Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Privat-Psychedeliker, alte Zauberer und weise Worte über Sex-Maschinen

Die Eagles haben viel Egales produziert, ein Satz, den man, selbst wenn er nicht stimmte, schon alleine des Looks wegen hinschreiben muss. Ein Satz, den man nicht öfter als ein Mal pro Woche hören will: "Arcade Fire flirten auf "Reflektor" mit elektronischer Club-Kultur".


Folge 23

Kürzlich erreichte mich frohe Kunde aus der Reihe „Schöne Sätze, die an komischen Orten gesagt wurden“.

Als ich nämlich unlängst mit einer Tüte Knabberspaß und einem Glas Knorkator vor dem Fernsehgerät lag, geriet ich in eine Sendung, die sich um die „100 größten Hits aller Zeiten“ oder irgendetwas Derartiges rankte. Im Wesentlichen wurden Welthits, die niemand mehr hören will, vorgestellt („Y.M.C.A“ von Village People, „Freedom“ von George Michael, „Can’t Get You Out Of My Head“ von Kylie Minogue und dergleichen). Zwischen Videoschnipsel, Archiv-Interviews mit den Musikern und Bilder von hysterisch zuckenden Tänzern waren allerhand Prominente geschnitten, die sich, in einem Studio sitzend, in üblicher Manier zu der Musik äußerten. Wer da nicht alles wieder saß: Quatsch-Produzent Alex Christensen, Ruth Moschner, Ex-DSDS-Juror Thomas Bug, Lou Bega … Plötzlich, es ging gerade um James Browns „Sex Machine“, meldete sich ein Herr zu Wort, der sonst eher auf Literatursofas oder in kleinen Clubs zu finden ist: Thomas Meinecke von F.S.K. Meinecke tat, was er meistens tut: Er sagte etwas Schönes. Das Blöde ist bloß, ich finde gerade den Zettel nicht, auf den ich mir Meineckes schönen Satz notiert habe. Immer ist was! Egal, vielleicht später …

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Wenn ich gerade nicht gut einschlafen kann, gucke ich häppchenweise die Eagles-Doku, die mir kürzlich jemand lieh. Sie ist wie die Musik der Eagles: ganz hübsch, aber nicht sonderlich aufregend. Somit eignet sie sich zum nächtlichen In-Häppchen-Gucken ausnehmend gut. Soviel kann ich bisher sagen: Ich bin wohl tendenziell eher ein Glenn-Frey-Typ als ein Don-Henley-Typ, was auch immer das heißt. Veilleicht gibt es ja inzwischen Psychotherapeuten, die sich auf Rockstar-Identifikation spezialisiert haben und einem sagen können, was es bedeutet, wenn man mehr der Glenn-Frey-Typ ist. Man muss allerdings auch sagen, dass die Eagles viel Egales produziert haben, ein Satz, den man, selbst wenn er nicht stimmte, schon alleine des Looks wegen hinschreiben muss.

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Ein Freund hilft mir beim Sortieren meiner Steuerunterlagen. Während wir da am Tisch sitzen, fällt mir irgendwann auf, dass die ganze Zeit heftige Hanfkommunen-Musik läuft. Das sei die Gruppe Sweet Smoke, informiert der Freund. Sweet Smoke klingen genau so wie sie heißen, sie sehen auch so aus. Ich weiß nicht, ob es gut ist, seine Steuerunterlagen zur Musik von Sweet Smoke zu sortieren. Andererseits: Vielleicht sollte das ganze Land seine Steuerunterlagen zum Gezirpe der umnebelten Band bearbeiten, es könnte nachgerade zu einem psychedelischen Ruck führen.

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Sehr lustig war’s mal wieder bei Bob Dylan.

Auf Ansage und Hut verzichtet der alte Zauberer neuerdings ja. Nicht jedoch auf seinen Flügel, mit dem er viel Sonderbares anstellt. Manchmal denkt man sich: „Wow, da spielen ja gerade vier Leute gleichzeitig ein Solo.“ Stimmt aber gar nicht: Dylan und seine Mitwirkenden meißeln in den instrumentalen Passagen sonderbare Figuren aus den Stücken heraus. Das ist oft sehr schön, gerät manchmal aber auch zur „ganz tollen Katzenmusik“ (Ekki Maas). Nach einem besonders experimentellen Instrumental-Part bei „Spirit On The Water“ lachen sich Dylan und Donnie Heron fast krumm vor Freude über das soeben Angerichtete.

