Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Die Klasse von ’89

Eine Reminsizenz an fast vergessene schöne Platten von fIREHOSE, Galaxie 500, Sebadoh, Half Japanese und Daniel Johnston.

Folge 191

1969, das Geburtsjahr Ihres Autors, war ein einigermaßen spektakuläres Jahr. Mon dieu, was da alles los war! Die einen flogen zum Mond, andere latschten ikonografisch über Zebrastreifen in der Abbey Road, wieder andere wälzten sich wirren Kopfes und halb nackt durch den Morast nordamerikanischer Festivalwiesen. Ihr Chronist war bei alledem nicht dabei und ist dar­über auch nicht sonderlich bekümmert, zumal an alle genannten Ereignisse in den letzten Monaten umfänglich erinnert wurde.

Weitaus besser erinnere ich mich an das Jahr 1989. Es war mein letztes Schuljahr, und David Hasselhoff sang die Berliner Mauer in Schutt und Asche. Es erschien auch das eine oder andere gute Album. Zwar waren die Platten, die in jenem Jahr veröffentlicht wurden, nicht ganz so wirkungsmächtig wie die von 1969. Aber 1989 erschienen durchaus Tonträger, die des Jubiläum-Tamtams vor Jahresende ebenfalls würdig sind. Nirvana, die Pixies und die Comeback-Alben von Reed, Dylan und Young müssen aufgrund längst erfolgter Kanonisierung allerdings außen vor bleiben.

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Eine 89er-Lieblingsplatte ist das dritte Album der Band fIREHOSE, bestehend aus den ehemaligen Minutemen-Musikern George Hurley und Mike Watt sowie dem Sänger und Gitarristen Ed Crawford. Das im Vergleich zu den beiden Vorgängerplatten einigermaßen gezähmt tönende Werk erweckt teilweise den Eindruck, als hätte die Rhythmussektion von R.E.M. Juckpulver inhaliert. Es rappelt und wummst zwischen Post-Punk und Afrobeat, derweil sich der Sänger seltsam unbeeindruckt vom quirligen Treiben seiner Kollegen zeigt und sich in einer Creedance-Clear­water-Revival-Revival-Band zu wähnen scheint. Damals wurden fIREHOSE in einigen hiesigen Musikmedien als die Zukunft von Rock und allen möglichen anderen ­Sachen gehandelt; das kann man heute ulkig finden. Mike Watt ist übrigens der einzige Bassist, dem ich jemals während eines Auftritts eine Saite reißen sah.

Die besten Knalltüten-Platten der Saison

Des Weiteren sei der geneigten Leserin empfohlen, sich an dem musikalischen Kaminknistern zu erwärmen, das das New Yorker Trio Galaxie 500 auf ihrem 89er-Album „On Fire“ entfachte. Ganz toll, wie hier das Konzept der dritten Velvet-Underground-­Platte auf ein schüchternes, blasses Studenten-Atmen reduziert wird! Für die wunderbar monochrome Produktion zeichnete der große Mark Kramer verantwortlich, der zur selben Zeit auf seinem Label Shimmy Disc die besten Knalltüten-Platten der Saison herausbrachte.

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Apropos Knalltüten: Eine weitere glorreiche Veröffentlichung aus dem hier besprochenen Jahr ist „The Freed Man“, die Debütplatte von Sebadoh. Will man einen Eindruck davon bekommen, wie Syd Barrett geklungen hätte, wenn er als Spät­achtziger-Prä-Slacker Experimente mit Kassettenrekorder-Homerecording durchgeführt hätte, ist man bei dieser Platte genau richtig: Es eiert, leiert und rauscht; die Intonation der Vortragenden kann mit Fug und Recht als unprofessionell bezeichnet werden. Fans der späteren Sebadoh dürften ob der hier waltenden Nachlässigkeit eher verstört sein. Ich liebe diese Platte, sie war für mich 1989 befreiender als „Bleach“ von Nirvana und „Day­dream Nation“ von Gerhard Richter zusammen. Ach, „Daydream Nation“ ist ja von 1988 …

Zuletzt möchte ich „The Band That Would Be King“, das siebte Album der Band Half Japanese aus Maryland, bejubeln. Auch diese Platte ist dazu angetan, Freunde von musikalischer „Amtlichkeit“ die Laune zu verderben. Kopf von Half Japanese ist der Berufsneurotiker Jad Fair, der sich anhört wie Violent-Femmes-­Sänger Gordon Gano minus Blues. Wer seinen Indie-Rock unmuskulös, neurotisch und postmodern schätzt, dürfte diese Platte lieben. Im selben Jahr veröffentlichte Jad Fair mit dem kürzlich verstorbenen Daniel Johnston das Album „It’s Spooky“, das gefestigten Freunden unbehauener Outsider-Kunst ebenfalls empfohlen sei.

Hören Sie all diese Platten mindestens dreimal täglich! So kommen Sie gut durch den Herbst, und dann sind ja auch bald die vergessenen Platten von 1990 dran.

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