Eine Löwin auf der Suche nach Beute

Beim Songschreiben verlässt sich Tori Amos ganz auf ihre Muse. Die klopft recht regelmäßig an - und ermutigt sie, auf die Jagd nach neuen Sounds zu gehen

Wundern darf man sich über Tori Arnos immer. Neuerdings versteht man aber mehr von dem, was sie erzählt Ging es früher oft um Elfen oder Geister, so beschäftigt sich die Songschreiberin heute mehr mit der Muse und den Möglichkeiten, sie hervorzulocken. Offensichtlich kann Arnos das gut, denn sie hat schon wieder ein Album gemacht, „The Beekeeper“, ihr achtes in 13 Jahren. Nicht einmal ihre viereinhalbjährige Tochter Tash hält sie von der Arbeit ab, „so sehr sie es auch versucht“.

Trotzdem gibt es auch bei Arnos Wochen, in denen sie gar nichts zu Papier oder aufs Piano bringen kann. „Es gibt diese Dürrephasen, aber ich habe dann ein gewisses Vertrauen, dass die Muse schon irgendwann wieder anklopft. Manchmal sitze ich am Klavier und spiele vor mich hin, aber diese kreative Kraft bt einfach nicht da. Man beherrscht das Handwerk, aber es kommt nichts Aufregendes. Ich kämpfe inzwischen nicht mehr darum, ich lasse es dann sein und mache was anderes: Schaue mir Kunst an oder lese. Alles, was inspiriert, konsumiere ich wie Fastfood, ich haue mir so viel wie möglich davon rein. „Supersize it!“

Auf diese Weise gelangten schließlich afro-kubanische Impressionen auf „Sweet The Sting„, so entstand der Blues von „Hoochie Woman“. Andere Stücke wie „Original Sinsuality“ oder „Ribbons Undone“ sind dagegen typisch Tori, mit nichts zu vergleichen. Sie hat sich längst damit abgefunden, dass manche Menschen ihren überkippenden Gesang nervig finden, während andere genau diese entrückten Momente lieben. Diesmal hat sie sich zwar etwas zurückgenommen, sucht nicht immer das Extrem, aber allen rechtmachen wird sie es nie. „Wenn man sich nach anderen richtet, ermordet man die Muse. Man muss der eigenen Intuition folgen und die Lieder aufspüren wie ein Trekker. Du jagst nach dem richtigen Sound, aber es kann trotzdem sein, dass die Leute deine Beute abends nicht aufs Feuer legen wollen. Vielleicht sind sie Vegetarier, während ich eine Löwin bin. Und noch dazu eine, die viele verschiedene Zutaten einsammeln will – nicht nur Fleisch, auch Frühlingszwiebeln und Karotten. Hauptsache, die Qualität stimmt. Wenn schließlich einer dies oder das nicht mag, darf mich das nicht verwirren.“

Immerhin kann es vorkommen, dass sie ewig an einzelnen Stücken arbeitet, bis sie für gut genug befunden werden. Acht Jahre lag zum Beispiel der Chorus von „Martha’s Foolish Ginger“ herum, bis Arnos endlich den richtigen Dreh für den Rest fand. Zwischendurch ärgerte ihr Ehemann Mark Hawley sie, weil er das Stück einfach „Harbour Lights“ nannte, obwohl sie das überhaupt nicht wollte. „Man nennt sein Kind doch auch nicht Felix, wenn es ganz anders heißt!“, empört sie sich noch heute. Manchmal geht es sicher lustig zu im Hause Arnos. Vorerst ist aber wieder Frieden eingekehrt, weil sie auf einmal eine Melodie für die Strophen hörte und das Stück plötzlich ganz schnell im Kasten war.

Die Entstehungsgeschichten vieler, auch älterer Stücke, Tournee-Anekdoten und Arnos‘ Einstellung zu ihrer Arbeit und vielem anderen erfahrt man jetzt auch dezidiert in dem Buch „Piece By Piece“, das sie zusammen mit der Journalistin Ann Powers verfasst hat Wann bloß? Amos ist eben eine Meisterin des Zeitmanagements – und sie kann gut abschalten. Meistens. „Ich entspanne mich mitten in all dem Trubel. Man findet immer ein paar Minuten, um seinen Kopf-Computer neu hochzufahren. Das muss man auch, sonst funktioniert er irgendwann nicht mehr richtig. Aber mich belebt die Musik, sie gibt mir mehr, als sie nimmt. Nur das viele Reisen ist anstrengend, weil die Leute oft so ein Horror sind. Im Flugzeug sitze ich immer neben solchen, die sich über alles beschweren und einem jegliche Energie rauben.“ Doch auch dafür hat Arnos eine Lösung gefunden. „Ich ziehe mich zurück, indem ich Kopfhörer aufsetze. Man kann ja nicht aus dem Fenster springen.“

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