnny B. Goode

1958 Chess

Von der ganz großen Rockshow bis zum Top-40-Fest im Bierzelt: Überall hört man Berrys Rock’n’Roll-Blaupause. In zweieinhalb Minuten konzentrierte er Form, Inhalt und Energie des ganzen Genres. Sicher ist das Lied heute vor allem ein Klischee und nicht so gut gealtert wie manch anderer Song der Zeit. Doch das Riff, das Solo und der treibende Chorus stehen am Fundament dessen, was danach kam. Dasselbe gilt für die Lyrik: Der arme Junge vom Land, der es mit seiner Gitarre zu etwas bringen will, ist amerikanischer Traum und Rock’n’Roll-Mythologie.

Link Wray & His Ray-Men

Rumble

1958 Cadence

Bei guitarteacher.com zeigt ein patenter Russell-Crowe-Lookalike, wie kinderleicht man „Rumble“ auf der Gitarre lernen kann. Aber Kunst kommt nicht von Können, und der Gitarrenlehrer kann bis ans Ende seiner Tage üben: den bösen, hinterhältigen, sexaufgeladenen Sound wird er nie hinbekommen. „Ohne Link Wray und, Rumble‘ hätte ich nie eine Gitarre in die Hand genommen“, sagt Pete Towns-hend. Erregend ist „Rumble“ noch immer, vielleicht weil die Worte fehlen.

Eddie Cochran

Summertime Blues

1958 Liberty

In Christopher Petits Roadmovie „Radio On“ von 1979 kommen die herumreisenden Protagonisten durch Chittenham, Wiltshire. „An dieser Kreuzung ist Eddie Cochran 1960 gestorben“, erzählt der Held des Films, seinem Freund. „Und weißt du, wer der Verkehrspolizist war? Dave Dee!“ Der brachte sich auf der beschlagnahmten Gretsch des toten Eddie das Gitarrespielen bei und hatte später mit Dozy, Beaky, Mick & Tich ein paar Hits, die es mit dem „Summertime Blues“ allerdings nicht ganz aufnehmen können.

Cliff Richard & The Drifters

Move It

1958 Columbia

Aus Amerika kamen die frühen Aufnahmen von Elvis oder Chuck Berry auf die Insel, die UK-Kids wurden kalt erwischt: Der Rock’n’Roll infizierte eine Generation, die keine Lust auf den Anti-Amerikanismus hatte, der Ende der 50er ihr kulturelles Leben dominierte. „Move It“ war ein Kommentar zur Lage: Rock’n’Roll sei die Zukunft, vorbei die Zeit von Ballett und Calypso. Drifters-Gitarrist Ian Samwell hatte den Song geschrieben – in einem Londoner Doppeldeckerbus.

Ricky Nelson

Lonesome Town

1958 Imperial

Man muss kein alter, von Drogen und Krankheit gezeichneter Mann sein, um mit einem der traurigsten Lieder aller Zeiten Erfolg zu haben: Der 18-jährige Ricky Nelson brauchte dafür nur seine Gitarre und eine Stimme, die sensibel und desillusioniert klang. Er berichtet von einem Ort, wo sich Liebende treffen, um ihren Schmerz zu beweinen: Lonesome Town ist ein Ort der Verdammnis, ein Guantanamo der Enttäuschten. Der junge Mann weiß offenbar genau, wovon er da singt.

Frank Sinatra

One For My Baby (And One More For The Road)

1958 Capitol

Natürlich ist der Song von Harold Arlen und Johnny Mercer einer der großen amerikanischen Klassiker, Fred Astaire, Billie Holiday und Ella Fitzgerald nahmen sich unter anderem seiner an, später Iggy Pop. Popularisiert wurde der Klagegesang indes von Frank Sinatra. Der Schlagersänger erfand sich damals aus der Asche seiner ersten Erfolge heraus neu als konzeptioneller Album-Künstler. Auf „Frank Sinatra Sings For Only The Lonely“ findet sich die beste unter den zahlreichen Versionen, die Sinatra über die Jahre von „One For My Baby“ einspielte.

Jackie Wilson

I’ll Be Satisfied

1959 Brunswick

Mr. Excitement gilt den Chronisten als einer der aufregendsten Showmen der 50er-Jahre und als Wegbereiter des Soul. Kein schlechtes Erbe! Wilson hatte es trotzdem nicht immer leicht mit dem Musikgeschäft, musste die eine oder andere Dürrephase überstehen. „I’ll Be Satisfied“ ist ein vitaler Boogie, mithin aus der ersten Phase dieser Karriere. Wilson brilliert im hohen Register und will doch nur, dass seine Liebste einmal am Tag anruft. Das Playback ist stramm, das Lied marschierte in die Top 10 der US-R’n’B-Charts.

