Die Thronfolger

Mit nur zwei Singles wurden Franz Ferdinand im Pop-Königreich zur Band der Stunde. Mittlerweile ist ihr lang erwartetes Debütalbum erschienen und übertrifft sogar noch alle Erwartungen. Ein modernes Popmärchen.

Die vier Jungs sehen nicht mehr ganz frisch aus, als sie sich nach einem anstrengenden Tag voller Interviews und Fotosessions über das Sandwich-Büffet eines in einem Hinterhof versteckten Hotels am Berliner Ostbahnhof hermachen. Die letzte Nacht verbrachten sie im Flugzeug von New York nach London, und dann ging’s direkt weiter. Der modisch-schmale Schnauzbart von Schlagzeuger Paul Thomson ist in einem Dreitagebart verschwunden. Bassist und Stoiker Bob Hardy friert vor Müdigkeit und legt weder Jacke noch Schal ab, der auf der Bühne recht agile Gitarrist Nick McCarthy hält sich an seiner Limo fest, und nur Alex, der Sänger und – wie es scheint – Sprecher von Franz Ferdinand, kommt einem gleich einnehmend entgegen. Doch die Aufregung der letzten Wochen ist auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen, „Welcher Tag ist heute? Donnerstag? Der wievielte?“ Bob holt seinen Terminkalender aus der Tasche. „Heute ist der 22.Vor zwei Wochen waren wir in Amsterdam bei einem Festival, wir haben dann noch Fernsehshows gemacht, waren auch bei ,Top of the Pops‘, dann sind wir nach Belgien, dann wieder nach Holland, dann nach New York und jetzt sind wir… in Berlin.“ Am nächsten Tag geht’s schon wieder zu „Top of the Pops“.

„Das ist wirklich die seltsamste Sache, die wir bisher gemacht haben“, amüsiert sich Alex über den ersten Auftritt bei der britischen Chartsshow. „Aber es ist wichtig, dass wir da hingehen. Momentan ist das musikalische Klima in Großbritannien sehr spannungsgeladen. Es gibt auf der einen Seite den fürchterlichen künstlichen Pop und auf der anderen die Independent-Bands, denen eingängige Melodien vielleicht sogar peinlich sind. Früher gab es The Smiths, die waren stolz darauf, bei ,Rough Trade‘ unter Vertrag zu sein und ihr eigenes Ding durchzuziehen, und trotzdem hatten sie auch keine Angst, zwischen all den Plastik-Acts bei ,Top of the Pops‘ aufzutreten. Genauso die Specials, die Stone Roses oder auch Pulp. All these great moments of independent music in the UK. Da müssen wir auch dabei sein.“

Alex sagt das so selbstverständlich, als sei es die leichteste Sache der Welt, das Angebot zu bekommen, im Pop-Fernsehen zu spielen. Dabei haben Franz Ferdinand gerade mal zwei Singles veröffentlicht. Schon die erste vom September letzten Jahres, „Darts Of Pleasure“, mischte die britischen Presse auf. Die zweite, „Take Me Out“, schaffte es Mitte Januar dann schon auf Platz drei der Single-Charts.

Gab es einen Zeitpunkt, an dem sich dieser Erfolg abzeichnete? Wann begann die Aufregung um Franz Ferdinand?

Alex: „Ich glaube eigentlich, schon mit unserem ersten Gig. Und dann kamen bei jedem Konzert immer mehr Leute dazu, die uns mochten. Das war für uns schon sehr aufregend.“

Nick: „Dann unterschrieben wir den Plattenvertrag. Dann reisen, Leute treffen, mit Belle & Sebastian auf Tour gehen. Und dann das erste Mal im Studio. Es wurde immer toller.“

Doch wie kam es eigentlich dazu, dass sich bei einem Gig in Glasgow gerüchteweise 40 interessierte Plattenfirmen auf die Gästeliste setzen ließen? Die UK-Konzerte nach der ersten Single-Veröffentlichung binnen Minuten ausverkauft waren? Die Presse vom ersten Franz Ferdinand-Augenblick an euphorisiert war? Was machte aus diesen vier blassen Jungs mit Gitarren einen pophistorischen Moment?

Um an einem kleinen Kapitel der Popgeschichte mitzuschreiben, muss man na- türlich erst mal – rein pragmatisch gesehen – selbst eine Geschichte haben. In den fünf Monaten von der ersten Single „Darts Of Pleasure“, bis zur Albumveröffentlichung musste die britische Presse bei Laune gehalten werden. Eine Aufgabe, die Franz Ferdinand ohne Probleme bewältigten. Denn sie wissen, wie man Geschichten erzählt und wieviel man preisgeben darf, wie man Unscharfen und Mehrdeutigkeiten einbaut, um die Mythenbildung in Gang zu bringen. Jeder Artikel, der in den vergangenen Monaten von dieser Band berichtete, fügte der Geschichte von Franz Ferdinand ein weiteres Detail hinzu, schmückte einen bestimmten Aspekt deutlicher aus als die vorhergehenden, fast wie in Zeiten, als Legenden noch mündlich überliefert wurden, als noch niemand von Produktionsbedingungen im Musikbusiness und Entzauberung redete, als die wahre Geschichte nichts, der Mythos alles war.

