Wie die Pose doch noch dem Gefühl wich

Till Brönner schwärmte als Junge für Fernseh-Bigbands, bis ihm der große Charlie Parker erschien.

So komisch es klingt: Der erste Reiz, der mich zum Trompetespielen brachte, war ein rein visueller. In den Siebzigern, als kleiner Junge, war ich von den großen Fernsehshows und ihren Orchestern fasziniert: „Musik ist Trumpf“, „Am laufenden Band“, „Wünsch dir was“, Horst Jankowski und das RIAS-Tanzorchester, Max Greger, James Last. Diese eisenhart durchgeprobten Showblocks und die Choreografie der Bläser fand ich atemberaubend. Und so, wie andere Lokomotivführer werden wollen, träumte ich davon, Trompete zu spielen. Man verliebt sich im Leben ja oft erst mal in eine Pose. Wenn man’s dann ausprobiert, zeigt sich schnell, ob man das nötige Fingerspitzengefühl dafür hat.

Die eigentliche musikalische Initialzündung bekam ich dann mit 14, im Renault-Kastenwagen eines viel älteren Bassisten, mit dem ich damals zusammenarbeitete. Auf der Fahrt spielte er mir Charlie Parker vor. Und das hat mein Leben verändert. In meiner Generation hat damals natürlich niemand diese Musik gehört. Das war hart: Ich war überzeugt, dass es nichts Wichtigeres, Besseres geben könne als Charlie Parker, und in meiner Klasse interessierten sich alle nur für Neue Deutsche Welle, The Cure oder Depeche Mode. Heute sehe ich das anders, aber damals wirkte dieser ganze Pop auf mich nur banal und oberflächlich. Ich spürte den Drang, der Musik richtig auf den Grund zu gehen, es auf meinem Instrument zu etwas zu bringen.

Mit 21 nahm ich dann meine erste CD „Generations of Jazz“ auf — ausgerechnet mit Ray Brown, der im ersten Quartett von Charlie Parker den Bass gespielt hatte. Natürlich habe ich ihn 24 Stunden am Tag ausgefragt. „Ich will Sie nicht nerven!“ sagte ich einmal, und er meinte: „Wieso nerven? Als ich in anfing, hätte ich mein Hemd dafür gegeben, zu erfahren, welche Farbe die Socken von Duke Ellingtons Bassist Jimmy Blanton hatten.“ Welche Weisheiten ich von ihm gelernt habe? Zum Beispiel: „Nothing swings more than the fucking quarter note!“ Das von einem Mann zu hören, der in seinem Leben wohl schon 18 Milliarden Viertelnoten gespielt hatte, war dann doch sehr beeindruckend.

Aufgezeichnet von Joachim Hentschel

Till Brönners aktuelles Album „At The End Of The Day“ ist bei Universal Music erschienen.

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