Ein Prosit auf die Bro’sis

Arne Willander über die Wahrheitsfindung im Sing- und Tanzschuppen „POPSTARS", Kenianer aus Bonn und bedenkliche Medienstrategien

Am Tag nach der Entscheidung bekam ich Post von meinem Freund S. Er ist ein Veteran von „Big Brother 1“ und „Popstars 1″ und schaut gern Trash mit echten Menschen im Fernsehen. S. hat nicht viel zu tun, seine Familie hat mit Schotter sehr viel Geld verdient, und S. lebt eher sparsam. Er fährt ein sehr kleines Auto, das er in der Stadt überall regelwidrig abstellen kann, isst mittags warm und überlegt ansonsten, was er mal so tun kann. Abends guckt er dann auf einem Bildschirm, für den Oma lange stricken muss, einen Film auf Video. Oder“Popstars“. Die ganze lange Staffel offenbar, denn am Schluss, als nur noch acht Aspiranten da waren und schließlich sechs ausgewählt wurden, brach es aus ihm heraus. „Die Blonde war stimmlich am besten, passte aber irgendwie doch nicht rein, etwas zu pferdig, zu wenig was für junge Menschen.“

Das hatte ich auch gefunden, und auch Deel, der riesige, knuffige schwarze Tanztrainer in der „Popstars“-Jury, der schon die „No Angels“ formte und zwischendurch Animateur bei der RTL 2-Reihe „to club“ war, die leider keinen Erfolg hatte. Deel war der Chef von „Popstars 2“. Ihm zur Seite stand anfangs eine verhärmte Frau, deren Qualifikation mir entgangen war, die aber nicht so kreischig und heiser war wie die letzte. Und Alex Christensen, ein sehr sympathischer Techno-Produzent mit Bärtchen und Zopf aus Hamburg. Er hatte einen sehr unsympatischen Konzertveranstalter abgelöst, der sich bei „Popstars 1“ als Profi aufgespielt hatte.

Aber auch Dee! musste streng sein. Am Anfang beschied er manchem Spaß-Bewerber, man wolle solche Ausreden gar nicht hören, das interessiere gar kein Schwein, er solle wieder zu seiner Wochenend-Band gehen. Textunsicherheit machte ihn zu einem übel gelaunten Gorilla. Obwohl, Mädchen mit riesigen Brüsten durften schon mal summen, wenn sie sich die Lyrik von den Gorillaz nicht merken konnten. Da platzte ein „Boh!“ aus ihm heraus, wenn die sich vor ihm bewegten. Und dann fragte er, warum so ein Talent nicht schon lange entdeckt worden sei.

Dafür war nun aber Dee! da. Die allermeisten Bewerber waren Immigrantenkinder, mindestens ein Elternteil südlicher Provenienz, vermutlich Scheidungswaisen, gern tätowiert, gepierct, blondiert oder mit Piratenkopftuch. Ein besonders lustiger Rapper, der Faiz aus Bonn, war gleich Favorit. Immer so gut gelaunt. Nennt die Wohnung seiner Mutter „Klein Kenia“. Wirklich, ein irre lustiger Typ. Faiz hattte seine Einzelhandelskaufmannslehre abgebrochen und war seitdem als DJ Seven unterwegs.

Mein Freund S. war trotzdem nicht ganz zufrieden mit der Endausscheidung. Manchmal klarsichtig wie Oswald Kolle, hatte er erkannt: „Die Entscheidung ist marketingstrategisch bedenklich. Man sollte denken, voll okay, das weibliche Teenie-Haupt-Publikum will doch in erster Linie schöne Jungs sehen. Glaub ich aber nicht, die wollen umso lieber andere Mädchen, mit denen sie sich dann besser identifizieren können. Alles eine Frage der eigenen Eitelkeit, der unerfüllten Wünsche und der Träume.“ Er meint damit: Vier Kerle und zwei Mädels sind nicht das richtige Verhältnis. Er meint auch, dass er auf seiner Großbildröhre eigentlich lieber in erster Linie schöne Mädchen sehen will.

Und jetzt haben wir halt nur Hila aus Tel Aviv (wollte eigentlich „Power-Abi bauen“ und „Karriere machen“) und Indira aus Groß-Gerau (Abi 2,5, Hobby Kochen, Mutter Inderin). Die haben noch nicht mal Crack geraucht wie die Tante von den „No Angels“.

Jedenfalls sagte Deel immer, dass alle ganz, ganz toll seien und überhaupt niemand rausgeschmissen werden solle. Es waren aber noch 32 Bewerber da, als er das sagte, und eine beleibte Sangespädagogin atmetete mit allen auf Ibiza. Wer verzweifelt aufgeben wollte, wurde von Deel väterlich auf den rechten Pfad zurückgebracht. „Nun geh raus und zeig es uns!“ rief er. „Beiß dir in den Arsch!“. Denn sonst hätten die jungen Menschen keinen Respekt mehr vor sich. Sie mussten das Urteil der Jury abwarten. Aber der Jury fiel es schwer. Immer wieder waren alle so unglaublich gut — aber es musste halt doch einer gehen. Dafür las die Jury dann die Namen sämtlicher Teilnehmer vor, die weitermachen durften. Und am Schluss weinten die, deren Name nicht genannt wurde.

Am Ende weinte auch Dee! und konnte sich gar nicht wieder einkriegen. Alex Christensen weinte. Die „Popstars“ weinten. Sie waren alle so verdammt gut, sie hatten vorher alle etwas Sentimentales gesäuselt, das sie auswendig gelernt hatten, und alles klang so ähnlich wie „Time To Say Goodbye“.

Die sechs überlebenden haben jetzt übrigens einen Namen: „Bro’Sis“. Klingt ein bisschen nach den Klonen „Bros“ aus den Achtzigern. Oder wie „Brotzeit“. Aber nicht übel, meint mein Freund S., marketingstrategisch gesehen. Wegen dem Apostroph.

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