Ein deutsches Lied

Ihren unbestrittenen Verdiensten zum Trotz: Junge Musiker berufen sich selten auf die alten Liedermacher. Und doch gibt es Parallelen. Eine Spurensuche.

Die amerikanische Songschreiberin Simone White fragte neulich nach der deutschen Entsprechung des Begriffs „Americana“. Warum fällt die Antwort auf diese simple Frage so schwer? Weil sich die Deutschen nach der Katastrophe des Nationalsozialismus jahrzehntelang vor einer Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Kultur gedrückt haben. Sicher, Rock’n’Roll, Hollywood und Comics waren die beste Entnazifizierung, die man sich wünschen konnte. Aber es war genauso wichtig im Land der „Generation-Hitlerjugend“, wieder die alten jiddischen Lieder zu singen, die existenzialistischen Chansons des „Erbfeinds“, die marxistischen Moritate von Brecht und Weill. Auf den Burg Waldeck-Festivals der 6oer Jahre hat man darüber nicht nur geredet — man hat diese Songs gemeinsam wieder entdeckt und gesungen. In den USA war Folk damals längst das musikalische Forum der Bürgerrechtsbewegung und galt deshalb unter Intellektuellen als ausgesprochen hip. Auch in Deutschland wandelten sich die Waldeck-Festivals durch die sozialen Veränderungen jener Jahre zu einem Forum des politischen Liedes. Man hat Künstlern wie Franz Josef Degenhardt und Walter Mossmann später ihr politisches Engagement in der 68er-Bewegung vorgeworfen – und dabei vergessen: Wer nicht die Möglichkeit hat, Leitartikel zu schreiben, muss seine persönlichen Zweifel eben singend anmelden. Dennoch traf ab der Kohl-Ära ein gnadeloser Backlash die Folkszene ebenso wie das politische Engagement.

Die Musiker der sogenannten Hamburger Schule hätten sich nie Liedermacher genannt, trotzdem gibt es in dieser Szene viele Degenhardt- und Hüsch-Fans: Blumfeld coverten Hüschs „Abendlied“ 2001 auf „Testament der Angst“; Das Bierbeben ist auf dem neuen Album mit einer überraschenden Version von Degenhardts „Hochzeit“ zu hören. Was also verbindet die Szene um den Hamburger Golden Pudel Club mit der Folk- und Protest-Bewegung der Burg Waldeck? Der Versuch, in der eigenen Sprache Lieder zu schreiben, die sehr persönlich sind — aber dennoch mehr im Blick haben als den eigenen Bauchnabel? Tasten wir uns einfach mal zurück, ganz langsam und mit offenen Ohren.

01 KRISTOF SCHREUF begründete Ende der Achtziger mit Kolossale Jugend das, was wir Hamburger Schule nennen. Sein „Rare Triix‘-Beitrag ist so taufrisch, dass er mit einem Kurier aus dem Studio in die Redaktion gebracht wurde. Schreuf sagt selber, wie er klingt: „Die Trompeten funken. Das Schlagzeug macht einen schönen, reißerischen Krach. Die Gitarre perlt. Die Zeit kommt aus der Wonne. Sie klingt nach leichtem Glanz. Und nennt sich .Bourgeois With Guitar‘. Der nimmt sich auf dem gleichnamigen Album noch einige Male das Wort.“ Das zusammen mit Tobias Levin entstandene Werk erscheint erst im Spätsommer. Die Frage, ob die Schizophrenie des singenden Bourgeois einen Sinn ergibt oder nichts ist als opferheldenhafte Selbstkasteiung, bleibt solange offen.

02 Hochzeit“ von DAS BIERBEBEN ist ein dunkel poetischer Electro-Punk-Song und eine Coverversion des Degenhardt-Lieds aus dem Album „Spiel nicht mit den Schmuddel-Rindern“. „Ich würde nicht behaupten, Degenhardt sei Punk“, erklärt Jan Müller, der auch bei Tocotronic spielt. .Aber ich sehe da keinen Widerspruch. Wir haben uns bewusst für ein älteres Stück mit einem apokalyptischen Text entschieden. In Teilen der Punkszene ist das ja auch eine Grundhaltung, da sehe ich schon einen Berührungspunkt.“

03 In „Wer wird Millionär?“ stellt Christiane Rösingers Gruppe BRITTA eine hochinteressante Frage: „Ist das noch Boheme oder schon die Unterschicht?“ Giacomo Puccini hat das Thema Ende des neunzehnten Jahrhunderts in „La Boheme“ vertont. Die Protagonisten haben weder genug Geld für Feuerholz noch für lebensrettende Medikamente. Deshalb müssen soeben erst beendete Manuskripte in den Kamin geworfen werden – und Freundinnen können nicht mehr gerettet werden. In den Szene-Kaffeehäusern und kostengünstigen Altbauwohnungen sieht es heute kaum anders aus.