„Love Sick“ ist so gut und präzise wie lange nicht. Danach passiert es dann: Dylan spricht. Er sagt: „Wrrrhaaaaurewgausue“. Kaum hat man atemlos das Notizbuch zum Festhalten sonderbarer Begebenheiten herausgekramt, schlurft Dylan von der Bühne und das Licht geht an. Er hat wohl soeben eine Pause angekündigt.

Nach dem Konzert nehme ich am Ausgang eine Broschüre der „Gemeinschaften der 12 Stämme“ mit dem Titel „Lieber Bob, was ist nur aus unserem Traum geworden?“ entgegen, die mir ein sendungsbewusster Bursche in die Hand drückt. Es handelt sich hier um eine religiöse Gemeinschaft, die das Tragen von Bärten und Wallekleidern zu propagieren scheint. Und die findet: „Bob Dylan wäre äußerst erstaunt, wenn er wüsste, dass das, was er prophetisch ausdrückte, tatsächlich heute gelebt wird.“

Auch sonst ist viel los: Emeritierte Englisch-Professoren diskutieren mit jungen Irokesenschnitt-Burschen. Vor der Bahn-Unterführung steht ein Mann in Hippie-Tracht und spielt originalgetreu „Don’t Think Twice, It’s Alright“. Irgendeine Frau beklagt, dass Dylan ja gar keine alten Hits gespielt habe. Am Himmel zucken Blitze, ein Platzregen geht hernieder, the wind begins to howl …

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Ein Satz, den man auch nicht öfter als ein Mal pro Woche hören will: „Arcade Fire flirten auf „Reflektor“ mit elektronischer Club-Kultur“.

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Den verdammten Zettel mit dem Meinecke-Zitat habe ich immer noch nicht gefunden. Ich erinnere mich nur noch, dass er die Wörter „ozeanisch“ und „Hypnose“ verwendet hatte. Deshalb etwas Anderes: Eine Platte, die in diesem Haushalt gerade für viel Freude sorgt, ist „Song Of A Gypsy“ von Damon. Anfangs glaubte ich, es hier mit einer weiteren Lo-Fi-Rakete aus dem kalifornischen Underground zu tun zu haben. Dann aber stellte ich fest, dass es sich um das Reissue eines Spät-Sechziger-Werks – oder wie das Label Now Again es selbst formuliert „one of the finest privately-pressed psychedelic rock records“ – handelt. Die Platte eiert ganz herrlich vor sich hin, es wird einem bald ganz schwubs in der Birne.  Von den meisten anderen Werken jener glorreichen Ära unterscheidet sie sich vor allem durch Damons beherztem Willen zum Crooner-tum sowie durch eine, ich möchte sagen: lüstern durch die Lieder nudelnden Fuzz-Gitarre. Wie großartig die Songs tatsächlich sind, weiß ich noch gar nicht so recht, aber als Zustand ist die Musik ganz toll! Ein schönes Erntedank-Geschenk für alle Leute, die schon immer wissen wollten wie die Schnittmenge aus Rodriguez und den 13th Floor Elevators klingen könnte.

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Und jetzt ist Lou Reed tot.

Ohne den Mann gäbe es meine Welt überhaupt nicht. Da ist es mir verdammt egal, ob er Journalisten gehasst oder gar gefressen hat. Vollkommen uninteressant. Ich finde es generell ziemlich unwichtig für die Beurteilung eines Künstlers, wie er Journalisten behandelt. Wenn ich über jeden grantigen Rockstar, von dem ich mich nicht liebevoll genug behandelt gefühlt habe, jammern würde, wäre das hier ein trister Ort. Außerdem sind mir alte Rockstars, die neugierigen Journalisten Prügel androhen, tausendmal lieber als die ganzen öden Promo-Profis, mit denen man es meistens zu tun hat! Aber wie gesagt: uninteressant. Alles, was mich gerade interessiert, ist, dass der Mann, der meiner Lieblingsmusik einen ganz entscheidenden Dreh gegeben hat, nicht mehr da ist. Jetzt sind „Loaded“ oder das dritte Velvets-Album zu hören, aber auch der 80er-Nachschlag „V.U.“, der einem fünfzehnjährigen Jungen im Bergischen Land mal alle Ohren geöffnet hat.

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