Die Story von Franz Ferdinand, die sich in den letzten Wochen in den britischen Medien fast wie von selbst erzählte, erscheint lebendig, authentisch und unmittelbar. Hier ist Pop wieder hedonistisch, subversiv, spontan, ehrlich, aber zugleich fantasievoll und originell, proletarisch, aber zugleich stylish und befreiend. Immer wieder hört man – meist von Leuten, die zu alt sind oder sich für zu gescheit halten, um sich von der Illusionsmaschine Pop blenden zu lassen -, Pop sei langweilig geworden, es fehlten die Geschichten und Charaktere. Doch hier nun ist eine Band, die all das hat und noch mehr – Stil und ein fantastisches erstes Album nämlich. Also aufgepasst! Lauschen wir der Geschichte von Franz Ferdinand: Es war einmal…

…ein Bass

Alex Kapranos, Sohn eines griechischen Vaters und einer englischen Mutter, wuchs im englischen Sunderland auf und studierte Literatur in Glasgow. Eines Tages bekam er einen Bass geschenkt und fragte seinen Freund, den Kunststudenten Bob Hardy, mit dem er zusammen in einer Hotelküche Teller spült, ob er nicht Bass lernen und mit ihm eine Band gründen wolle. Hardy – mit der Malerei eh gerade etwas unzufrieden – hielt das für eine gute Idee.

…ein Schlagzeug

Bei einer Party in Glasgow wäre es beinahe zu einer Schlägerei gekommen: Ein ziemlich dreister Typ versuchte Alex seine Wodka-Flasche zu entreißen. Die beiden waren kurz davor, sich ordentlich zu schlagen, als Alex auf die Idee kam, den Störenfried zu fragen, ob er Schlagzeug spielen könne und in seiner Band mitspielen wolle. Und – wie es die Geschichte will – der Rabauke war begeistert Er hieß Nick McCarthy, war im bayrischen Bad Aibling aufgewachsen, war gerade erst nach Glasgow gezogen und auf der Suche nach neuen Freunden. Er konnte allerdings gar kein Schlagzeug spielen, hatte aber am Münchner Konservatorium klassischen Bass studiert. Als die ersten Proben mit Nick am Schlagzeug dementsprechend wenig erfolgversprechend verliefen, stieß Paul dazu, der als Aktmodell in der Kunsthochschule jobbte und mit Alex schon als Drummer in der zumindest in Glasgow legendären „Art-Wave“-Band Yummy für gespielt hatte. Nick wechselte dann zu Gitarre und Keyboards.

…eine Gitarrenband

Nick und Alex waren häufig im Glasgower Nachtleben unterwegs und teilten sich bald sogar ein Apartment. „Immer wenn wir zu Rockkonzerten gingen, fielen uns zwei Dinge auf“, erklärt Alex. „Erstens: Da waren kaum Mädchen, und die wenigen, die da waren, waren sehr seltsam. Das fanden wir ziemlich lächerlich, denn unser Freundeskreis bestand zu 50 Prozent aus Mädchen, warum sollten die nicht auch zu Konzerten gehen?“ Und zweitens? „Niemand hat getanzt! Die spielen da Musik, die hat einen Beat und alle stehen da blöd rum. Als wir dann selbst an Songs arbeiteten, war Dance-Musik daher ziemlich wichtig für uns, die Strukturen, die Technik, die Rhythmen. Nicht die Technologie, aber die Dynamik von Dance-Musik.“

So kam es schließlich im viel zitierten Presseinfo zu der Verkürzung, Franz Ferdinand wollten Musik machen, zu der Mädchen tanzen können. „Wir haben aber auch nichts gegen Jungs“, grinst Paul.

Das erste Konzert spielten sie in einem Schlafzimmer bei einer Vernissage der Kunsthochschule vor nicht mehr als 80 Leuten. „Das war ein ziemlicher rauer Sound“, erinnert sich Alex. „Wir hatten die schrottigste Anlage, die du dir vorstellen kannst. Es dürfte nicht sehr professionell geklungen haben, aber aufregend. Eine großartige Atmosphäre, sehr spontan, es passierte einfach. Und wir hatten nur vier Songs und spielten die wieder und wieder.“

…ein Erzherzog

Im Juni 1914 wurde der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand von Habsburg in Sarajewo vom serbischen Nationalisten Gavrilo Princip ermordet In ein paar Jahren solle niemand mehr an den Erzherzog denken, wenn man den Namen Franz Ferdinand höre, sondern nur noch an eine Band aus Glasgow, sagen die vier Helden unserer Geschichte.

