Digitale Spaßgesellschaft

ES DAUERT NICHT MEHR lange, bis Autos durch die Luft fliegen, Hologramme als Werbetafeln vor Häuserfassaden leuchten und die Kids auf schwebenden Skateboards durch die Straßen gleiten. So jedenfalls imaginierte es Regisseur Robert Zemeckis – im Jahr 1989. In „Zurück in die Zukunft II“ landet Marty McFly in seinem DeLorean in eben dieser Vision des Jahres 2015.

Heute wissen wir, dass dieses mehr als 20 Jahre alte Science-Fiction-Bild unserer Dekade in einigen Punkten viel zu fortschrittlich, in anderen aber deutlich hinter unserer digitalen Realität zurückfällt, in der Online-Medien, Smartphones und Touchscreens zum Alltag gehören. Was wir angesichts der sich überschlagenden technischen Entwicklungen nicht oder nur schemenhaft wissen, ist, wie unser zukünftiges Leben tatsächlich aussehen wird. Wie werden neue Techniken Gesellschaft und Alltag verändern? Wie werden wir arbeiten, kommunizieren und uns fortbewegen?

Einige Hundert kluge Köpfe, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, trifft man jedes Jahr in Berlin auf der Internetkonferenz Re:publica – einem Klassentreffen der netzaffinen, technikversessenen Nerds, die unser Leben mehr und mehr prägen. Blogger, Forscher, Künstler, Politiker und Netzaktivisten suchen hier nach Antworten auf Zukunftsfragen und diskutieren Entwicklungen, Auswirkungen und Notwendigkeiten digitaler Technik. Einig sind sie sich vor allem in der Prognose, dass das Digitale stärker als je zuvor in die Vorgänge des analogen Lebens hineinwachsen und sich mit ihm vermischen wird -so sehr, dass bald dreidimensionale Benutzeroberflächen nötig werden, um der Komplexität gerecht zu werden.

Die „Augmented Reality“ – eine erweiterte Realität -könnte schon sehr bald das Leben in modernen Großstädten bestimmen, sagt etwa Marc Altenburg. Der Stadtforscher arbeitet an zukünftigen Raumstrukturen und Stadtmanagementprozessen. Auch heute schon kann man auf dem Display seiner mobilen Endgeräte viel mehr sehen als mit dem bloßem Auge: Ähnlich einer Google-Street-View-Ansicht zeigt es nicht nur Straßen und Plätze, sondern auch unterirdisch verlaufende U-Bahn-Tunnel, Wasserleitungen oder Informationen zu Gebäuden. Die „Smart City“, wie Altenburg sie sich vorstellt, ist eine Stadt, in der von Sensoren unaufhörlich Daten gesammelt werden, um alltägliche Abläufe eleganter aufeinander abzustimmen. Das reicht von einfachsten Lösungen, wie Mülleimer-Sensoren, die ein Signal an die Stadtreinigung senden, sobald sie voll sind, bis zur Auswertung komplexer Bewegungsmuster der Bewohner, an die der Verkehr angeglichen werden kann.

Um zu verstehen, wo und wann was benötigt wird in einer Stadt, sollen auch soziale Onlinemedien stärker eingebunden werden: Bürger sollen künftig via Internet Schlaglöcher, Lärmstörungen und andere „Stressfaktoren“ melden. Schon heute etwa misst man in Großbritannien mit einer Smartphone-App namens „Mappiness“, wie glücklich Stadtbewohner an bestimmten Plätzen sind. Solche und andere Techniken könnten in Zukunft für ein besseres Zusammenleben sorgen -sagen Optimisten.

Dass die Verschmelzung von Onund Offline und die schier unendlichen technischen Möglichen auch Probleme schaffen werden, über die wir besser heute als morgen nachdenken sollten, betont Johannes Kleske, der sich mit der Zukunft der Arbeit beschäftigt. Der Experte für digitale Kommunikation weiß, dass viele Zukunftsvisionen vom Ende der Arbeit erzählen: „Das klingt vielleicht etwas hochtrabend, aber natürlich ist es ein naheliegendes Szenario, dass Maschinen unsere Jobs übernehmen werden.“

Und dass das keine Zukunftsspinnerei, sondern schon gegenwärtige Realität ist, dafür hat Kleske viele Beispiele: Roboter reinigen Fußböden, führen als Drohnen militärische Operationen durch und lenken in Studien wie Googles „Driverless Car“ Fahrzeuge selbstständig durch den Straßenverkehr. In einem Kaufhaus im japanischen Fukuoka betreut ein Roboter schon seit drei Jahren Kinder, während deren Eltern einkaufen. So weit -so bekannt. Mittlerweile geht es aber längst nicht mehr nur um Jobs im niedrigen Lohnsektor. Computer sind auch im Bereich hochqualifizierter, klassisch-bildungsbürgerlicher Berufe leistungsfähiger als Menschen: „Die erfolgreichsten Broker der Welt sind sogenannte High-Frequency-Trading-Algorithmen“, erklärt Kleske. Diese Computerprogramme berechnen Aktienkurse schneller und verlässlicher als jeder Börsenexperte und werden den Wertpapierhandel in den nächsten Jahren automatisieren. Auch große Teile der Arbeit von Rechtsanwälten – das Recherchieren und Analysieren von relevanten Fallbeispielen -kann bereits von Computern übernommen werden. Ebenso bedroht ist die Arbeit von Medizinern im Bereich der Diagnostik: In der Radiologie etwa erkennen Algorithmen durch simple Datenanalyse inzwischen deutlich schneller Krebserkrankungen als Ärzte.

Auch Sportjournalisten könnte eine spezielle Software bald ersetzen, die die Bewegungsabläufe von Spielen verfolgt, auswertet und nach vorgegebenem Muster einen Artikel erstellt. Gleiches gilt für Berufe in der Warenproduktion: Denn mit 3-D-Druckern, schon seit einigen Jahren als „Next Big Technology“ gefeiert, soll sich in nicht allzu ferner Zukunft jeder zu Hause mit Hilfe digitaler Vorlagen aus dem Internet beliebige Gegenstände ausdrucken können -ob Kochtopf, Ledertasche oder Zahnprothese.

Die technische Entwicklung -das wird schnell klar, hört man Kleske eine Weile zu -geht ganz klar in Richtung Maschinenarbeit. Was aber machen dann wir Menschen? „Grundlegend gibt es da zwei Extrem-Szenarien, in deren Richtung sich die Arbeitswelt entwickeln könnte: Eines davon ist die Utopie, dass die Maschinen unsere Arbeit übernehmen und uns dadurch die Freiheit geben, uns nur noch kreativ zu betätigen.“

Diese ihren Anhängern als „Digitales Athen“ idealisierte Zukunftsvision bezieht sich auf ein Idealbild der griechischen Antike: Die freien Bürger, die dank ihrer Sklaven genug Zeit hatten, den ganzen Tag philosophierend über die Agora zu flanierten. Es ist die Vorstellung einer Spaßgesellschaft also, in der wir Menschen uns ausschließlich Kultur, Politik, Wissenschaft und Selbstverwirklichung widmen, während Maschinen für uns arbeiten. Ganz neu ist das natürlich nicht. Schon der 2008 verstorbene Sci-Fi-Autor Arthur C. Clark verkündete einst hoffnungsfroh: „Das Ziel für die Zukunft ist Arbeitslosigkeit, damit wir spielen können.“

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