Einmal Hölle und zurück

Er lebte, wovon andere "Outlaws" nur sangen. Inzwischen ist der Dämon unter Kontrolle - und Steve Earle wieder da, wo seine musikalische Odyssee 1986 begann.

„Be careful what you wish for, friend because I’ve been to hell and now I’m back again “ („I Feel Alright“, 1996)

Rein optisch scheint er alle Höllen und Horror-Geschichten Lügen zu strafen. Niemand würde vermuten, dieser bärtige Brummbär, der seelenruhig seinen süßlichen Virginia-Tabak in einer Großvaterpfeife schmaucht, habe bis Mitte der 90er Jahre primär durch Drogenskandale, Prügeleien und Scheidungen Schlagzeilen gemacht. „Ich war öfter als einmal mehr tot als lebendig. Zweimal lag ich im Koma, Überdosis. Ich hab’s irgendwie geschafft, allein wieder aufzuwachen. Irgendjemand wollte wohl, dass ich weiterlebe.“

Earles jüngere Schwester, die Country-Sängerin Stacey, erinnert sich an die gemeinsame Jugend, zunächst in Schertz, dann in San Antonio/Texas: „Steve rannte schon als kleiner Junge immer weg. Meine Eltern packten uns vier Geschwister hinten ins Auto, und wir fuhren los, Stevie suchen. Ich glaube nicht mal, dass er wirklich weglaufen wollte; er wollte nur irgendetwas für sich finden. Er war ständig auf der Suche.“

Steve Earle wurde am 17. Januar ’55 in Fort Monroe/Virginia geboren. Vater Jack und der ältere Bruder Mark arbeiteten bei der Flugsicherung – Familientradition. Die Familie zog berufsbedingt dauernd um, keine Zeit für Freundschaften mit anderen Jungs. „Ich glaube, ich wollte so was sein wie ein Hobo, ein junger Woody Guthrie.“

Steves sechs Jahre älterer, trinkfester Onkel schenkte ihm die erste Gitarre zum elften Geburtstag. Zwei Jahre später machte er ihn mit harten Drogen bekannt „Es ist wohl erblich bedingt in unserer Familie gibt es einige Herrschaften mit Suchtproblemen.“ Steve war der klassische Teen-Rebell, der die Mitschüler auch schon mal mit der abgesägten Schrotflinte des Onkels bedrohte. Mit 15 tingelte er lieber durch die Bars von Texas als weiter die Schule zu besuchen. Mit 19 heiratete er zum ersten Mal. Die Braut zog nach Mexiko, Steve nach Nashville. Mit 21 ehelichte er Braut Nr. 2, „weil uns das Interesse an Drogen verband“. Bis heute heiratete Earle insgesamt sechsmal, eine Auserwählte gleich doppelt.

Seine Karriere hingegen war in den folgenden Jahren eher durch seinen berüchtigten Jähzorn und daraus resultierende Schlägereien geprägt denn durch musikalische Meilensteine. „Bis in die 80er Jahre hinein gab es in Nashville noch nicht den klassischen Singer/Songwriter; da wurde noch strikt getrennt zwischen Songlieferant und Interpret Ich schrieb zwar Songs für einen Verlag, aber ich wollte partout eine Platte machen, bevor ich 21 war.“

Das klappte nicht ganz: „Pink & Black“, sein erstes Werk, erschien erst 1982. Inzwischen war die etablierte Country-Szene händeringend auf der Suche nach einer kreativen Injektion. Townes Van Zandt und Guy Clark, Earles frühe Helden, machten den Anfang, „neue Traditionalisten“ wie Dwight Yoakam, Randy Travis und Lyle Lovett sollten folgen. Und dann – 1986 – kam Steve Earle mit seinem eigentlichen Debüt „Guitar Town“ und zeigte vielleicht am meisten Talent und am wenigsten Kompromissbereitschaft. Ein Kerl, der „Fear No Evil“ auf seinen rechten Oberarm tätowiert hatte und eine ungezähmte Wut auf alles und jeden zu haben schien. Einer, der Country-Twang mit Rock-Dynamik verbinden konnte und dazu überraschend poetische Texte sang. Er wurde zum „New Country Artist Of The Year“ gekürt, man nannte ihn den „Bruce Springsteen der Country-Musik“, und der Boss höchstpersönlich, so heißt es, soll sich gleich zehn Exemplare von Earles Debüt gekauft haben.

