Drucksachen

Der Buchtitel klingt nach Märchen, trifft den Nagel aber auf den Kopf. „Spinning Blues Into Gold“ (St. Martins Press, ca. 65 Mark) erzählt die abenteuerliche Geschichte zweier Brüder in Chicago, jüdische Immigranten aus Polen, die einen Schnapsladen, dann einen Nachtclub betrieben, bevor ihnen die ungemein zündende Geschäftsidee kam, schwarzen Blues auf schwarze Platten zu pressen. „The Chess Brothers And The Legendary Chess Records“, so der Untertitel, ist eine amerikanische Erfolgs-Story über Vertrauen und Vorurteile, Generosität und Ausbeutung, Mythen und die magische Kraft der Musik aus dem Mississippi Delta. Die Autorin Nadine Cohodas hat gründlich recherchiert, füllt ein paar Lücken der Label-Historie und stellt, wo eine abschließende Klärung nicht mehr möglich scheint, Aussage gegen Aussage.

Insbesondere das Geschäftsgebaren von Leonard und Phil Chess wird ausgeleuchtet, bis hin zum Epilog, der nicht von ungefähr „Lawsuits And Legacies“ überschrieben ist. Am Ende steht die beunruhigende Erkenntnis, dass die Gebrüder Chess zwar Krämerseelen waren, die allzeit auf ihren Vorteil bedacht waren, dass es aber gerade dieser Egoismus war, der das Label in stürmischen Zeiten über Wasser hielt und damit seinen Künstlern das Überleben sichern half. Howlin‘ Wolf und Muddy Waters wurden nach allen Regeln der Kunst beschissen, legt man heutige Maßstäbe an, doch ihre Musik ging um die Welt. 4,5

Nicht zuletzt dank des Umstandes, dass man ab Mitte der 50er Jahre so abartig-primitive Platten wie „Rollin‘ Stone“ von Muddy Waters selbst im fernen, fremden London kaufen konnte. Wenn man wusste, was man suchte und wo man fündig werden konnte. Ein paar mittellose, rotznäsige Teenager in schäbigen Klamotten und Haaren bis auf den Kragen kannten sich da ziemlich gut aus. Die Blues-Enthusiasten im Teenager-Alter hatten sogar eine Band gegründet, sie nach selbigem Waters-Song benannt und hausten in einer Bruchbude in Edith Grove, zusammen mit einem gewissen James Phelge, welcher fast vier Jahrzehnte später ein Buch über die gemeinsame Zeit schrieb: „Phelges Stones“ (Buncha Asshole Books, ca. 45 Mark) ist eine detailgenaue Chronik jener Sturm- und Drangzeit, etwas episodenlastig, aber äußerst unterhaltsam zu lesen.

Hart und herzlich ist Phelges Prosa, also durchaus korrespondierend mit den Umgangsformen der Protagonisten. Alles drehte sich um Mädchen und Geld, das hinten und vorne fehlte. Und um Musik natürlich. Brian und Keith versuchen sich an Everlys-Harmonies. Vergeblich. Die Beatles kommen vorbei, Mick und John sind uneins über Jimmy Reed, Mick und Brian wiederum uneins über Dylan. Keine Diskurse, nur Verdikte. Funny. 4,0

„The Stones were all bad boys when I found them. I just brought out the worst in them“, resümiert Andrew Loog Oldham sein Wirken als Manager in seinen Memoiren „Stoned“ (Secker & Warburg, ca. 60 Mark). Oldham beginnt ganz von vorn. „The day I was born, Germany mounted its final offensive, the most vicious blitzkrieg over England yet.“ Doch wird die lineare Erzählweise bald abgelöst von einer Art Memory-Collage, zu der zahlreiche Zeitgenossen des Svengali beitragen, darunter Marianne Faithfull, Gene Pitney und Pete Townshend. Das Resultat ist nur scheinbar Patchwork, liest sich aber eher wie ein Reader als das, was es sein will: eine Autobiografie. Die Interviews und weitere Recherchen überließ Oldham Simon Dudfield, das Puzzle aus Analysen, Erinnerungsfetzen und oft anzüglichen Anekdoten setzte Ron Ross zusammen. So wechselt das Wiederkäuen bekannter Fakten mit berührenden Erlebnissen. Mary Quant, Picasso, Frank Sinatra und Phil Spector haben ihren Auftritt, der Underground des Swinging London vermengt sich mit feudalen Eliten, es brodelt. Leider endet dieser erste von drei geplanten Bänden bereits im Sommer 1964 mit „As Tears Go By“. Da war der Virtuose auf der Medienklaviatur gerade mal 20 Jahre alt. 4,0

Sandy Denny war 31 und hochschwanger, als sie 1978 zu Tode stürzte. Unter bis heute nicht ganz geklärten Umständen. Auch Biograf Clinton Heylin vermag das Dunkel des Dramas nicht plausibel zu erhellen, obschon „No more Said Refrains“ (Heiter Skelter, ca. 70 Mark) sicher das bislang umfassendste Werk über Britanniens schönste Stimme des 20. Jahrhunderts ist. Heylin, den „Time Out“ halb anerkennend, halb spöttisch „the maddest muso currently writing“ nennt und der sich vor allem mit Fleißarbeiten über Bob Dylan einen Namen erschrieben hat, lässt keinen Stein auf dem anderen. Er bekam sogar Zugang zu privaten Briefen und Sandys Tagebüchern, sprach mit den engsten Freunden der Folk-Rock-Pionierin und vielen ihrer ehemaligen Mitmusiker bei den Strawbs, Fairport Convention und Fotheringay.

Sein Porträt zeigt die Sängerin als komplexe, getriebene Persönlichkeit mit genialischen Zügen, aber auch mit tiefen Selbstzweifeln, ihre äußere Erscheinung wie auch ihr Seelenleben betreffend. „Its all very sad, and I won’t stand there in the wings“, dichtete sie gegen Ende deprimiert über die Untreue ihres Gatten, „and wait for the tragedy I know the last act brings.“4,5

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