Die zweite Republik

TOLLWOOD, MÜNCHEN. Die Ankündigung, Sonic Youth würden dieses Jahr an ausgewählten Orten ihr Album „Daydream Nation“ von 1988 als Konzert aufführen, wirkt genau betrachtet wie ein Köder. Und alle, die bei der Nachricht den blutfrischen Hauch der Geschichte an den Nackenhaaren spürten, hatten schon angebissen. Grund zum Misstrauen: Das Jubiläum der Platte ist eigentlich nächstes Jahr. Zweitens: „Daydream“ ist eh das Album, auf das Sonic Youth in ihren Setlists noch heute am häufigsten zurückgreifen. Außerdem: Wieso nimmt sich die Gruppe ausgerechnet die Platte vor, die laut allerbreitestem Konsens als ihr Meisterwerk gilt? Zu simpel.

Und dass diese unmelancholische Band überhaupt eine Aktion startet, aus der so viel Nostalgie dünstet – das alles deutet daraufhin, dass „Daydream Nation 2007“ in Wahrheit ein Experiment ist, bei dem es weniger um die Musik und mehr um das Verhalten des Publikums geht.

Egal. Das Zelt auf dem Münchener Hippie-Jahrmarkt-Festival Tollwood ist nicht so aufgeheizt wie befürchtet, die Band hat sich wieder mal kaum verändert. Das weltberühmte, spinnenartig daherkrabbelnde Intro von „Teen Age Riot“ mit Kim Gordons gemurmeltem „Spirit desire!“ ist als Exposition unschlagbar, und selbstverständlich ergibt die Liedfolge von „Daydream A[ation“ eine nahezu perfekte Konzertdramaturgie. Die vor allem deshalb so perfekt ist, weil hier kein Stück heraussticht oder nach unten fällt. Weil man dieser dröhnenden, schrabbernden, so monoton schweren wie lieblichen Musik weder Entertainment- noch Agitationsabsicht anhört.

Im Gegenteil, unter den orangen, pinken und blauen Sternen klingen Songs wie „The Sprawl“, „Total Trash“ oder „Hey Joni“ bei dem Lee Ranaldo am Ende neue Jahreszahlen einsetzt, abschließend „2007“ – heute auch wie Krautrock, wie Heavy Metal mit Hemd. Es war ja auch ein Verdienst von Sonic Youth, radikal mit der Vorstellung abgeschlossen zu haben, die Revolution könne irgendwo in der Musik drinsein. „Daydream Nation“, damals eine Anti-Reagan-Utopie und auch jetzt noch ähnlich verwendbar, sagt einem beim Hören ja auch: Die Musik, die vom teen age riot handelt, ist nicht schon selbst der Aufstand. Den müsst ihr noch machen.

Wir haben zum Spaß mal mitgestoppt: Mit den meisten Stücken ist die Band bis zu einer Minute schneller fertig als auf Platte, ausgerechnet das wahnsinnig selten gespielte „Rain King“ treffen sie auf die Sekunde genau. „Seite vier!“ ruft Thurston Moore dann, hält als penibler Conferencier vier Finger hoch. Und langsam dämmert einem, für was die „Daydream“-Aktion – neben allem Spaß, das dieses völlig großartige Konzert macht – gut sein könnte: Wenn Sonic Youth mit Kerzenplakaten und Überaffirmation ihr eigenes Jubiläum spielen, zerschlagen sie damit auch die triviale Illusion, der Indie-Rock könne uns alle ewig jung halten.

Richtigen Sinn ergibt das erst, als sie zur Zugabe wiederkommen, Kim Gordon den Bass abgibt und als freischwebende, tanzende, unvorstellbar sexy aussehende Sängerin „Reena“ vom ganz aktuellen Album anstimmt. Die Vorstellungen, die man gewöhnlich mit junger und alter Musik assoziiert, drehen Sonic Youth heute völlig um: Ihre neuen Songs klingen hundertfach viriler als alles von „Daydream Nation“. Stundenlang hätte man ihnen noch zuhören wollen, ein triumphales Ende. Wer schlau und sozial genug ist, sich niemals zu trennen, soll trotzdem Reunion-Konzerte machen dürfen.

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