Ein Herz für Finsternis

Der Videoregisseur Philipp Stölzl inszeniert seine erste Oper

Es ist nur ein kleines Städtchen im Süden Thüringens, aber alle waren sie schon da: Jean Paul, Friedrich Schiller, Max Reger, Richard Strauss. Es hält sich sogar das Gerücht, daß der Bruder des ehemaligen ostdeutschen Gewissens, der verstorbenen brandenburgischen Arbeits- und Sozialministerin Regine Hildebrandt, Waldhornist im hiesigen Kurorchester war. Meiningen, die traditionsreiche deutsche Theater- und Opernstadt im Herzen Deutschlands wird in der nächsten Spielzeit von Finsternis regiert, denn ein Zeremonienmeister der dunklen Romantik gastiert am Theater der Kreisstadt, in der Kraftfahrzeuge die Buchstaben „SM“ auf ihren Nummernschildern spazieren fahren. Die Rede ist von Philipp Stölzl, Regisseur von Musikvideos wie Witt/Heppners „Die Flut“ und Rammsteins „Stripped“, die hierzulande eine Diskussion über „rechte Ästhetik“ entfachten und in den USA als Sinnbild des germanischen Geistes überaus erfolgreich waren. Mittlerweile hat Stölzl dort ein Abo auf Pathos, Düsterkram und – nun ja: deutsche – Ernsthaftigkeit, so daß er schon bei drei Videos der Gothic-Megaseller Evanescence Regie führen durfte.

„Deutschland ist nun mal nicht für seinen leichten Humor bekannt“, lacht Stölzl, der auch schon das Gegenteil bewies, als er uns als Regisseur von Madonnas „American Pie“-Video deren Klempnerritze zeigte. „Und das Opernhafte und Dunkel-Romantische hat mich schon immer fasziniert“, meint der ehemalige Bühnenbilder, der später in die lukrativere Video- und Werbeclipproduktion wechselte. Einmal den „Freischütz“ inszenieren, das war allerdings immer ein Traum von ihm, denn „gerade im ,Freischütz‘ ist diese Gruselnummer mit den schicksalsergebenen Charakteren ja sehr ausgeprägt“. Fürwahr. Ist Carl Maria von Webers Oper doch das Sinnbild dunkler Romantik und hat als erste Volksoper überhaupt auch einen wenngleich nicht mehr ganz taufrischen – Massenappeal.

„Der Freischütz“ erzählt von Max. einem nicht übermäßig talentierten Jäger, der einen Pakt mit finsteren Mächten schließt, um die Hand der Tochter des Försters (und somit auch dessen Erbe) zu gewinnen. Er erhält für den traditionellen Probeschuß vor dem potentiellen Schwiegerpapa sieben magische Kugeln, sechs davon sollen das anvisierte Ziel treffen, die siebte aber wird von Höllenkräften gelenkt. Böse Vorahnungen beschleichen die Försterstochter, die beinahe selbst Opfer der letzten Kugel wird, die dann aber schließlich den Adlatus des Bösen trifft.

Der finstere Wald, die schroffen Felsen in der Wolfsschlucht, in der das Böse niederkommt, die aufbrausende Musik – wie gemacht für den schwarzen Romantiker Stölzl, der viele Parallelen zwischen seinen Videos und der Inszenierung dieser Oper sieht: „Die Oper ist quasi die lange Form, wenngleich du natürlich nicht die gleichen Hilfsmittel hast. Aber szenisch geschriebene Opern wie der ‚Freischütz‘ haben eine ähnliche Struktur.“

Und so schloß Stölzl einen Pakt – nicht mit dem Teufel, aber, so würden es zumindest eher konservative Opernbesucher sehen, mit einem nahen Verwandten Luzifers: Sebastian Baumgartner, junger Wilder, Freund Stölzls und Operndirektor in Meiningen. „Sebastian mag Videos, ich mag Oper – so hat er auch ein Auge dafür, ob ich so was wie eine Oper inszenieren kann.“ So kam es al-so zum Engagement des Videofilmers an der Oper in Meiningen. Die Premiere von Stölzls „Freischütz“ ist am 9. September im Meininger Theater.

Paradoxerweise hat Stölzl, der auch das Bühnenbild entwarf, für seine Inszenierung ganz auf Videoprojektionen verzichtet: „Es gibt ja heute fast keine modern inszenierten Opern ohne Videos. Aber wenn man aus dem Film- und Videobereich kommt, reizt einen vor allem das altmodische Puff-Knall-Theater. Ich will damit ja keinen Avantgarde-Blumentopf gewinnen.“

Keine Anlehnung an Robert Wilsons beklemmende „Black Rider‘-Inszenierung also, die das „Freischütz“-Thema ja übernahm – allerdings mit neuer Musik von Tom Waits und einem Libretto von William S. Burroughs. „Wir halten uns eng am Original, aber die Version von Robert Wilson ist großartig. Er hat sich aber die Freiheit genommen, sich an die wahre Geschichte, die der Oper zugrunde liegt, zu halten — und die geht schlecht aus. Das Problem beim ‚Freischütz‘ ist, daß sich am Ende alles zum Guten wendet. Die Musik wird gefälliger und alles verflacht — da haben sich schon viele Regisseure die Zähne dran ausgebissen.“

Stölzl stellt sich der Aufgabe, indem er sich für Bühnenbild und Inszenierung an klassischen Stummfilmen der 20er Jahre wie „Nosferatu“ und „Das Kabinett des Dr. Cahgari“ orientiert. „In der Oper ist man als Zuschauer vom Geschehen relativ weit weg, daher sind die Akteure eh gezwungen, mit großen Gesten zu spielen. Durch die Theatralik und das ganze Pappmasche im Bühnenbild bekommt das alles einen leicht ironischen Unterton. Es ist fast wie wenn du dir einen alten Horrorfilm anschaust.“

Zu den nächsten Projekten von Stölzl, der 2002 mit „Baby“ bereits sein Kinodebüt gab, gehören die Umsetzung eines „character driven Psycho-horror movies“ mit einem amerikanischen Produzententeam und – zusammen mit seiner Freundin – die Gestaltung der Bühne für die anstehende Westernhagen-Tour. Er bleibt dem Horror-Genre also fürs erste treu.

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