Earl von der traurigen Gestalt

Auf DVD: die wunderbar britisch-betulichen Ermittlungen eines seltsamen Paars in den "„Inspector Lynley Mysteries"

In unserer Erinnerung wird Britannien stets aussehen wie in den schwarzweißen Plotten um die geriatrische Schrulle Miss Marple: Die Bahn dampft 16.50 Uhr ab Paddington in die Provinz, die Kirche steht im Dorf, der Pfarrer ist ein verschrobener Pfeifenraucher, der Postbote ein gutmütiger Schrat, der Milchmann ein lispelnder Legastheniker; nachmittags gibt es Mürbgebäck und Tee, und der Lord auf seinem Landsitz hat Leichen im Pferdestall. Auch die“Ealing“-Filme mit Alec Guinness, sogar William Wylers putziger (amerikanischer) Kriegsertüchtigungs-Film „Mrs. Miniver“ vermittelten den Eindruck, dass die Uhren aut der Insel anders gehen, dass Exzentrik ein Menschenrecht ist und der Spleen eine Volkskrankheit.

Insofern setzte die BBC von 2002 bis 2007 mit den „Inspector Lynley Mysteries“ eine Tradition fort. Zunächst basierten die Filme der Reihe auf den Romanen von Elizabeth George, später nur noch „aui Motiven“ derselben Autorin doch blieben die Mordfälle ebenso haarsträubend gedrechselt. Inspektor Thomas Lynley ist privatim der achte Earl Of Asherton, also ein professioneller Ermittler qua Neigung — und der elegante, durch und durch britische Nathaniel Parker bewegt sich angemessen aristokratisch, steif und wachsgesichtig in hellen Hosen, hellblauen Hemden und feinen Sakkos durch die rurale Landschaft, seltener durch London. Der ihm zugeteilte Detective Sergeant ist die mausgesichtige und aufmüpfige Barbara Havers (Sharon Small), eine zähe Natur aus dem Kleinbürgertum, die bei Lynley einen Dünkel, wenn nicht Hau vermutet.

Die Schwermut und der Liebeskummer des Lords, sein unbeholfener Smalltalk und die Abneigung gegen Männerkumpanei wirken tatsächlich etwas entrückt, während Sergeant Havers die demente Mutter versorgen muss und von den Vorgesetzten gedeckelt wird. Lynley ruft sie unbekümmert „Havers!“, sie beherrscht alle Schattierungen von „Sir“. Obwohl der Boss einer blassen, reizlosen V/achtel aus gutem Hause nachläuft, die er schließlich heiratet, simmert stets eine scheue Spannung zwischen den beiden, die niemals aufgelöst wird. Am Ende stirbt Lynleys Frau gewaltsam, der Untröstliche verfällt dem Suff, bleibt aber in seiner splendid Isolation. Es ist folgerichtig, dass Havers und Lynley eben doch nicht zusammenkommen: Sie bewundert den mild Weltfremden und fühlt sich in seiner Nähe tolpatschig, während er Kontrollverlust und Unzucht mit einer Abhängigen fürchtet- die romantische Melancholie ist dem Earl lieber als deftiger Sex und Gesichtsverlust.

Nach 23 Folgen wurden die „Inspector Lynley Mysteries“ ohne pompöses Finale eingestellt. Elegisch ist hier sowieso jedes Szenario – an der Universität von Oxford, in einem Elite-Internat, unter pakistanischen Einwanderern, an den Küsten von Kent und Cornwall, in Manchester und in den schottischen Highlands: Stets wird das Duo von New Scotland Yard um Amtshilfe gebeten, misstrauisch beäugt von einheimischen Schlitzohren und Dorftrampeln. Die legendären britischen Klassen-Unterschiede sind jederzeit spürbar, wenn ein Gewese um Titel wie „Detective Inspector“ und „Superintendent“ gemacht wird, wie es sonst allenfalls in Österreich denkbar ist. Nathaniel Parker schätzt es nach eigener Aussage, dass seine Figur „reich ist und teure Kleidung trägt“ – für Sharon Small bleiben geräumige Parkas, klobige Schuhe und der trotzig vorgetragene Hinweis, dass mal wieder zu großkariert gequatscht wird.

Die Fälle sind untassbar umständlich und hanebüchen und in der deutschen Fassung leider mit gestelzten Bibel-Phrasen wie „Keiner werfe den ersten Stein“. „Denn bitter ist der Tod“ und „Asche zu Asche“ betitelt, die im englischen Original keine Entsprechung haben. Am Sonntagabend, wenn Lynley und Havers im ZDF ermittelten, konnte man schon mal 20 Minütchen wegdösen und ein paar willkürliche Wendungen verpassen, um dann der zusammenfabulierten Auflösung zu folgen. Bei allen Nebenfiguren und Abschweifungen hat man den Fall längst vergessen.

Nun sind alle Inspector – Lynley-Filme auf 24 DVDs in einem Karton versammelt – und fühlen Sie sich ruhig wie ein Blaublütiger, wenn Nathaniel Parker wieder einmal bittet: „Auf ein Wort!“

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