Frankie Ford

Sea Cruise

1959 Ace

Huey „Piano“ Smith war nicht erbaut, als das Ace-Label ein 19-jähriges Nachwuchstalent namens Frankie Ford auftrieb und ihn neue Vocals über eine existierende Aufnahme von Smith einsingen ließ. Mit dem Resultat, dass ein Klassiker des R’n’B aus New Orleans nun mit einem weißen Sänger die Charts aufrollte: 1959 verkaufte die Single über eine Million Exemplare. Ford verschwand schnell wieder in der Versenkung, das Original dagegen entwickelte ein überraschendes Eigenleben: In hippen Londoner Clubs der Seventies stand „Sea Cruise“ auf den Playlisten vieler DJs.

Jacques Brel

Ne Me Quitte Pas

1959 Philips

Brel schrieb den Song, nachdem er seine langjährige Geliebte Suzanne Gabriello verlassen hatte. Aber spielt das eine Rolle? Natürlich ist der Mann ein Schuft, der in diesem Chanson alle Register zieht, der sich im Staub wälzt und unaufhörlich bettelt: „Geh nicht fort!“ Am Anfang schildert er vor allem sein Leid in den poetischsten Grautönen, dann fängt er an zu träumen, heftig und leidenschaftlich, wie im Fieber. Dabei entstehen leuchtende Bilder und wundervolle Versprechungen, deren poetische Schönheit sich kaum übersetzen lässt.

Ronnie Hawkins & The Hawks

Mary Lou

1959 Roulette

Dafür, dass er The Band als Begleitgruppe hochpäppelte, kennen ihn die meisten. Die Karriere des Hawk war ein Auf und Ab: Ein Jobangebot von Sun Records, für das er Ende der 50er- Jahre von Arkansas nach Memphis zog, platzte noch vor seiner Ankunft. Dann ließ er sich im popkulturell kaum erschlossene Kanada nieder – nicht ohne vorher noch einen Hit in den USA zu landen: „Mary Lou“, gecovert vom schwarzen R’n’B-Säger Young Jessie, das Doo-Wop-Rock-Klagelied über eine ausbeuterische Goldschürferin. Dion And The Belmonts

Dion And The Belmonts

A Teenager In Love

1959 RCA Victor

Mit „Runaround Sue“ sollte Dion DiMucci später auch als Songschreiber glänzen, doch für „A Teenager In Love“ hatte das Laurie-Label dem 19-Jährigen lieber Songschreiber aus dem Brill Building zur Seite gestellt: Doc Pomus und Mort Shuman setzten der Zielgruppe ein Denkmal und katapultierten Dion in die Oberliga der Teen-Idole. Auch wenn man ihm das Image des toughen New Yorker Streetkids anheften wollte, war der Doo-Wop der Belmonts inmitten der Rock’n’Roll-Offensive eine Oase des Wohlklangs.

Johnny Kidd

Please Don’t Touch

1959 HMV

Der Mann mit dem Novelty-Piratenlook und dem Messer im Mund, der Londonder Skiffle-Musiker Frederick Heath, wollte hauptamtlich Songwriter werden, hatte „Please Don’t Touch“ schon an die (erfolglosen) Bachelors ver- kauft. Dass er selbst der beste Sänger für den nervösen, atemlosen Rocksong war, zeigte sich, als er zur Debütsession mit seiner neuen Band The Pirates in den Abbey-Road-Studios stand. „Shakin‘ All Over“ wurde bekannter, aber dieser Track klingt noch mehr nach Säbelrasseln und Lustschütteln.

Ray Charles

What’d I Say

1959 Atlantic

„What’d I Say“ war ein Zufall. Charles musste am Ende eines Konzerts im Dezember 1958 improvisieren, weil er alle einstudierten Songs aufgebraucht hatte. Er begann am E-Piano, streute ein paar unzusammenhängende Verse ein, merkte, wie das Publikum mitging – und nahm im Februar 1959 eine definitive Version auf. Manchen Radiostationen war die elektrisierende Mischung aus Soul, R’n’B und Gospel zu sexy, ein Hit wurde sie trotzdem.

Barrett Strong

Money

1959 Tamla Motown

Eben hatte Berry Gordy „Hitsville U.S.A.“ eröffnet, die Zentrale seines Motown-Labels. Doch bisweilen zweifelte der Impresario an sich – so auch an jenem Tag, als er am Klavier seiner Sorge mit einem simplen Wunsch Ausdruck verlieh: „Money, that’s what I want“. Seine zufällig im Raum stehende Sekretärin Janie Bradford ergänzte spontan: „Your love gives me such a thrill, but your love don’t pay my bills, gimme some money!“. Die Geburt des ersten großen Motown-Hits.

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