Ein bizarrer Phantom/Ghost-Jubiläumsabend in Berlin mit Dirk von Lowtzow, Krabben aus Stoff und zwei schrillen Revuegörls

Der neue Kulturstaats-Sekretär Tim Renner hätte vermutlich heiße Tränen der Rührung über soviel Chuzpe geweint; wäre er denn dort gewesen. Phantom/Ghost: alles ein wenig hölzern und knödelig.

Einen ganz besonderer Kunstgenuss verspricht dieser laue Sommerabend im gediegenen Westen der Hauptstadt; wo Start-Up-Establishment und Starfriseure nach kreativem Tagwerk sich zur Pasta einen Barolo beim Promi-Italiener genehmigen. Dirk von Lowtzow und Pianopartner Thies Mynther sind in einer Retrospektive zum 25. Jubiläum des Duos Phantom/Ghost zu bewundern. Es spielt also zur herzigen Knuffelpuppen-Installationen der Kölner Großkünstlerin Cosima von Bonin die barock-elektronische Vaudeville-Revue der post-studentischen Gitarrentruppe Tocotronic aus Hamburg. Jetzt also die volle Subventionskultur-Breitseite: Hier gleich neben dem Fasanenplatz liegt das im Geiste der Moderne erbaute Festspielhaus.  Und so weilte eine enspannte Vintage-Design-Meute vor dem gläsernen Eingang. Und als die Theaterglocke dreimal schellte, trollte man sich bereitwillig in den besesselten Festsaal.

Lowtzow und Mynther treten auf. In dunklen Roben mit Glitzerwesten. Eine Mischung aus Tim Fischer und Liedertafel in der Bar jeder Vernunft.  Vielleicht schwebte den Beiden auch der verruchte Teil der Weimarer Republik vor. Man weiß nicht so ganz genau, warum Herr von Lowtzow keineswegs untalentiert den campen Entertainer gibt. „Wie ist es möglich, nicht fasziniert zu sein, von der Mischung aus Dünnhäutigkeit und  Eleganz“, heißt es in einem Interview im großformatigen Programmflyer zur Phantomgeist-Gala. Gemeint hier ist der verstorbene Pariser Modezar Yves Saint Laurent.

Doch genau diese „Mischung“ bringen Phantom (Gesang) und Ghost (Taste) auch auf die Bühne. Eine Prise Antony and The Johnsons, ein Touch Rufus Wainright und das alles in durchaus heterosexueller Darreichungsform. Man könnte auch sagen: Alles ein wenig hölzern und knödelig.

Wir wollen hier nicht ungerecht sein. Die erste halbe Stunde weiß durchaus zu unterhalten. Aber erstens ist das Songmaterial letztlich doch nicht so dolle, um einen echten Spannungsbogen zu ziehen. Und als dann ein kurzbehoster Rezitator namens Eike Wittstock einige daher gedrechselte und skurril sich gebende Sätze über Korallen und Amöben zum Besten gibt, ist es Zeit für ein Weinchen draußen an der Festspielbar. Beim Rausgehen dann noch das wispernde Gekicher, als Wittstock komische lateinische Meeresgetier-Fachbegriffe bringt.

Feuilleton kann SOO lustig sein. Nach dieser unnötigen Witzsprech-Einlage wird später dann auf „Petit-Cafe“-Atmo umbeleuchtet. Auch das haben Soft Cell oder auch ABC schon mal gekonnter hinbekommen. Zwischendurch führen zwei semi-grotesk verkleidete Damen Dada-Tänzchen auf. Alles schön, alles halb so wild. Über allem perlt Piano und Gesang. Beim letzten Konzert der Sex Pistols im „Winterland“ zu San Francisco lautete angeblich der letzte Satz von Johnny Rotten: „Schon mal das Gefühl gehabt, verarscht geworden zu sein“. Ähnliches ließe sich auch hier gefühlt haben können. Doch stattdessen „standing ovations“ und das Ensemble strahlte wie ein Honigkuchenpferd.

Willkommen im Pop-Labor der Hauptstadt mit den drei Opernhäusern. Der neue Kulturstaats-Sekretär Tim Renner hätte vermutlich heiße Tränen der Rührung über soviel Chuzpe geweint; wäre er denn dort gewesen. Chapeau – und raus zur kritisch-wohlwollenden Debatte danach im Foyer und Vorgarten.

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