Eine brillante Inszenierung – Erfolgreich trotzten Radiohead der Apokalypse und zollten außerdem ihren Techno-Einflüssen Tribut

BERLIN, WUHLHEIDE.

Gibt es etwas Entwürdigenderes für eine Band, als ein Open-Air bei gleißendem Juli-Sonnenlicht? Den Berlinern Modeselektor bleibt diese desillusionierende Erfahrung erspart. Als das Techno-Duo gegen 19 Uhr seine Computer hochfährt, verdunkelt sich der Himmel über Berlin dramatisch. Doch die schweren, regensatten Wolken halten sich noch zurück. Modeselektor, die auf einem Song ihres letzten Albums immerhin Thom Yorke als Gastsänger begrüßen durften, nutzen die Chance und blasen einen vorwärtsstürmenden Achtziger-Electro-Sound aus der PA.

Das Publikum, das sich vor der Bühne der ausverkauften Wuhlheide zusammendrängt, sieht aus, als hätte die Bewohnerschaft der Stadtteile Mitte und Prenzlauer Berg geschlossen einen Betriebsausflug gemacht: Wir erleben Galeristinnen und partypcople, ewige Praktikanten und kommende it-girk, in fröhlicher Selbstinszenierung vereint. Auch die in dieser Stadt unvermeidlichen Touristen sind zahlreich vertreten. Viele haben sich für 28 Euro politisch korrekte Tour-T-Shirts gekauft, die die grafische Gestaltung des aktuellen Albums „In Rainbows“ charmant variieren.

In der fast einstündigen Umbau-Pause läuft ausschließlich Minimal Techno, Basic Channel und Ähnliches. „Berlin, ehe city that gave us so many great music“, wird Yorke in einer seiner wenigen Ansagen später noch betonen. Keine Anbiederung: Seit „Kid A“ kann jeder hören, wie wichtig Einflüsse zwischen Krautrock und Techno für Radiohead waren und sind. Das zeigt sich auch, als die Band zu fiependen Synthie-Klangtropfen auf die Bühne schlendert: Jonny Greenwood sieht aus wie ein Hardcore-Schlumpf, der unter der Kapuze seines Sweatshirts fast verschwindet. Sein Bruder sowie der Gitarrist Ed O’Brien wirken dagegen recht elegant, Letzterer trägt sogar einen dunklen Anzug. Sänger Yorke kommt im weiten weißen Hemd, das über einer roten Röhren-Jeans flattert. Eine Art Breitwand-Splitscreen im Hintergrund der Bühne sorgt dafür, dass man über den gesamten Konzertverlauf jedes Barthaar der Musiker beobachten kann.

Der Sound ist von Anfang an unglaublich brillant- nicht nur für ein Open-Air. „15 Steps“ spielt mit der Spannung zwischen dem stark betonten Beat und der schwerelosen, fast jazzigen Gitarre. Auch sonst steht der Rhythmus im Vordergrund. „Weird Fishes/Arpeggi“ macht da ebenso wenig eine Ausnahme wie die anderen Stücke aus “ Jti Rainbows“, das den Schwerpunkt des Abends bildet. Schade nur, dass sich nun im 15-Minuten-Takt die Schleusen des Himmels öffnen. Es regnet zwar nie lange – aber dafür kräftig. Das großartige „Jigsaw Falling Into Place“ ist dann einer der Höhepunkte des Abends. Danach erinnert Thom Yorke an den letzten Radiohead-Auftritt in der Wuhlheide – es war der 11. September 2001 – und die Band lässt sich fallen in das manisch dröhnende Soundgewitter von „My Iron Lung“.

Man wundert sich angesichts des Gebotenen über die Faszination des Publikums für sich selbst: Überall werden Erinnerungsfotos geschossen und dafür Posen eingenommen, die aussehen, als wolle man sich für die Partyklatsch-Seiten eines hippen Society-Blatts bewerben.

Dabei ist nicht nur die Band fantastisch- auch die optische Inszenierung ist exzellent: Wie gewaltige Eiszapfen hängen schmale Streben von der Decke, die von einem sich permanent steigernden LED-Lichtgewitter illuminiert werden. Anfangs fühlt man sich noch an die vertikalen Zeichenketten von „Matrix“ erinnert, später fehlen einem buchstäblich die Worte für diesen abstrakten Rausch aus dem Reich der Mathematik.

Songs wie „Videotape“ und „Nude“ sorgen für ein intensives emotionales Gegengewicht, auch wenn Yorks Stimme bisweilen etwas belegt klingt. Dafür spielt er einmal sogar ein zweites Schlagzeug und wechselt auch sonst viel zwischen Gitarre und einem altmodischen Klavier, das – im Unterschied zu diversen Verstärkern nicht mit einer Tibet-Fahne behängt ist. Eigentlich haben Radiohead es doch gar nicht nötig, ihre makellose Gesinnung so platt zu demonstrieren. Aber den leichten Hang zum Pathos wird ihnen niemand mehr abgewöhnen.

Die Zugabe beginnt mit einem einsamen Yorke am Klavier. Zweimal vergeigt er den Einstieg in „Cymbal Rush“ vom Soloalbum „The Eraser“. Trotzdem charmant, auch wie er danach wütend in die Tasten drischt. Den Abschluss beobachte ich von der Höhe des Amphitheaters aus: Ein völlig anderer Eindruck als unmittelbar vor der Bühne, wo die Musik intensiver und direkter klang. Hier oben dominiert die berauschende Inszenierung, man denkt an Pink Floyd und daran, dass hier ganz offensichtlich die Wiedergänger der Progressive-Pioniere auf der Bühne stehen. „Street Spirit (Fade Out)“ und ein Mini-Feuerwerk schicken uns durch den nächtlichen Wald nach Hause. Glücklich, auch wenn es regnet.

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