04 Das weiß auch MAX MÜLLER, bekannt als legendärer Sänger der leider erfolglosen Berliner Band Mutter. „Vorsicht vor Leuten, die ihren Namen als Gürtelschnalle tragen“ ist ein subversives Mantra gegen die Lügen und Selbstlügen der Boheme. Das Unbehagen an einer selbstgefälligen Popkultur, die zum starren Weltbild und Verhaltenskodex geronnen ist, artikuliert Müller zu schroffen Akustikgitarren-Akkorden, als wäre es Dylans „Masters Of War“. Der Schrebergarten der Szene steckt genauso voller Arschlöcher wie die Welt der Hochfinanz. Ziegenbärte richten nur deshalb weniger Schaden an, weil sie weniger Möglichkeiten haben.

05 Singt ER jetzt auch auf deutsch? Nein, aber TOM LIWA trifft mit „Du läufst immer noch vor mir weg“ perfekt den Tonfall von Altmeister Bobs „Tangled-Up In Blue“. Der Song befindet sich auf dem neuen Album „Eine Liebe ausschließlich“. Liwa geht auch hier wieder seinen ganz eigenen Weg, erzählt Geschichten wie die von dem Mann, der Frau und dem kleinen Jungen dazwischen. Man wird es nicht schaffen, diesen Song zu entschlüsseln, aber man kann ihn sich anziehen wie eine gut eingetragene alte Jeans.

06 Es folgt ein zu Recht beliebter Liedermacher-Hit, live aufgenommen 1994 im Hamburger Golden Pudel Club: „Nana Mouskuri“, FUNNY VAN DANNENs grandiose Forderung nach mehr Emotionalität und Sentimentalität unter eiskalten Führungskräften und schnell denkenden Leistungsträgern. Die Risse in den individuellen Selbstbildern ‚werden hier wie in einem alten Kirchenfresko bunt und leuchtend ausgemalt. Ein großer Spaß.

07 Und schon sind wir im Jahre 1964 beim jungen FRANZ JOSEF DEGENHARDT und seiner beunruhigenden „Tarantella“. Das Lied steht in der Tradition der Bänkelsänger und Vagantenlieder und ist sicher nicht so zugänglich wie „Vatis Argumente“ und andere Protestsong-Klassiker von „Väterchen Franz“. „Tarantella“ gibt keine Handlungsanweisungen, mit der verschlungenen Metaphorik muss jeder alleine klar kommen, aber die Schönheit und Kraft dieses Liedes ist auch so deutlich zu spüren.

08 PETER ROHLAND ist leider ein wenig in Vergessenheit geraten. „Die Ballade von der schönen Stadt Morah“ ist die gelungene Vertonung eines Gedichts von Francois Villon, in der wie immer sehr freien Übersetzung von Paul Zech. Rohland sang Anfang der Sechziger als einer der Ersten Volkslieder unterschiedlicher gesellschaftlicher und historischer Herkunft: jiddische Lieder, Landstreicherballaden und Weisen von 1848. Leider starb der Mitbegründer der deutschen Folkszene schon im Mai 1966.

09 REINHARD MEYS „Abgesang“ wurde 1967 auf der Burg Waldeck aufgenommen. Das Lied, fast könnte man es ein Chanson nennen, handelt vom Tod eines Freundes. Und so lakonisch, persönlich und (bei allem Respekt vor den Toten) humorvoll, wie es klingt, muss man tatsächlich an Gisbert zu Knyphausen denken, der ja gerne mit dem jungen Mey verglichen wird.

10 Zum Schluss servieren wir die unvergleichlichen Wortkaskaden von HANNS DIETER HUSCH. „Da preisen sie den Mai“ ist böse, illusionslos und dabei ausgesprochen lustig. Obwohl dieses Szenario bereits 1966 entworfen wurde, stimmt es noch heute. Und das ist es auch, was wir grundsätzlich von Liedermachern und Songwritern erwarten: Zeitbezug, eine eigene Haltung und natürlich: gute Songs. Und da gibt es zwischen Waldeck und Pudel ein paar schöne Übereinstimmungen.

Weitere Tipps: Die CD-Box „Die Burg Waldeck Festivals 1964 – I969″und die Reihe „Für wen wir singen -— Liedermacher in Deutschland“. Infos: www.bear-family.de Plus: vom 29.5. bis zum 31.5. richtet die Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck e.V. ein Internationales Liederfest aus.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates