England am Ende: Teatime im Übungskeller

Der gewöhnliche Brite ist ein Großmaul. Klingt hart, ist aber so. Das sprichwörtliche Understatement gehört eher ins Oberhaus, untenrum ist der Brite eben lieber laut. Lange Zeit beruhigten sich die Umsiedelnden mit der Erklärung, dass die Last der einstigen Macht des British Empire wohl schwer auf ihre Bürger abgefärbt haben muss. Wer die Welt beherrscht, ist schließlich klasse bis ins letzte Glied. Dagegen steht jedoch die erfreuliche Tatsache, dass sich Holländer wie Spanier einigermaßen damit abgefunden haben, dass es heute nicht mehr so läuft wie seinerzeit. Die Geschichte entschuldigt also nix.

Wobei man die Briten untereinander zwingend unterscheiden muss: Der wirklich Großfressige unter ihnen ist ganz klar der Engländer. Schotten, Waliser und Nordiren drängen sich außerhalb von Pubs und Fußballstadien niemandem auf. Okay, bei Nordiren gilt dies nur mit Einschränkungen. Eine Eigenschaft jedenfalls, die es einem nicht leicht macht, die Engländer sogleich ins Herz zu schließen. Doch spätestens auf den zweiten Blick beneiden wir sie um ihren schnoddrigen Charme. Wo sonst wäre einer wie T. Rex‚ Marc Bolan möglich gewesen? Da gibt sich jemand den Namen eines blutrünstigen Dinosauriers, ist aber gerade mal ’nen Kopf größer als eine Porridge-Schüssel und besitzt die Stimmwucht einer Waldelfe. Und hat Erfolg. Oder das Phänomen Glam-Rock: Stark geschminkte Männer in Klamotten, die zielsicher alle Möglichkeiten jenseits eherner Geschmacksgrenzen ausloten. Zu der Zeit wären bei uns die Daniel Küblböcks in einer katholischen Anstalt angekettet worden. Ebenso eine scheckige Londoner Vorort-Laune, die sich Boy George nannte. Hätte sich hierzulande doch kein Schwein getraut – nicht mal beim Christopher Street Day. Der Fairness halber sollte bedacht sein, dass Bonn nicht über den gleichen Magnetismus verfügt wie London, das Künstler anzieht wie Licht die sprichwörtlichen Motten. Man kann den Engländern einiges vorwerfen, das Wetter, das Essen oder den Linksverkehr, aber sie haben Musik(er) hervorgebracht, die nirgendwo sonst denkbar wären. Was ja vielleicht am Wetter, dem Essen und dem Linksverkehr liegt. David Bowie zum Beispiel oder Pink Floyd, Genesis (bis Peter Gabriel ging), ja sogar Robbie Williams. Ohne einen ordentlichen Schluck Rotz sowie den Mut, sich toll zu finden und gleichzeitg nicht ernst zu nehmen, geht so was nicht. Lange Zeit glaubten viele Engländer, dass Maggie Thatcher keine Frau ist, sondern ein verfemtes Mitglied von Monty Python.

Krawall ist auf der Insel normal – nicht nur im Pop, vor allem auch in der Presse. Deren Hang, die Schlagzeilen wichtiger zu nehmen als die Nachricht, zieht sich durch so gut wie alle Blätter. Die Tageszeitungen mit den Royals, dem Fußball und Katie Price, die Musikmagazine mit einer nicht endenden Reihe immer von Pop-Helden. Da macht es verlegerisch kaum einen Unterschied ob „„Ears for Fears“-Charles die Schlüpfer von Camilla isst oder die Kaiser Chiefs den Seitenscheitel feiern. Ein mediales Dauerfeuer, dessen musikalische Munition nur zu oft aus überschätzten Rowdies, unspektakulären Handwerkern oder kreuznormalen Club-Acts besteht.

Wie schön, dass es Oasis gibt. Zwar haben die auch nur eine Single („„Wonderwall“) und eine Menge mediokrer Alben zustandegebracht. Überstrahlt aber wird das vom Bild zweier arrogant in die Kamera schauender Rüpel: die Brüder Gallagher, die sich gern gegenseitig auf die Omme hauen – Sinnbild englischer Poparistokratie und zweifelsohne die größten Stars des sogenannten Britpop. Muss wohl an der harten, aber gerechten englischen Klassengesellschaft liegen. Für all die Jungs (und ein paar Mädels), die, schwer working class, Oscar Wilde im Blut und befallen von genialischer Kreativität, mit ihren Gitarren in Albions Kellern lärmen, gibt es nur zwei Wege hinaus: den ins grelle Scheinwerferlicht und das Stahlbad des ewigen Hype – oder den in die Abgeschiedenheit einer demütigen Stahlwerker-Existenz. Es sei denn, es reicht zu einem Profivertrag bei ManU, Arsenal oder wenigstens einem zweitklassigen Proficlub.

Only the strong survive in the Übungskeller. Neben der Musik und der obligatorischen Teetasse braucht’s da zweierlei: monströsen Ehrgeiz und noch monströseren Hype. Ein Spiel, das Pete Doherty perfekt beherrscht, auch wenn er die Musik darüber zuletzt ganz vergessen hat. Was man den Altvorderen nicht nachsagen kann. Beatles, Kinks, Who, Weller, Morrissey Et Co. haben dereinst einen Vertrauenvorschuss begründet, von dem das Pop-Königreich noch heute hartnäckig zehrt. Wen wundert’s da, dass böse Zungen den Britpop als musikalisches Phänomen inzwischen für einen windigen Optionsschein von Lehman’s halten?

Sind wir nicht ganz so streng. Denn was wäre Pop ohne aufgeblasene Flegel von der Sorte Pete Doherty oder Johnny Rotten? Langweilig. Und Chris Martin wäre König.

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