Drogenstaat Afghanistan – Wie Heroin ein Land regiert

Eine Bilanz nach mehr als 13 Jahren Krieg: die Taliban sind ungeschlagen – und die Drogen-Bosse stark wie nie

Vanda Felbab-Brown, die Expertin von der Brookings Institution, die die afghanische Opiumwirtschaft eingehend studiert hat, gibt zu bedenken, dass es Jahrzehnte dauern werde, den Anbau zu reduzieren – zumindest ohne drakonische Maßnahmen zur Vernichtung von Anbauflächen, die das Elend der armen Landbevölkerung nur weiter vergrößern würden. „Das wäre technisch unmöglich und moralisch unverantwortlich“, sagt sie. „Die Existenz und auch die Sicherheit großer Teile der afghanischen Bevölkerung sind vom Mohn abhängig.“ Außerdem finden kriminelle Schattenwirt-schaften immer Wege, um weiter zu funktionieren: Obwohl der Opiumanbau im Goldenen Dreieck erfolgreich reduziert wurde (teilweise dank der wachsenden Konkurrenz aus Afghanistan), ist beispielsweise Myanmar inzwischen zu einem Dreh- und Angelpunkt der Methamphetamin-Produktion geworden. Tatsächlich sind sowohl die Produktion als auch der Konsum von Meth, nachdem sie schon in Indien und Pakistan Fuß gefasst haben, inzwischen auch in Afghanistan zu beobachten. „Die kriminelle Schattenwirtschaft stellt eine größere Bedrohung für Afghanistan dar als die Taliban“, erklärt Jean-Luc Lemahieu von den Vereinten Nationen. Letztendlich ist Opium allerdings ein globales Problem. Der Verdienst der afghanischen Bauern beträgt weniger als ein Prozent von dem, was die globale Opiumökonomie erwirtschaftet. Der Opiatmissbrauch nimmt weltweit zu. Insbesondere in den USA ist ein sprunghafter Anstieg des Konsums zu verzeichnen. Schätzungen zufolge sind eine halbe Million Amerikaner heroinabhängig. Und obwohl die Droge größtenteils aus Mexiko kommt, gibt es Befürchtungen, das afghanische Opium könnte künftig die wachsende Nachfrage bedienen – nachdem es bislang vor allem in Europa landete. „Bisher bekommen wir in Amerika nicht viel davon zu sehen“, sagt der ehemalige Mitarbeiter des Justizministeriums. „Aber nicht mehr lange und die Mexikaner werden sich mit den Afghanen zusammentun.“ So wie die Städte im Süden der USA einst auf Kohle und Baumwolle errichtet wurden, wurde die Hauptstadt der Provinz Helmand auf Mohn gebaut. Die Opiumbarone versuchen inzwischen ihre gesellschaftliche Stellung zu konsolidieren, investieren in legale Projekte und überlassen den Drogenhandel ihren jüngeren Verwandten. Fast jede tragende Säule der afghanischen Wirtschaft steht auf einem Fundament aus Drogengeld. Hinter zwei aktuellen Bauprojekten – einer Universität und einer Baumwollsamenöl-Fabrik – werden Verbindungen zu Drogenbossen vermutet. „Dieses Jahr sollten in Helmand 100 Quadratkilometer Anbaufläche vernichtet werden“, sagt Mohammad Abdali, Kopf der Spezialeinheit zur Drogenbekämpfung bei der Provinzpolizei. „Wissen Sie, wie viel tatsächlich vernichtet wurde? 6,97 Quadratkilometer.“ Am letzten Tag in Helmand fahren wir zum Dasht, jenem großen Wüstengebiet, das sich an die fruchtbaren Zonen der Provinz anschließt und bis in den Iran und nach Pakistan hineinreicht. Wenn man diese Gegend überfliegt, sieht man breite Streifen ehemaligen Ödlands, die ein grüner Flickenteppich aus Mohnfeldern überzieht. Inzwischen wird sie größtenteils von den Taliban kontrolliert, die in Scharmützeln mit der afghanischen Armee immer wagemutiger auftreten. In Polizeibegleitung fahren wir aus der Stadt Gereshk hinaus, bis wir schließlich inmitten der Mohnfelder und Höfe anhalten, die hier in den vergangenen Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Sollte die afghanische Regierung hier die Kontrolle verlieren, wäre Helmand eine der ersten Regionen, die fallen würden. Ein alter Bauer kommt aus einem nahe gelegenen Hof, an der Hand einen kleinen Jungen, als könnte der die bewaffneten Fremden auf seinem Feld beschwichtigen. Der Alte hat ein ausgemergeltes Gesicht, seine rechte Augenhöhle ist leer. Was hat ihn bewogen, diese öde Wüste zu bewirtschaften? Er und seine Familie seien land- und mittellos gewesen, sagt er. Allerdings brauche er schon eine Menge Glück, um die Kosten zu decken. In seiner Stimme liegt ein unausgesprochenes Flehen. Doch wir sind nicht gekommen, um seine Pflanzen zu vernichten. Den armen Bauern am einen und den verzweifelten Junkie am anderen Ende der Kette verbindet ein Netz von Kriminellen, Politikern, Schmugglern und Kriegern. Angesichts der Korruption und der Gier, die den Drogenstaat Afghanistan hervorgebracht hat, fällt es schwer, sich eine gute Zukunft für das Land auszumalen.

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