Die Stimme aus dem Off

Der kleine Bruder singt wieder: Fritz Kalkbrenner macht elektronische Tanzmusik, die den Soul der Siebzigerjahre absorbiert und weiterträgt

Durch das offene Fenster dringt das Prasseln des Regens. Gekreische von Teenagern. Dann ein Türenknall. So klingt der Soundtrack zum Untergang des Fernsehens. Fritz Kalkbrenner bleibt gelassen. „Die Grafikjungs unter uns kleben immer so gedruckte Din-A4-Seiten, auf denen ‚Geht zur Schule!‘ steht.“ Er raucht mit so viel Hingabe, dass das Ausatmen des Rauchs wie ein leiser Orgelton erklingt. Im Hinterhof seiner Plattenfirma in Berlin Kreuzberg wird wie immer „Berlin – Tag & Nacht“ gedreht. Vor dem Drehort campieren Zahnspangenmädels, die für einen Blick auf die Darsteller wohl sehr weit gehen würden. Die Sendung bereitet vielen Fernsehproduzenten sehr kurze Nächte, weil sie fast nichts kostet und wahnsinnig erfolgreich ist. Ähnlich wie bei allen anderen Pseudo-Reality-Serien spielen hier Assis Assis. Teenager finden das gut. Fritz Kalkbrenner, Jahrgang 81, eher nicht so.

„Das ist grob fahrlässig. 16-Jährige, die noch nicht so medienerfahren sind, können zwischen dem Konstrukt und der Realität nicht unterscheiden. Die halten die Darsteller für echte Protagonisten“, sagt er. Fritz trägt ein T-Shirt, auf dem in weißer Schrift „Detroit“ und noch irgendwas steht. Detroit, eine der Wiegen des Techno. Gerade spricht aber nicht der Technomusiker aus ihm, sondern der ehemalige Fernsehjournalist.

MDR, RBB, Deutsche Welle – Fritz, der jüngere Bruder von Paul, war TV-Autor. Irgendwie seltsam, wie sich die Wege der beiden ähneln. Paul, einst Cutter, also der, der Beiträge schneidet, beschließt um die Jahrtausendwende, nur noch DJ zu sein. Fritz bleibt bis 2008 beim Fernsehen. Er verfasst Beiträge über Jeff Cascaro, Wir sind Helden. Manchmal gibt er auch die Off-Stimme. Wenn er spricht, kommt einem diese weiche Stimme bekannt vor. Und dann überlegt man und stellt fest, dass man sie schon länger als vier Jahre kennt.

„In the nighttime when the world is at its rest/ You will find me in the place I know the best“: Zeilen, die auf einmal jeder mitsingen konnte, ohne zu wissen, wer da überhaupt singt. Es sind die ersten Worte von „Sky & Sand“, dem Hit aus „Berlin Calling“, einem Film, der seinen Hauptdarsteller und Soundtrack-Komponisten Paul Kalkbrenner auch über die Technoclubs hinaus berühmt gemacht hat. Die Stimme, die so vertraut klingt, gehört seinem Bruder Fritz. 122 Wochen lang hielt sich der Song in den deutschen Charts – länger als „Last Christmas“ und „Ein Stern (… der deinen Namen trägt)“, länger als jede andere Single zuvor.

Auf seiner mittlerweile zweiten Platte, „Sick Travellin'“, singt der kleine Kalkbrenner wieder. In seinen Stücken scheinen die großen Soulstimmen der 70er-Jahre noch einmal kräftig nachzuhallen, Bill Withers etwa oder Bobby Womack, und das ist schön, weil solche Stimmen in der elektronischen Musik so selten sind. Die Berliner Ein-Mann-Band Apparat hat es vorgemacht: richtiger Bandsound und trotzdem elektronisch. Zugegeben, eher sphärisch als tanzbar. So weit will Fritz nicht gehen. „Das wäre ein zu großer Schritt. Ich mache Tanzmusik. Das muss richtig in die Knie gehen.“ Voller Überzeugung sagt er „Tanzmusik“, und zündet sich seine bestimmt fünfte Zigarette an.

Aber auch für Tanzmusik muss man hart arbeiten. So mietet sich Kalkbrenner in die Blackbox Studios ein. Das sind Riesen-Hallen, in denen sich auch Rammstein oder die Beatsteaks auf ihre Tourneen vorbereiten. Fritz Kalkbrenner wird demnächst ganz alleine auf der Bühne stehen. Das Licht seines Computers wird ihn anstrahlen. Die Tontechniker werden ihm verschiedene Mikrofone zum Testen geben. Er möchte zum ersten Mal richtig live spielen. Also nicht nur Beats und Tonspuren neu zusammenmischen, sondern auch singen. Und er will alles genau analysieren, bevor er auf Tour geht. „Ist das Mikro in Ordnung? Kommt das Monitoring gut über die Wedges, oder brauch ich Ohrstöpsel? Es wird einfach durchexerziert und dann gucken wir mal, wie sich das anhört.“ Und dann geht es wieder los mit dem „Sick Travellin'“.

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