„Es ging uns nicht darum, unserer Band einen kriegerischen Anstrich zu geben. Der Name Franz Ferdinand steht für einen Wendepunkt in der Geschichte- und ich finde, jede Band sollte diesen Gedanken des Umsturzes in sich tragen“, erklärt Alex mit hochgezogenen Augenbrauen. „Wir hatten bestimmte Kriterien für einen Bandnamen. Er sollte gut klingen – eine Alliteration haben, einen Rhythmus. Er sollte an einem bestimmten Zeitpunkt eine wichtige Bedeutung gehabt haben. Wir schauten gerade ein Pferderennen, als jemand den Namen Franz Ferdinand vorschlug. Da kündigte der Moderator ein Pferd mit dem Namen ,The Archduke‘ an und wir dachten: Okay. Dann soll es wohl so sein.“

…ein Schloss

Als sie nicht länger in Mädchenschlafzimmern spielen wollten, fanden Nick und Alex in Glasgow ein verwaistes „Co-Op“-Lagerhaus im Art-Deco-Stil. Sie zapften die städtischen Gas- und Stromleitungen an und machten daraus ihren eigenen Qub, wo sie Parties, Kunst-Happenings und Konzerte veranstalteten. Sie nannten das Ganze „The Chateau“. „Wir wollten einfach einen Ort für uns, an dem wir machen konnten, worauf wir Lust hatten“, erklärt Alex.„Natürlich spielte auch die Gefahr eine Rolle. Du hattest das Gefühl, das Ding könnte jeden Moment zusammenbrechen – und außerdem war’s ja illegal. Das war natürlich auch romantisch. Aber eine Spur Romantik sollte in jeder Form von Kunst sein.“ „The Chateau“ hatte schnell einen legendären Ruf, auch wenn außerhalb der Kunsthochschulszene kaum jemand wusste, wo es sich eigentlich befand. Auch die Polizei brauchte einige Tage, um den illegalen Club ausfindig zu machen. In der Presse las man oft, die Ordnungshüter hätten den Unruheherd schließlich gefunden, ausgehoben und Alex verhaftet. „Alles halb so schlimm“, meint der. „Wir haben das Gebäude friedlich geräumt Als alle raus waren, bemerkte einer der Polizisten an der Decke drei Galgenstricke und schaute mich fragend an. Ich erklärte, dass das wohl Teil eines Kunstwerkes sei, und er fragte: ,Oh, so wie Richard Kern in den 80ern in New York?‘ (lacht) Unglaublich, oder?“

Ein mythischer Ort, dieses Chateau. „Ich würde gerne mal ein paar Journalisten dahin mitnehmen“, winkt Alex ab. „Die Leute glauben, das sei ein majestätisches Gebäude mitten in Glasgow. Aber es ist ein altes, heruntergekommenes, stinkendes Lagerhaus voller Taubendreck.“

Trotz Verfall und Taubendreck denken sie aber nicht daran, Glasgow zu verlassen. Nur Paul, der einzige gebürtige Schotte, überlegt, nach London zu ziehen. „Ich finde, Glasgow ist eine ziemlich gute Alternative zu London“, meint Nick. ,,London ist natürlich eine fantastische Stadt“, wägt Alex ab. „Aber musikalisch ist es nicht so gesund, da zu leben. Jeder beobachtet dich und kommentiert alles, was du machst Und am nächsten Tag steht alles im JSME‘.“

Ohne den „NME“ freilich hätten es Franz Ferdinand wohl kaum in die Charts geschafft. Andererseits muss man mit den dort aufgebauten Erwartungshaltungen auch erst mal klar kommen. Alex findet das aber nicht so tragisch: „Wenn wir von Anfang an in der Öffentlichkeit gestanden hätten, wäre das ein Problem für uns gewesen. Aber wir waren ja mehr als ein Jahr eigentlich nur in der Kunstszene bekannt und haben genügend Zeit gehabt, uns darüber klar zu werden, was wir eigentlich wollen. Diese Euphorie erreichte uns ja erst, als wir das erste Album schon im Kasten hatten, und mittlerweile haben wir auch für das zweite Album schon fast genug Material zusammen.“

Der „NME“ schrieb in seiner Cover-Story: „A year and a half from now, they will be among the „Wirklich?“ Paul zeigt sich erstaunt, hatte in den letzten Tagen nicht mal die Zeit, die Berichterstattung zu verfolgen. „Warum in anderthalb Jahren?“ – „Diese Vorhersagen sind natürlich totaler Quatsch“, wägt Alex ab. „Wer weiß schon, was in anderthalb Jahren ist? Vielleicht gibt’s bis dahin ganz viele Sound-like- Franz-Ferdinand-Bands. Oder es gibt schon wieder eine neue Generation von Bands, die alles umstürzen, und plötzlich ist die Musik von vier Jungs mit Gitarren vollkommen out – und wir sind tot.“

Ein solches Attentat gilt es zu verhindern.

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