Eiskalter Engel für italienische Mamas

Der preisgekrönte ""Good Bye, Lenin! -Star Daniel Brühl vergöttert Alain Delon, muss aber selbst noch immer den Jungen spielen, der mit dem Erwachsenwerden kämpft

Was der Schauspieler Daniel Brühl super kann: lächeln, wenn die Zuschauer genau wissen, dass er am liebsten Scheiße schreien würde. In „Nichts bereuen“ zum Beispiel, seinem schönsten Film. Da hetzt er am Flughafen die Rolltreppe hoch, aussichtslos zu spät dran, nicht fürs Flugzeug, sondern für seine große Liebe. Sie läuft durchs Gate, er kann nichts tun und klebt mit dem Gesicht an der Glasscheibe, wie Dustin Hoffman am Ende von „The Graduate“. Dann dreht sie sich noch einmal um, sieht ihn und winkt, kurz vor dem Verschwinden. Und Daniel lächelt, um nett zu sein und weil er nicht mehr anders kann, als sich zu amüsieren über die eigene Jämmerlichkeit „Schrei mal!“ Das ist aus einem anderen Film, aus Wolfgang Beckers Smash-Hit „Good Bye, Lenin!“, den allein bei uns über sechs Millionen Leute gesehen haben, für den Daniel Brühl seinen zweiten Deutschen Filmpreis und nun sogar den Europäischen bekommen hat. Stolz des nationalen Kinos und wieder eine Rolle, in der er den Ereignissen nachrennt wie vorhin der Geliebten. Alex, der seiner Mama unter großen Mühen den Fortbestand der DDR vorspielen muss, bemerkt zur Mitte des Films, dass es zu spät ist und er Mutters Sparstrumpf nicht mehr in West-Mark umtauschen kann. Er verstreut die wertlosen Scheine vom Hochhausdach aus in alle Winde, als seine kleine Freundin den guten Vorschlag macht: „Schrei mal! Du musst Luft rauslassen, die Ventile aufmachen!“ Er reißt sich am Riemen. Er schreit, weil alles so scheiße ist, und in dem Moment platzen Feuerwerksraketen am Himmel, denn unter ihnen in den Fernsehzimmern ist Deutschland gerade Fußball-Weltmeister geworden.

Und so ist selbst dieser Schrei, der doch ein Gefühlsausdruck werden sollte, am Ende eine historische Zwangsläufigkeit. Den Vorwurf, „Good Bye, Lenin!“ hätte deutsche Geschichte glattgebügelt, die DDR als lustige Puppenstube porträtiert, den Ossi-Supermärkten Kunden und den Machern bestimmter Fernsehshows ihre verheerenden Ideen geliefert, hat Daniel Brühl oft gehört und sich gewundert, dass die Leute die Anfangsszenen mit den prügelnden Volkspolizisten nicht beachteten. In London (wo im vergangenen Herbst das „Lenin“-Plakat mit Brühls Gesicht an jeder U-Bahn-Station hing) und in Rom, ausgerechnet im Ausland habe das Publikum lustigerweise nur auf die Familiengeschichte reagiert, die der Film erzählt. „Die italienischen Mamas haben richtig geheult“, erzählt er von der Rom-Premiere, „und alle wollten mich hinterher umarmen: Was für ein liebender, toller Sohn!“

Solche Verwechslungen passieren schnell, denn Daniel Brühl macht im wahren Leben denselben Eindruck wie im Kino, wie die bescheidenen, gewissenhaften, auch in Beklemmung lächelnden Typen, die er oft spielt. Sieht jünger aus als 25, spricht noch eine leise Andeutung von Kölsch, obwohl er in Barcelona geboren wurde und seit knapp zwei Jahren in Berlin wohnt. Das Mädchen, das er in „Nichts bereuen“ durch die Scheibe anhimmelte, hat er ganz in echt bekommen, die MTV-Moderatorin Jessica Schwarz, die kürzlich als New-Wave-Girl im „Verschwende deine Jugend“ – einem Achtziger-Historiendrama! – umwerfend war. Die genau wie er und die vielen tollen deutschen Jung-Schauspieler, die in den letzten Jahren aufgetreten sind, felsenfest abonniert ist auf „Coming of age“-Geschichten mit geschichtlichen Hintergrundfolien, wie Regisseure und Produktionsfirmen sie zurzeit so lieben. „Manchmal möchte man sich auch mit Dingen auseinandersetzen, die in der Gegenwart passieren oder in der Zukunft sein werden, oder zumindest in der Lebensphase, in der man sich jetzt gerade befindet“, sagt Brühl, aber selbstverständlich hat er für alles Verständnis: „25 ist halt ein Zwischenalter, zu alt für jugendliche Rollen und zu jung für Männerrollen. Damit werde ich noch ein paar Jahre zu kämpfen haben.“

In Achim von Borries‘ „Was nützt die Liebe in Gedanken?“ (Start am 12. Februar) führt Brühl ein ganzes Ensemble in diesen Kampf, August Diehl aus „23“, Jana Pallaske, die wundervolle Anna Maria Mühe. Zu allem fähige, explosive Talente in einem zähen period piece über eine Clique junger Lebenskünstler in den späten Zwanzigern, mit Liebe, Tod und Absinth-Missbrauch. Brühl muss als introvertierter Dichter wieder einer Frau nachlaufen, die er nicht kriegen kann, eine schweigende Rolle, die fast schon zu typisch für ihn ist. „Als Schauspieler denkt man ja oft, dass man diesen Mut braucht und die Angst loswerden muss und auf der Leinwand unheimlich viel machen muss. Ich find es aber auch mutig, einfach mal wenig zu machen“, verteidigt er das. „Vor allem mit Blicken zu arbeiten und so weiter. Das mag ich ja auch an den Filmen von Jean-Pierre Melville. ‚Der eiskalte Engel‘ ist einer meiner Lieblingsfilme, und da macht Alain Delon ja gar nichts, noch weniger als ich. Der sagt 20 Minuten keinen Ton, das finde ich super.“

Ein Typ, der schweigt, obwohl die Zuschauer genau wissen, dass er den anderen schön die Wahrheit erzählen könnte. Hoffentlich liegt dieses Drehbuch schon irgendwo für Daniel Brühl.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates