Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Lob der Umständlichkeit

Streaming-Dienste optimieren vielleicht das Dasein. Aber was hilft’s, wenn man davon mürbe, welk und doof wird?


Folge 26

Schmeissen Sie schon mal den  Kamin an, verehrte Leserinnen, es geht diesmal nämlich um Werte. Alle paar Monate bekommt fast jeder Kolumnist plötzlich so einen Werte-Rappel, warum also nicht auch ich? Doch es soll heute nicht um Treue, Gründlichkeit oder Aufrichtigkeit gehen. Es gilt einen Wert zu preisen, von dem mancher vielleicht gar nicht wusste, dass er überhaupt als solcher zu bezeichnen ist: Es geht um Umständlichkeit.

Umständlichkeit ist eine herrliche Sache. Ein Beispiel: In meiner Wohnung stehen unfassbar viele Platten herum und versperren den Weg. Manchmal, wenn ich Menschen in meine Kemenate bitte, um sie dort mit Eier­likör oder dergleichen abzufüllen, werden diese angesichts all der Platten fürchterlich unruhig, springen aufgeregt auf und ab und fragen mich, warum ich als doch offensichtlich musikbegeisterter Mensch denn um alles in der Welt keine Streaming-Dienste nutze! Das sei doch so bequem, praktisch und angenehm.

Nun gibt es weiß Gott gute Argumente gegen Streaming-Dienste wie Pandora oder Spotify. Menschen wie David Byrne oder David Lowery von Camper van Beethoven haben sie in der Vergangenheit oft dargelegt. Mein Argument ist aber gar nicht, dass selbst Stars wie Daft Punk von ihren Spotify-Einnahmen keine der Mahnungen begleichen könnten, die ihnen Pharrell Williams täglich ins Haus schickt. Auch nicht, dass es Unfug ist, dass man bei Streaming-Diensten neue Bands entdeckt (die entdeckt man weiterhin durch Freunde, Zeitschriften, Kneipengeplauder oder Blogs). Mein Argument gegen Streaming-Dienste ist, dass ich kein Interesse daran habe, dass mein Leben noch bequemer, praktischer oder – seufz – angenehmer wird. Und ich bin wohlgemerkt nicht Mark E. Smith!

Ich sage Ihnen: Menschen, die zu bequem, praktisch und angenehm leben, die also den ganzen Tag alles jederzeit um die Ohren gefönt bekommen, was sie hören und sehen wollen, die nach nichts mehr forschen, suchen und graben, die jeglichen Forscherdrang aufgegeben haben, weil alles mit einem Klick auf ihre polierte Tastatur sofort im Fangnetz liegt, solche Menschen bekümmern mich. Die kriegen keinen Eierlikör bei mir. Wobei, das ist zu hart. Es sind dies schließlich bedauernswerte Kreaturen, die lange vor ihrer Zeit beginnen, welk und mürbe zu werden. Es sind dieselben Menschen, die nicht mehr auf einen Bus oder eine Bahn warten können, jedes bisschen Normalität sofort als „Zumutung“ empfinden und immer noch glauben, durch ständiges Erreichbarsein effizienter zu leben.

Ich weiß, ich höre mich an, als wäre ich ein alter Zausel, der in der Ritterrüstung herumläuft, die Wiedereinführung der D-Mark und der Schellack-Platte fordert und der … wobei: Während ich diesen Text verfasse, trage ich tatsächlich eine Ritterrüstung, aber das tut hier jetzt nichts zur Sache.

Vertrauen Sie mir einfach: Glücklich ist der Mensch, der wartet und sucht. Die halbe Freude am Erwerb einer Sache ist der umständliche Weg in den Laden, der Plausch mit dem sonderbar riechenden Besitzer und das Entsetzen, dass die ewig gesuchte Originalpressung irgendeines seltenen mexikanischen Psychedelic-Albums gar schauderhaft klingt! Dies sind süße Freuden, die nur dem vergönnt sind, der investiert: Zeit, Liebe, Haus, Hof und Geld. Unglücklich und grau aber wird der, der alles jederzeit hat und das auch noch für bequem hält. Und wo ich schon mal dabei bin, die ganze „Schnell, gemütlich und jederzeit“-Kultur zu verdammen: Wenn man durch die ganze angebliche Daseinsoptimierung tatsächlich am Ende mehr Zeit hätte, die man nun idealerweise in sinnvolle Tätigkeiten investieren könnte, warum widmen all die Smartphone-Spotify-Opfer ihre tolle Zeit nicht irgendwelchen Wohltätigkeits-Projekten (Greenpeace, freiwillige Altenpflege oder mürrischen Kolumnisten über die Ampel helfen)?

Ich rate Ihnen dringend: Hören Sie auf mit dem Streaming-Quatsch! Am Ende ist man doof. Und dann? Dann kauft man sich aus Versehen vor lauter Verpeiltheit noch eine CD. Von Placebo womöglich. Und dann ist die Heulerei groß!

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