Neben den autobiografischen Texten schrieb Earle bevorzugt über die arbeitende Bevölkerung im Lande, die die Hoffnung auf ein besseres Leben nie aufgibt „Wenn es um die Charaktere in meinen Geschichten geht, bin ich Sozialist. Ich sehe mich allerdings in der Tradition von Woody Guthrie, und der war in erster Linie Entertainer und kein Politiker. Er war das Sprachrohr für alle: Es gibt genug für alle, es muss nur anders verteilt werden. Mein Lieblingszitat von Woody ist immer noch: ,Ich war nie Kommunist, aber ich lebe immer im roten Bereich‘.“

Erstaunlich, mit welcher Energie Earle in den folgenden Jahren Album für Album veröffentlichen sollte, immer unterbrochen von Querelen mit seinen Frauen, seinen Dealern, seinen tätlichen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Der selbsternannte „hillbilly from hell“ sang: „I’m still the apple of my mama’s eyes, I’m my daddy’s worst fears realized“ und begründete auf dem Anrufbeantworter seine Abwesenheit mit „Heroin besorgen, Dreizehnjährige anbaggern und Bullen verprügeln“. Selbst Outlaws haben Humor.

Der „Augapfel seiner Mama wird 1994 bei einer Crack-Razzia verhaftet. Sein Glück, denn er kommt im Gefängnis von Chattanooga in ein Entzugsprogramm. „In einem normalen Knast wäre ich sicher krepiert. Dort aber machte ich zum ersten Mal in meinem Leben, was man mir sagte. Ganz einfach: Ich wollte leben.“

Waylon Jennings,Johnny Cash und Emmylou Harris schrieben ihm – und Emmylou erzählte ihm von Irland und seiner wohltuenden Wirkung auf die kreativen Kräfte. Earle fuhr also nach seiner Entlassung aus den „Ferien im Ghetto“ ins irische Galway. Er las ohne Ende und schrieb zum ersten Mal in seinem neuen Leben als nüchterner Mensch. „In der „Welt der Künstler hält sich nach wie vor dieses alberne Gerücht, dass die Muse den klaren Kopf einfach nicht küssen will. Ein hirnrissiger Trugschluss. Es ist viel leichter, mit klaren Gedanken zu schreiben. Und ich finde es jetzt wunderbar, früh aufzustehen, ein paar Stunden zu arbeiten, eine Pause zu machen und dann weiterzuarbeiten.“

Doch selbst in seiner neuen, disziplierten Arbeitsweise ist Earle der Besessene geblieben. Er komponiert noch schneller als sonst. Beim hochgelobten Album mit der Del McCoury Band schaffte er im Studio zwölf Songs in neun Tagen. Ronnie McCoury berichtet mit staunendem Respekt, dass Earle am letzten Tag noch kein echtes Titelstück gefunden hatte. „Steve ging raus, setzte sich hin und schrieb in 40 Minuten ,The Mountain‘. Er arbeitete zu Hause noch etwas dran und basta. Atemberaubend.“

„Ich glaube, es liegt an seiner schnellen Auffassungsgabe. Steve langweilt sich extrem schnell. Er muss ständig beschäftigt sein. Ich liebe die Spontaneität seiner Texte“, sagt Emmylou Harris. Earle seinerseits hat immer wieder gern mit Kolleginnen gearbeitet, hat sich manche Diseuse für ein Duett ausgesucht – und alle waren angetan, ob Lucinda Williams, Iris De-Ment, Patti Larkin oder Gillian Welch. „Für Frauen einen Song zu schreiben, ist immer wieder eine Herausforderung. Und sie verblüffen mich jedes Mal mit der Art ihrer Interpretation.“

Nach einem Ausflug in die geheiligten Gefilde der Bluegrass-Musik hat Earle nun wieder The Dukes reaktiviert (die ihn auch auf Tour begleiten) und ist auf seinem jüngsten Album „Transcendental Blues“ zu den Rockwurzeln zurückgekehrt. Er schrieb den größten Teil der Songs wieder in Galway, nahm im eigenen Studio in Nashville auf, das wie seine Firma „E-Squared Records“ in einem ehemaligen Heim für ledige Mütter untergebracht ist „Ich bin zur Zeit unverschämt glücklich und schreibe die besten Texte und Songs, die mir je geglückt sind.“

Zum einen mag das an der häuslichen Harmonie liegen: Er arbeitet mit seinen Söhnen Justin und Patrick, betreut seine Eltern Barbara und Jack, ist ausnahmsweise mal nicht verheiratet, lebt dafür aber in seltener Harmonie mit Freundin Sara, der auch das neue Album gewidmet ist. Es erstaunt selbst ihn, den Hartgesottenen, dass er auf einen so esoterisch anmutenden Titel wie „Transcendental Blues“ verfiel. „Vor allem, wo ich mein Leben lang Transzendenz wie der Teufel das Weihwasser gemieden habe. Ich habe es bislang immer geschafft, Schmerz wie auch allen Glücksgefühlen aus dem Weg zu gehen. Drogen sind dafür ideal. Jetzt kann ich wieder etwas fühlen, kann mich an intensive, lang verschüttete Gefühle erinnern. Kann auch Liebeslieder schreiben. Ich gäbe alles dafür, wenn Chet Baker einen meiner Lovesongs singen könnte.“ Das muss er wohl auf später verschieben, auf „irgendwann, wenn ich bei Euch ankomme“, wie er dem verstorbenen Townes Van Zandt zur Erinnerung schrieb. „Ich habe wahrscheinlich in all der verlorenen Zeit immer nur ganz still gewartet, um den rechten Zeitpunkt zu erkennen. Um rechtzeitig zu wissen, wann’s weitergeht“

Earle schreibt heute tagtäglich ein Haiku, jene japanische Gedichtform, die aus drei Zeilen besteht: erst fünf, dann sieben, dann wieder fünf Silben pro Zeile. Das ist Training, gleichzeitig aber auch Meditation. Seit Januar ist er Ehrenprofessor am „Folkcenter“ in Chicago, wo er siebenwöchige Kurse über amerikanische Roots-Musik gibt. Er schleppt seine kostbaren Instrumente an und demonstriert den Musikstudenten, was handgemachte Musik bedeuten kann, gestern wie heute. Über 1000 Studenten bewarben sich für den ersten Kurs, der für 90 Teilnehmer geplant war. Tendenz steigend. Er kümmert sich nach wie vor um seinen „Fearless Fund For Homeless Children“, durch den Tagesstätten für Kinder obdachloser Familien finanziert werden. Er tritt vehement gegen die Todestrafe ein, war persönlich Zeuge von zwei Hinrichtungen, um sich ein Bild machen zu können. „Ich bin mehr denn je davon überzeugt, dass man einen Menschen ändern kann, ohne ihn deshalb gleich umbringen zu müssen.“

Earle ist sicher nicht über Nacht zum Engel geworden. Er flucht nach wie vor wie ein Berserker und hat damit dem alten Del McCoury so manchen Schock versetzt; nach seinem letzten Album wurde er gar „Antichrist des Bluegrass“ genannt Aber Earle kann es sich heute leisten, andere und sich selbst zu lieben.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates